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„Bist du okay?"
Eine bekannte Stimme.
Eine bekannte Hand auf meinem Rücken.
Und ein verdammt bekannter Geruch in meiner Nase. Ich öffnete langsam meine Augen und sah direkt in das Leuchten. Seine Augen waren schon immer atemberaubend schön, aber gerade spiegelten sich die Lichter so faszinierend in ihnen, dass es mich an den See im Park erinnerte. Ich starrte einen Moment zu lange bevor ich antwortete „geht schon wieder, danke". Und bitte, lass deine Hand auf meinem Körper. Es kribbelt so schön.
„Ich war nur kurz ein bisschen lost, weil hier so viele Menschen sind" führte ich weiter aus und ich verfluchte, dass wir so nah zusammenrücken mussten, um uns trotz des Geräuschpegels verstehen zu können. Seine Stimme direkt an meinem Ohr machten mir Gänsehaut.
„Sollen wir's zusammen machen?" schrie er halb. „Hä?!" schrie ich zurück weil ich gerade eindeutig viel zu zweideutig dachte.
„Naja, wir sind hier in einem Club. Auf einer Tanzfläche. Wir sollten hier nicht einfach stehen und weil du dich wohl noch ein wenig unwohl fühlst können wir es einfach gemeinsam machen. Tanzen, du weißt?" erklärte er unnötigerweise und hatte dabei wieder dieses typische und absolut hinreißende Lächeln auf den Lippen, das mich schon immer so angezogen hatte. Ich nickte nur, weil mein Mund plötzlich staubtrocken war.
Ezra fing ohne weiteres Warten an, sich auf den Takt der Musik zu bewegen. Es lief irgendein Popsong, den ich nicht kannte aber die Melodie war ganz gut. Ich beobachtete kurz, wie unverschämt gut Ezra sich bewegen konnte und stieg kurze Zeit später mit ein und spürte, wie ich allmählich in der Menge versank. Ich war kein Fremdkörper mehr. Kein Störfaktor der das Treiben der Menge hinderte, sich fließend ineinander zu fügen.
Erst war ich wirklich unsicher, weil Ezra einfach so gut aussah und mit mir tanzte um meinet willen und ich am liebsten all diese Menschen hier weggeschickt hätte um alleine mit ihm zu sein. Aber dann wurde es besser, entspannter. Wir tanzten zwar nah aber immernoch mit ausreichendem Abstand, dass ich nicht direkt vollkommen scharf auf ihn wurde. Wobei ich das ohnehin seit unserem Wiedersehen war aber mir diesen Gedanken weiterhin verbot. Weil meine Sinne so auf ihn fokussiert waren und ich jeden Blick von ihm überall spürte und merkte, dass unsere Körper sich immer wieder für den Bruchteil einer Sekunden berührten  merkte ich erst nicht, dass Rose, Lilly und Alex irgendwann wieder bei uns waren.
Wir tanzten einige Zeit, Rose gab als erste auf und ging zurück zu ihrem Mann und als ich mich etwas später wieder umwandte zu Lilly konnte auf den ersten Blick nur schwer erkennen, wer von beiden wem die Zunge in den Hals steckte. Was jedoch amtlicher als das Amen in der Kirche war, dass meine beste Freundin gerade verdammt eng umschlungen mit ihrem Arbeitskollegen rumknutschte und kein einziges Blatt Papier mehr zwischen die beiden passte.
Ich wandte mich wieder ab, um nicht die Stimmung zu versauen und traf den Blick von Ezra, der nur vielsagend die Augenbrauen nach oben zog. Ich zuckte nur mit der Schulter und deutete in Richtung Lounge, weil ich mittlerweile halb durchgeschwitzt war und dringend etwas zu trinken benötigte. Ezra folgte mir, wir drängten uns durch die Menge und weil wir immer wieder getrennt wurden tat ich das was sich richtig anfühlte und griff nach seiner Hand, zog ihn hinter mir her. Er verschränkte fast unmittelbar unsere Finger miteinander und mir viel auf, dass wir früher nie bzw. kaum die Gelegenheit hatte, Hand in Hand zu laufen. Ich erinnerte mich an maximal ein oder zwei Situationen. Hatte es sich damals schon so unglaublich gut angefühlt, einfach nur die Hand des anderen zu halten?
Ich ließ seine Hand los, als wir wenige Meter vor der Lounge waren, weil mein Kopf sich wieder einschaltete und mir sagte, dass es eventuell zu Fragen führen würde, wenn wir Händchen haltend zu den anderen dazustoßen würden.
„Wo habt ihr Lilly gelassen?" fragte Rose, als wir uns wieder auf die Lederbank setzten.
„Die ist ... beschäftigt" sagte Ezra diskret, wackelte aber so übertrieben mit den Augenbrauen, dass Rosalie fast unmittelbar in schallendes Gelächter ausbrach.
Der Alkohol floss weiter und gerade Lucas und Dave waren jenseits von nüchtern. Wie früher schon war es kaum noch möglich mit den beiden eine ordentliche Unterhaltung zu fahren, weshalb Rose eine halbe Stunde später die Notbremse zog und Dave nach Hause brachte. Außerdem sagte sie, sie wollte unbedingt nochmal in Louises Zimmer schleichen, weil sie sie kleine so vermisste, also verabschiedeten sich die beiden. Wobei eigentlich nur Rose sich verabschiedete, Dave brachte kein Wort mehr raus.
Wir übrig gebliebenen bestellten noch eine Runde bevor auch die Arbeitskollegen von meiner besten Freundin sich verabschiedeten und wir nur noch zu dritt waren.
