Aber gerade meine beste Freundin sollte ich besser kennen. Es war Sonntag und ich hatte beschlossen einfach im Bett zu bleiben, zumindest bis es an der Tür klingelte. Ich hielt an meinem Plan fest, bis ich die Tür öffnete und davor nicht nur meine beste Freundin stand sondern unsere gesamte Clique. David, Rosalie und Lucas grinsten mir aus dem Flur zu und ich hätte am liebsten geschrien und mich eingesperrt. Aber das wäre zu einfach gewesen. Dann hätte ich ja das getan, was mein Herz in diesem Moment gesagt hätte. Ich war eigentlich nicht in der Verfassung, jemanden zu sehen und das wusste auch Lilly. Aber es war ein Versuch. Ein verzweifelter Versuch meiner Freundin, mich abzulenken.
Und ich liebte sie dafür. Und hasste sie. Gleichzeitig. Ich ließ mich dazu breitschlagen mit ihnen loszuziehen: Eine Runde durch den Park und danach ins Café am Campus aufwärmen. Es war noch immer schweinekalt draußen.
Rosalie hakte sich bei David ein und ich warf Lilly seinen fragenden Blick zu, woraufhin sie an meinem Ärmel zupfte und wir ein paar Meter hinter unsere Gruppe fielen.
„Es ist noch nicht offiziell"
„Aber...?"
„Aber ... ich glaube, Rose ist Dave verliebt. Sie redet von nichts anderem mehr und geht bei ihnen zuhause scheinbar seit einigen Wochen ein und aus. So meinte zumindest Lucas. David redet mit ihm und Rose mit mir - so haben wir 1 und 1 zusammengezählt." erzählte sie und gab sich dabei Mühe, leise genug zu sprechen, dass die anderen uns nicht hören konnten.
„Das ist ja ein Ding" sprach ich meinen Gedanken aus.
„Und du? Bzw. du und Ezra? Das ist ja auch so was unausgesprochenes" Ihr Ellenbogen landete in meiner Seite.
Ich hatte Ezra schon wieder ignoriert.
„Das ... ich weiß nicht. Er war Donnerstag bis gestern bei mir und es war schön, wirklich wirklich schön. Aber sobald er nicht da ist hab ich das Gefühl wir sind meilenweit voneinander entfernt, weißt du? Ich konnte ihm nicht von meinem Vater erzählen und das mit Meiner Mutter... ich weiß es nicht. Ich glaube das macht keinen Sinn. Einerseits würde ich gerne alles mit ihm teilen aber gleichzeitig will ich ihn nicht mit meinem Scheiß beladen. Ich will nicht, dass er geht."
„Oh wow, du bist verliebt." bemerkte meine beste Freundin und hatte ein breites Grinsen im Gesicht. Es war realer, wenn sie es aussprach, obwohl ich auch schon darüber nachgedacht hatte. Ich hätte mich niemals getraut, es auszusprechen. Also nickte ich nur.
„Aber Hay, du kannst nicht das eine haben ohne das andere. Wenn du ihn willst, alles von ihm. Dann musst du ihm auch irgendwann alles von dir geben. Wenn er es ernst meint, wird er alles nehmen. Aber ein bisschen Risiko wird dir bleiben."
„Ich kann ihm nicht alles sagen und gleichzeitig verlangen, dass er bleibt. Er ist nicht wie du, Lilly. Es gibt Grenzen. Er weiß, dass mein Verhältnis zu Mum angestrengt ist, er weiß von meiner Essstörung und er hat sofort durchschaut, dass ich ständig unter Druck stehe und Angst habe. Er weiß schon viel zu viel, wie kaputt ich bin. Wer behält etwas, wenn er weiß, dass es kaputt ist? Und er ist so... perfekt, positiv, attraktiv und all das was ich nicht bin."
„Du hast Angst" brachte sie auf den Punkt. „Angst, dass er dich verlassen wird oder? Du glaubst, du könntest es nicht verkraften, wenn er erstmal ganz in deinem Herzen ist. Das ist wirklich süß - aber wie ich bereits sagte. Du kannst nicht das eine ohne das andere haben. Du musst mutig sein."
