Und ehe ich mich versah stand ich zwei Tage später mit Ezra im Pflanzenfachhandel. In Mitten von unzähligen Grünpflanzen und Mitten im Gespräch mit einer Verkäuferin, die mir seit zehn Minuten die Vor- und Nachteile ALLER Pflanzen im Sortiment erzählte, hatte ich nur Augen für Ezra, der in seiner Samstag-Nachmittag-Freizeitkleidung noch viel hinreißender aussah als in seinem seriösen Dozenten-Outfit. Er war eben immer noch Ezra. Einfach Ezra und das gefiel mir am Besten.
Was mir aber gar nicht gefiel war die Tatsache, dass Ezra noch immer jemanden in seinem Leben hatte, den er bereits ein ganzes Jahr traf. EIN VERDAMMTES JAHR! Das war doppelt so lange wie unsere gemeinsame Zeit damals und ich war damals alles andere als bereit für eine feste Bindung. Da half es auch nichts, dass ich heute wieder gut zwanzig verschiedene Outfits durchprobiert hatte und mir am Ende so unsicher war, wie man sich eigentlich für einen Ausflug ins Gartencenter anzieht, wenn man it einem Typen geht, mit dem man vor fünf Jahren was hatte und der einem heute noch genauso viel bedeutete aber man es ihm nicht sagen kann, wie man fühlt, weil er einen verdammten Freund hat, den er seit einem Jahr trifft. Am Ende ist es eine lockere Leinenhose mit einem weißen Tshirt geworden, da diese Wahl mir am wenigsten verzweifelt vorkam.
Im Gegensatz zu mir war Ezra - zumindest rein äußerlich betrachtet - wie immer die Ruhe selbst und diskutierte mit der Verkäuferin angeregt über die besten Lichtverhältnisse einer Aloe-Vera-Pflanze. Man hätte meinen können, es ginge um seine eigene Wohnung, so engagiert war er bei der Sache.
Egal, welche Frage mir von einem der Beiden gestellt wurde ich konnte keine Antwort geben, die bei der Entscheidung über das Grünzeug half. Ich konnte nunmal einfach nicht einschätzen im meine Wohnung sonnig war oder ob ich ausreichend halbschattige und schattige Orte hatte. Meine Wohnung war tagsüber hell - mehr Expertise konnte ich nicht beitragen. Als weitere 10 Minuten vergangen waren entdeckte ich am Ende des Ganges ein Aquarium mit Clownfischen und stahl mich davon, viel beigetragen hatte ich ohnehin nicht. Also beobachtete ich für eine gewisse Zeit einfach die kleinen Lebewesen beim fressen, schwimmen oder was Fische auch immer sonst noch den lieben langen Tag taten.
Hatten Fische eine Aufgabe? Oder gar einen Job?
Waren sie in gesellschaftlichen Strukturen abgesiedelt?
Trafen Sie sich zum gemeinsamen Mittagessen?
Mochten Sie einander?
Ich beschloss später, wenn ich zuhause war über den Lebensinhalt von Clownfischen zu recherchieren. Schließlich hatte Nemo ja auch eine Familie und Freunde oder? Fuck. Bei dem Gedanken würde ich wohl nie wieder einen Fisch kaufen können. Was wäre, wenn ich dafür verantwortlich wäre, dass ein Kind von seinen Eltern getrennt werden würde?
„Hast du auch ein Aquarium?" holte Ezra, der neben mir auftauchte mich aus meinem Film.
„Auf gar keinen Fall, werd ich auch nie haben" sagte ich empörter, als ich eigentlich klingen sollte bei so einer banalen Frage und erntete dafür ein belustigtes Schnauben von dem Brünetten.
„Okay okay. Und was machen wir mit unserer Pflanzen-Mission? Ich hab keine Ahnung, wie deine Wohnung aussieht, ich glaub du musst es dir vielleicht einfach nochmal überlegen?"
„Mhmm ... oder doch keine Pflanzen, die würden nämlich ohnehin früher oder später jämmerlich zugrunde gehen. Aber diese Aloe-Vera ist recht robust sagte die Verkäuferin? Mehr wird's wohl nicht werden" ich lächelte entschuldigend.
„... oder wir machen uns gemeinsam ein Bild über die Pflanzentauglichkeit deiner Wohnung und ich starte regelmäßige Rettungsaktionen um das Überleben zu sichern?" Sein Lächeln brachte mich abermals zum schmelzen. Mehr als sein Vorschlag, den er mir eben unterbreitet hatte.
„Das klingt gut aber ..." Ich wollte es nicht aussprechen „... ist das wirklich okay, wenn du zu mir kommst?" Augenbrauen zogen sich kritisch zusammen und es dauerte einen Moment, bis Ezra schließlich fragte „Warum sollte das nicht okay sein?"
Seufzen meinerseits.
