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Zwei Wochen konnten eine halbe Ewigkeit sein, das spürte ich am eigenen Leib.
Ich lebte von Telefonat zu Telefonat, weil ich ihn schrecklich vermisste und mein Job fühlte sich währenddessen wie eine leidige Nebentätigkeit an. Tatsächlich meldete er sich alle zwei bis drei Tage, erzählte von der Exkursion, den vielen italienischen Gerichten die „nicht von dieser Welt waren" und den vielen Sorten Gelato, die er dort probierte. Ein bisschen neidisch war ich schon.
Ich wusste nur nicht ob auf die vielen Sorten Gelato oder auf die Studenten, die quasi zwei Wochen Urlaub mit Ezra machen durften.
Vermutlich auf beides.
Wenn ich nicht gerade arbeitete oder Ezra vermisste versorgte Lilly mich mit den neuesten Entwicklungen zwischen ihr und Alex. Denn natürlich war es nicht bei einer Nacht geblieben. Es folgte eine zweite und dritte und ein „offizielles Date" wie sie es nannte, das so kitschig romantisch geklungen hatte, dass ich am liebsten Rosenblätter gekotzt hätte.
Und endlich war Freitag, wodurch ich endlich die Gelegenheit hatte Mrs. K von all diesen vielen Dingen zu erzählen, die sich zugetragen hatten. Ich redete die ersten zwanzig Minuten und damit ein Drittel unseres Termins umkoordiniert und wie ein Wasserfall, sprang immer wieder zwischen den Ereignissen hin und her weil mir immer wieder neue super wichtige Details eingefallen waren und meine Therapeutin sah mich durch den Bildschirm die ganze Zeit mit diesem verhaltenen Psychologen-Schmunzeln an, was ich als positiv deutete.
„Hayden, sie sagen, dass sie nicht definiert haben, in welcher Beziehung sie zueinander stehen. Aber sie haben da bereits eine Tendenz oder?" fragte, als ich meinen Monolog abgeschlossen hatte. Jetzt war ich es, der schmunzelte.
„Das klingt alles wunderbar. Denken Sie nur daran, dass egal, wie es weiter läuft alles gut wird ja? Man kann eine Beziehung nicht erzwingen, wenn nur eine der beiden Parteien es will. Aber das wissen sie ja. Ich drück die Daumen."
„Danke. Ich glaub, dass wir endlich eine Basis haben, an der wir arbeiten können." „Apropos Basis. Ich habe aus unserer letzten Sitzung einen Vermerk in den Kalender eingetragen. Wie stabil ist ihre Mutter-Basis? Morgen ist das Treffen mit ihrer Familie richtig?" sprach sie das aus, was ich noch auf meinem Schmierzettel für unsere heutige Sitzung hatte.
Tatsächlich waren Treffen mit meiner Mutter immernoch irgendwie schwierig, aber seit sie nicht mehr trank konnte ich besser mit ihr umgehen. Aber auch sie musste erst heilen, sich ihre Problemen stellen. Sie gab sich Mühe und das freute mich unglaublich. Einmal im Monat besuchten Jaden und ich sie in ihrer Wohngruppe, so würden wir es auch jetzt wieder tun und ich war erneut etwas aufgeregt, wie es wohl laufen würde.
„Ich glaub, dass es gut wird. Jaden ist dabei, also wird es schon mal nicht schlimm." bemerkte ich und ich hasste es, dass Mrs. K direkt eine Notiz machte.
„Aber selbst wenn nicht, es ist ein Prozess. Ihre Mutter wird vielleicht nicht mehr betrunken sein, aber auch ihr Trauma muss heilen. Das hat nichts mit dir zutun, auch wenn du es wieder auf Sie projizieren könnte. Immer daran denken und Distanz gewinnen, wenn auch nur gedanklich. Wenn es zu schlimm wird können Sie ihren Bruder bitten, sie nach hause zu fahren." ich nickte, aber nahm mir fest vor, es zu schaffen.
Und das tat ich. Ich besorgte Zitronenkuchen aus dem Café und ließ mich dort auch von Jaden abholen. Ich durfte immer auf der Hinfahrt die Musik wählen und er auf dem Heimweg. Also lief wie immer K-Pop im Hintergrund, als wir auf der Landstraße fuhren und ich nahm wahr, dass meine Brust sich noch immer etwas zusammenzog, wenn wir das Ortsschild der neuen Heimat meiner Mutter passierten.
Doch es passierte nichts. Wir aßen Kuchen, brachten Mum auf den neuesten Stand, obwohl ich mir noch immer nicht sicher war, ob sie es überhaupt interessierte, was ich zu sagen hatte. Aber sie hörte mittlerweile zu. Das war gut.
Sie erzählte uns von Stephens neuester Obsession, dem Backen und, dass er ständig Kuchen mitbrachte, was ihre Mitbewohnerinnen sehr liebten, ihr hingegen war es furchtbar unangenehm, jedoch sagte sie nichts weil sie einfach dankbar war, dass er noch hier war.
Dass wir alle noch da waren.
