8

38 10 0
                                    

„Woher weißt du, wo ich wohne?"
„Ehm ... Hi Hayden" grinste der Brünette, wie immer unverschämt gut aussehende Kerl mich schuldbewusst an.
„David?" seufzte ich.
„David. Bist du soweit? Draußen ist es traumhaft."
Ich nickte, während ich meine Winterjacke anzog und ihm nach Draußen folgte. Wir gingen einige Zeit schweigend nebeneinander her, als wüssten wir beide nicht recht, wie wir ein Gespräch beginnen sollten. Je länger dieser Zustand andauerte, desto mehr brannte mit eine Frage auf der Zunge. Aber ich haderte.
Irgendwann durchquerten wir den Park und langsam hatte ich eine Ahnung, wo wir hingingen.
Meine Vermutung bestätigte sich, als ich den See sah, der das Sonnenlicht reflektierte und inmitten einer traumhaft schönen, winterlichen Landschaft eingebettet war. Es hatte erst seit 2 Tagen geschneit. Ich blieb stehen, um mir die Kulisse einzubrennen. Es war so friedlich hier. Und wieder einmal waren wir die einzigen Menschen dort.
„Warum?" stellte ich schließlich die Frage, die mich beschäftigte. Ezra war gerade dabei, den Schnee von der Bank zu räumen und sah mich verdutzt an, schmunzelte dann aber.
„Das hier ist irgendwie unser Ort, denke ich." Unser Ort. Als würde es ein UNS geben. Bei diesem Gedanken wurde mir schwer ums Herz.
„Das meinte ich nicht, Ez. Warum tust du das alles?" wurde ich nun spezifischer. Ich fragte mich, warum er so nett war. Warum er mir zuhörte und warum er sich so um mein Wohlergeben engagierte. Wir kannten uns gerade einmal 2 Monate.
„Warum tue ich was?" fragte er erneut nach und meine Geduld verpuffte. Mir war es ohnehin unangenehm über solche Themen zu reden und ich war wirklich nicht in Stimmung, ihm alles aus der Nase zu ziehen.
„Vergiss es" ich seufzte hörbar und ließ mich neben ihm nieder.
Wieder Stille.
Ezra hatte gerade genug Platz auf der Bank geräumt, dass wir beide uns setzen konnten. Unsere Knie berührten sich und die Kiste drohte aufzuspringen. Ich versuchte eine unsichtbare Barriere zwischen uns aufzubauen aber konnte mich nicht dazu überwinden, mein Knie von seinem zu entfernen. Er besaß neben unerschöpflicher Empathie wohl auch telepathische Kräfte, denn als könnte er meine Gedanken lesen drückte er sein Knie sanft gegen meins.
„Du verdienst es, dass Menschen gut zu dir sind" sagt er aus dem nichts. Es war so leise - als hätte er es nur vor sich hin gemurmelt - aber die Worte waren mit absoluter Sicherheit an mich gerichtet. Nur an mich. Ich sah ihn verwundert an. Er war so schön. Sein braunes Haar schaute unter seiner dicken Wollmütze raus und seine Augen strahlten, reflektierten das Sonnenlicht regelrecht. Ich könnte ihn stundenlang ansehen.
„Schau nicht so. Du hast es dir noch nicht eingestanden, aber du verdienst das. Sei nicht so hart zu dir selbst. Bei mir musst du nicht funktionieren. Sei einfach Hayden"
„Ich bin nicht dein ..." „...Sozialprojekt?" er wandte den Blick von mir auf und sah stattdessen auf die wunderschöne Natur um uns herum. Ich tat es ihm gleich.
„Ich muss nicht gerettet werden" sagte ich ruhig.
„Hab ich nicht gesagt. Aber ich hatte von Anfang an das Gefühl, dass du viel erträgst und nach außen hin eine Rolle einnimmst. Ich finde das tragisch, und eventuell hat es auch egoistische Gründe, dass ich dich so nerve mit meiner Aufmerksamkeit" wieder dieses unverkennbare Lächeln. Trotz Minustemperaturen spürte ich, wie ich schmolz.
Tu das nicht. Mach mir meine Hoffnungen, dass ich was besonderes für dich bin.
„Und welche egoistischen Gründe wären das?" bohrte ich nach.
„Ich bin heute nicht egoistisch Hayden. Heute geht's einfach darum mit dir einen schönen Spaziergang zu machen. Wann anders vielleicht."
Keine Chance. Ezra konnte noch etwas verdammt gut: Pokerface.
Ich brachte nichts aus ihm raus und so blieb mir nichts anderes übrig, als meinen Nachmittag mit ihm dort zu verbringen und einfach zu sein. Wir holten uns später noch einen Kaffee to go und er setzte mich wieder an meiner Wohnung ab. Ich wollte ihn reinbitten, er lehnte jedoch fast sofort ab. „Nicht heute, sonst werd ich noch übermütig" hatte er gesagt und mittlerweile war er ein einziges Rätsel für mich.

Es gab unzählige Möglichkeiten, die Ezra's Worte erklären würden. Ich verbrachte die nächsten beiden Tage mit Grübeln und konnte mich auf drei potenzielle Szenarien einigen.

1. Menschen, die am Boden sind zu helfen ist seine Superkraft. Er ist wie Clark Kent nur, dass er es nicht nötig hat, seine Identität mit einer Brille zu verstecken.
2. Er hat in seiner Vergangenheit irgendwas mega schlimmes verbrochen und versucht, durch gute Taten seine Verbrechen wieder gut zu machen. Sowas richtig Jeffrey-Dahmer-mäßiges.
3. Er mag mich... vielleicht sogar mehr als freundschaftlich. Seine Signale sind nicht eindeutig, also konnte ich mich bei dieser Möglichkeit nicht weiter festlegen.

Als er nach diesem Nachmittag weg war spürte ich, dass mir diese kurze Zeit unglaublich viel Energie gegeben hatte. Die Erschöpfung der Feiertage war kaum noch merkbar und irgendwie fühlten sich an diesem Tag meine Sorgen ein kleines bisschen weniger schlimm an. Er war wie eine menschliche Powerbank. Ich merkte es zu der Zeit nicht, aber für eine kurze Zeit waren die Stimmen in meinem Kopf ruhig. Als hätten meine Dämonen mir eine kleine Pause gegönnt. Ich aß normal, ohne zu kontrollieren, wie viel. Ich freute mich sogar auf Silvester mit meinen Freunden, obwohl ich normalerweise nach Weihnachten mit meiner Familie eine Delfintherapie benötigte.

After the Storm - Man x ManWo Geschichten leben. Entdecke jetzt