Lilly war noch immer nicht zurückgekehrt weshalb ich eine Runde durch den Club drehte, doch sie nirgends erkennen konnte. Als ich zurückkam lag Lucas auf der Bank und schlief, Ezra tippte auf seinem Handy herum und sah auf als ich mich wieder setzte.
„Ich find sie nirgends. Meinst du ..." „... ob ich meine, dass die beiden gerade ne gute Zeit auf der Toilette haben? Absolut" beendete der Brünette meinen Satz und grinste mit seinem breiten Ezra-Grinsen. „Ich schreib ihr mal" kündigte ich an und holte mein Smartphone raus.
Erde an Lilly. Wo bist du? schrieb ich und wartete.
„Und?" erkundigte sich Ezra, der schon wieder direkt neben mir saß, obwohl wir mittlerweile die ganze Lounge für uns hatten. Wieder dieses verräterische Kribbeln.
„Keine Antwort. So lange nichts passiert ist soll's mir recht sein, aber ich wäre beruhigter wenn sie mir ein Lebenszeichen schicken würde."
„Wie immer um alle anderen besorgt, Hay. Schön, dass sich manche Dinge wohl einfach nicht ändern" sagte er, jetzt viel sanfter und trotz der anhaltenden Lautstärke verstand ich jedes Wort, weil er so nah neben mir saß, dass er nicht mal mehr schreien musste.
„Hm, manches ist gut, wenn man es sich bewahren kann."
„Ich find's gut. Und du kümmerst dich jetzt aber auch mehr um dich. Das ist gut." bemerkte er weiter.
„Wenn du wüsstest, was ich noch alles für mich tun würde" rutschte es mir heraus, weil ich gerade schon wieder auf diese bestimmt immernoch so weichen Lippen starrte. „Wie meinst du?" las ich ihm von den Lippen ab. „Eh ... egal nicht so wichtig" bemerkte ich beiläufig und war dankbar, dass mein Handy im gleichen Moment aufleuchten.
Sorry Süßer. Ich bin sozusagen abgeschleppt worden. Mir geht's bestens, Alex ist bei mir. Oh Gott ich melde mich morgen. Und ein Zwinkeremoji neben einem Herz. Ich drehte den Display zu Ezra der daraufhin den Kopf ironisch schüttelte und sich zurücklehnte.
„Also nur noch wir drei, was bedeutet, dass wir jetzt irgendwie Lucas in n Taxi setzen sollten und dann machen wir Schluss für heute und gehen heim?"
schlug Ezra vor und als er das Wort „Heim" aussprach dämmerte es mir.
Oh nein.
„Fuck".
„Fuck?" wiederholte Ezra. Fuck Fuck Fuck, das war gar nicht gut.
„Ich ... oh man. Mein Schlüssel ist bei Lilly. In ihrer Tasche. Ich komm zuhause also nicht rein." „Ruf sie doch mal an?".
Ich probierte es fünfmal, beim letzten Versuch landete ich schließlich direkt in der Mailbox - Handy ausgeschalten. Ich war geliefert.
„Also gibt es nur zwei Möglichkeiten: Du gehst mit zu Luke, dem du später dann beim Kotzen zusehen darfst oder du pennst bei mir. Oder natürlich unter einer Brücke." zählte Ezra die Möglichkeiten auf. Eine laue Sommernacht unter einer Brücke - vorzugsweise am Wasser - klang doch gar nicht so verkehrt oder? Der Brünette las meine Gedanken anhand meines Blickes und seine Miene verfinsterte sich minimal.
„Vergiss es Hay. Du kommst mit zu mir. Versuch's gar nicht erst." sagte er während er Lucas hochstemmte und ihn stützte. Ich folgte den beiden aus unserer Lounge und durch den mittlerweile nicht mehr ganz so vollen Club nach draußen.
Ich wollte nicht mit zu ihm. Wobei, doch natürlich wollte ich das, ich wollte unbedingt noch mehr Zeit mit ihm haben. Aber ich hatte richtig Bammel, dass es komisch werde würde. Und wir haben in letzter Zeit so viele komische Gespräche gehabt, dass ich noch immer nicht wusste, woran ich bei ihm bin. Mrs. K würde jetzt sagen, Kommunikation ist alles. Ich hätte ja einfach das Gespräch suchen können. So viele Chancen.
Aber er hätte ja auch die Initiative ergreifen können? Das hat er aber nicht, also bedeutete das schlichtweg, dass es ihm egal war. Obwohl ich selbst am besten wissen müsste, dass das nicht stimmte. Ich sagte nichts, zerbrach mir aber seit Wochen den Kopf.
Teufelskreis.
Wir verfrachteten Lucas in eines der Taxen, die vor dem Club aufgereiht waren, gaben dem Fahrer ein großzügiges Trinkgeld und nannten ihm die Adresse unseres Freundes.
Und da fuhr er davon.
Und wir waren nur noch zu zweit.
Ezra lief los - höchst wahrscheinlich in Richtung seiner Wohnung - und ich zögerte. War hier nirgends ein Motel oder so?
„Komm schon. Ich beiß nicht" sagte er und drehte sich nochmal zu mir um, ging einige Schritte rückwärts und lächelte mich an.
Wie konnte man da nicht schwach werden?
Ich setzte mich in Bewegung, getrieben von meinen niederen Gelüsten, und schloss zu ihm auf.
„Hast du ne Couch?" erkundigte ich mich.
„Ich hab ein wirklich großes Bett. Zwei Decken und zwei Kissen." „Das war nicht meine Frage."
„Aber meine Antwort."
Ich schluckte

After the Storm - Man x ManWo Geschichten leben. Entdecke jetzt