Stephen hatte sich damals nach ihrem Zusammenbruch schwer getan bei ihr zu bleiben. Wir telefonierten oft, nachdem ich den Kontakt abgebrochen hatte zu meiner Mutter und er erzählte mir ganz offen, dass es schwer war. Sie trank schließlich noch eine lange Zeit weiterhin. Letzten Endes war er geblieben, half ihr aus der Sucht und hielt Zuhause die Stellung.
Bis sie irgendwann soweit war. Bis sie wieder zurückkehren würde wo sie hin gehörte.
Wir saßen gerade im Auto, auf halbem Weg zurück und meine Brust fühlte sich wieder leichter an, als ich ein Foto bekam, wie Ezra eine Kugel Pistazieneis vor sein Gesicht hielt.
Sorte Nummer 12 schrieb er dazu und mein Gesicht musste Bände sprechen.
Lecker tippte ich und ein Eis-Emoji dazu.
„Ist er das?" fragte Jaden, der meine Reaktion bemerkt hatte. Er war beim Thema Ezra weitestgehend informiert. Seit damals habe ich es mit ihm geteilt, wenn der Brünette mal wieder in meinem Kopf herumgespukt hatte.
Ich nickte.
„Wirst du es ihm bald sagen? Ich mein, was du fühlst. Er hat es dir ja mehr oder weniger schon gesagt letzte Woche." „Hmm.. ich weiß nicht, ich denke ich warte mal ab wie es wird wenn er wieder da ist" teilte ich meine Gedanken, weil ich es nicht wusste. Ich würde es eigentlich gerne in die Welt hinaus schreien aber gleichzeitig hatte ich immernoch Angst, dass es einfach zu endgültig wäre, wenn ich es ausspräche. Dann könnte er mich abweisen.
„Wie es wird? Was, der Sex? Ehrlich Hay" Witze er und ich liebte ihn dafür, dass er immer wusste, wann ich es braucht, dass er die Situation auflockerte.
„Das auch" sagte ich trocken.
„Hay ehm ... okay nein vergiss es, ich will keine Grenze überschreiten" winkte er ab. Ich kannte meinen Bruder, ich wusste, dass er mindestens so neugierig war wie ich. „Hau raus Jaden, vor dir muss ich nichts zurückhalten." Ich war tierisch neugierig.
„Okay, aber bitte schlag mich später nicht ja? Ich würde gerne zu meiner Frau gesund und mit einem intakten Auto zurückkehren. Das Haus war scheiße teuer, n neues Auto ist grad nicht drin." „Jay... los jetzt"
„Bist du eigentlich ... also wenn ihr Sex habt ... Shit, das ist so dämlich. Bist du-." „- ob er mich fickt oder ich ihn? Wow, ich weiß nicht womit ich gerechnet hatte, aber nicht damit"
Tomate. Diese Assoziation hatte ich mit der Farbe, sie sein Gesicht fast sofort annahm und ich konnte das Lachen nicht zurückhalten. Diese Frage war so banal, dass ich einen Moment brauchte um mich zu sammeln. Mein Bruder wollte allen ernstes wissen, wer von uns wen nahm und alleine bei dem Gedanken wurde mir wärmer, als es mir werden sollte. Nicht, weil mir die Frage so unangenehm war - und oh Gott, das war sie letzten Endes doch - sondern weil automatisch Bilder ... viele Bilder in meinem Kopf waren.
„Um deine unbändige Neugierde zu befriedigen: Ich bin der passive Part." „Immer? Also steht ... steht sowas fest?"
Es half nichts. Mir kamen mittlerweile die Tränen, es war einfach viel zu lustig, wie er vor sich hin murmelte und sein Gesicht aber gleichzeitig widerspiegelte, dass ihm diese Fragen wirklich auf der Seele brannten.
„Eh ... also ich kenn schon einige, die immer wieder die Parts wechseln. Aber die meisten haben dann doch eine Präferenz aus meiner Erfahrung. Ich hab ... also ich war bisher immer passiv. Ich weiß nicht, ob ich das andere überhaupt mal probieren will" tatsächlich hatte ich noch nie darüber nachgedacht, einen Mann zu nehmen, dieses Szenario passte in meinem Kopf irgendwie nicht.
„Vielleicht will dein Typ ja, dass du ihn fickst? Das wär doch die Gelegenheit ..." „Halt's Maul Jaden." prustete ich und das Thema war endlich beendet.
Niemals im Leben könnte ich sowas ansprechen bei Ezra.
Nie nie niemals.
Ausgeschlossen.
Wir kamen am frühen Abend wieder an und ich ging noch eine Runde trainieren. Obwohl ich die Treffen mittlerweile gut verkraftete fühlte ich mich nach wenigen Stunden mit meiner Mutter immernoch, als hätte jemand meine gesamte Energie ausgesaugt. Mein Kopf war so voll und überlastet, dass ich dringend einen Ausgleich brauchte.
Ich war gerade aus der Dusche gestiegen und hatte mir ein Handtuch um die Hüfte gebunden, als mein Handy vibrierte.

After the Storm - Man x ManWo Geschichten leben. Entdecke jetzt