Die Worte hingen zwischen uns. Ich wusste, dass Lilly recht hatte und alles, was sie sagte machte natürlich Sinn. Aber ich hatte wirklich Angst und stand mir selbst im Weg.
„Hey eins noch. David hat mir erzählt, dass Ezra stress mit seinem Vater hatte, weshalb er jetzt auch eine Zeit lang hier ist. Wie auch immer, scheinbar hat sein Vater sich gemeldet und will versuchen, alles in Ordnung zu bringen. Auch er hat sein Päckchen zu tragen, aber ihr könnt das hinbekommen. Ich glaub da dran"
„Danke Lilly. Für alles."
Ich wollte es nicht zulassen, aber die Tatsache, dass Ezra seine familiären Probleme lösen konnte und ich ganz offensichtlich nicht, löste wirklich schlechte Gefühle in mir aus. Neid. Je länger ich Ezra kannte, desto mehr Neid empfand ich und wünschte mir, so zu sein wie er. Aber es zeigte mir auch, wie schwach ich war. Ezra war stark, ich nicht. Gedanken wie dieser kamen mir immer öfter.
„Hey man, was murmelt ihr beiden da hinten?" rief Lucas uns zu, da die anderen mittlerweile fast 10 Meter weiter waren als wir.
„Wenn ihr euch nicht ein bisschen beeilt, dann hängen wir euch noch ab"
Wir liefen weiter, quer durch den Park, aber nicht an dem See vorbei und erreichten eine Stunde später das Café am Campus. Keine Spur von Ezra. Unbeabsichtigt sah ich mich trotzdem in den Räumlichkeiten um und blieb an dem Platz hängen, wo er vor zwei Tagen gesessen hatte.
Wäre ja auch zu schön gewesen.
Ich ließ mich zu einem Stück Schokokuchen überreden und blieb bei meinem schwarzen Kaffee. Wir quetschten uns in eine Lounge-Ecke und rutschten alle um einen kleinen Tisch herum auf unseren Sesseln. Es tat gut im Warmen zu sein und in Gesellschaft meiner Freunde. Ich war letzten Endes also doch froh, heute mitgekommen zu sein.
Mein Handy vibrierte.
Du fehlst mir. Und ein Kuss-Emoji.
Ich komm hier heute gar nicht voran. Haben dich die anderen abgeholt? David hat da was erwähnt.
Meine Mundwinkel zuckten. Er fehlte mir auch. Sehr.
Sie standen einfach vor meiner Tür. Ich hatte keine Chance, also habe ich mich kampflos ergeben.
Du bist stark Hay.
Lüge. Ich bin alles aber definitiv nicht stark, nicht so wie er.
Viel Erfolg noch, ich halte dich nicht vom Arbeiten ab.
Ich steckte mein Handy wieder in die Tasche, bevor ich dem Drang nicht mehr Wiederstehen konnte, seine Stimme zu hören. Ich hatte seine Nachricht vom Vortag einfach ignoriert, mal wieder. Ich musste an Lillys Worte denken - es könnte so einfach sein. Ich wollte ihm so gerne sagen, was ich für ihn empfand, ihm alles erzählen was mich so verdammt verkorkst gemacht hatte. Er würde es verstehen oder?
Aber ich hatte so verdammte Angst, dass es alles zu viel sein würde. Dass der Hayden, der ich war nicht genug sein würde.
Du kannst nicht das eine ohne das andere haben.
Mein Herz klopfte wie wild als ich dem Impuls der plötzlich kam folgte und mein Handy wieder zückte, um eine Nachricht zu schreiben.
Wann können wir uns sehen? Ich würde gerne mit dir reden, Ez.
Dann sperrte ich mein Handy sofort wieder und steckte es weg. Am liebsten hätte ich es quer durch das Café geworfen, so nervös machten mich die Worte, die ich eben getippt hatte.
Risiko. Ja, es geht nicht ohne Risiko. Keiner kann mich davor schützen, wenn ich glücklich werden will.
DU LIEST GERADE
After the Storm - Man x Man
RomanceHayden ist gefangen in seinem Leben, das bestimmt wird durch seine vielen Dämonen. Als er in dieser einen Nacht zum ersten Mal auf Ezra trifft, beginnt ein Sturm aufzuziehen. Ein gewaltiger, der sein Leben prägen würde - für immer. Es war nur ein ha...