„Naja, also ich ... oh man ich meine Andrew. Ist das für ihn echt okay, wenn du ausgerechnet zu mir regelmäßig kommst? Ich meine, wir waren ja früher nicht unbedingt ... naja, normale Freunde eben. Das wäre für mich als Partner glaube ich nicht so cool." Ich zupfte nervös am Ärmel meines Shirts und bereute direkt, als ich die Körperhaltung, die Ezra einnahm, bemerkte. Er wirkte plötzlich kleiner, als wäre er ein Stück in sich zusammengesackt. Seufzen.
„Drew ist..." „... Nein sorry, vergiss es. Ich misch mich gar nicht ein." sagte ich schnell, um ihn nicht in Erklärnot zu bringen. „Ich denke, ich würde dann die Aloe Vera erstmal kaufen, hilfst du mir einen Topf auszusuchen?"
Nach meiner erneuten, erfolgreichen Ablenkung schlenderten wir in Richtung Kasse - ich mit einer Aloe Vera, die hoffentlich ein langes Leben haben würde und Ezra mit irgendwas, das aussah wie eine gewöhnliche Zimmerpflanze.
Ficus irgendwas, klang anstrengend.
Anstrengend traf auch gut auf die Stimmung zu. Wir hatten kaum mehr ein Wort gewechselt und mein Gemüt wechselte quasi sekündlich zwischen dem Gedanken, ihn noch mit zu mir zu nehmen - natürlich nur um einen Platz für die Pflanze auszusuchen - und dem tiefsitzenden Wunsch, einfach zu flüchten oder mich am Besten direkt in Luft aufzulösen. Ich entschied mich für einen Mittelweg, wie ich es empfand, indem ich ihm anbot ihn mitzunehmen, ich war eigentlich mit dem Auto gekommen, weil ich mit einer größeren Ausbeute gerechnet hatte. Wir trafen uns vorher am Eingang aber Ezra erwähnte, dass er mit dem Bus gekommen war, also stimmte er zu.
War immerhin die bequemere Variante.
Ich ließ mich von meinem unverhofften Beifahrer durch die Stadt navigieren. Wir fuhren ein Stück auf der Hauptverkehrsstraße in Richtung Süden und kamen irgendwann im Stadtzentrum und schließlich in einer Seitenstraße an als er sagte, ich könne anhalten. Und weil Ezra in solchen Situationen, wie in so vielem anderen, einfach besser war als ich, war auch er es, der wieder zu sprechen begann. Ganz locker und beiläufig wie immer sagte er „Danke für's Mitnehmen, das wäre mit der Pflanze echt nervig geworden im Bus." Er schnallte sich ab und griff nach der Tür und ich schrie innerlich, er sollte doch einfach sitzen bleiben und mit zu mir kommen, aber das konnte er natürlich nicht hören. Ebenso konnte er nicht fühlen, dass meine Hände schwitzig waren und mein Herz so außer Takt schlug, dass ich jeden Moment an einem Herzinfarkt zugrunde gehen würde. Ich nickte nur und schob ein „Immer wieder gerne" hinterher.
Als er ausgestiegen war senkte er nochmal seinen Kopf um in den Innenraum zu mir blicken zu können.
„Schickst du mir Bilder?" Hä?.
Ich blinzelte angeregt, weil ich ihm mal wieder nicht folgen konnte.
„Von deiner Aloe Vera. Ich kann dir dann sagen, ob ich glaub, dass der Platz passt. Du wolltest mich ja nicht zu dir einladen"
Augenzwinkern seinerseits.
Augenrollen meinerseits. Und ein Nicken.
Ich drehte meine Musik auf Anschlag auf um mein wild schlagendes Herz zu übertönen, vielleicht würde es sich ja irgendwann dem Bass der Musik anpassen.
Ich war mir mittlerweile wirklich sicher, dass ich in den letzten beiden Jahren Fortschritte gemacht hatte - alles dank Mrs. K. Aber seit ich dem Brünetten wiederbegegnet bin fühlte ich mich, als würde ich mit jedem Treffen einen Schritt zurück gehen. Ich wusste natürlich, dass es nicht so war.
Ezra triggerte einfach viele meiner Ängste und Unsicherheiten. Die Geschichte zwischen uns konnte nie richtig heilen im Gegensatz zu vielen anderen Themen aus meiner Vergangenheit. Er war und ist immer noch ein wunder Punkt von mir, ein Kapitel das ich nicht abschließen konnte. Nicht abschließen wollte. Und irgendwann würde ich mich allem stellen und die Sache wäre vorbei. Abgeschlossen. Aber musste es so sein? Rein rational betrachtet: Ja. Wir haben beide weitergemacht, haben uns entwickelt und sind nicht mehr die, die wir vor fünf Jahren waren. Ich konnte aber nicht mal einen Brief an ihn schreiben, wie sollte ich also mit ihm umgehen, wenn wir uns weiterhin so oft sehen würden?
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After the Storm - Man x Man
RomanceHayden ist gefangen in seinem Leben, das bestimmt wird durch seine vielen Dämonen. Als er in dieser einen Nacht zum ersten Mal auf Ezra trifft, beginnt ein Sturm aufzuziehen. Ein gewaltiger, der sein Leben prägen würde - für immer. Es war nur ein ha...