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Der Weg zu seiner Wohnung war viel zu kurz, ich war noch nicht fertig damit, alle möglichen Szenarien durchzuspielen, als er den Schlüssel in das Schloss seiner Wohnungstür öffnete und wir seine Wohnung betraten. Seine Wohnung war geräumig, alleine der Flur war breit genug, um dort einen Schrank aufzustellen und Ezra hatte definitiv ein Händchen für Deko. Und Pflanzen. Lebendige Pflanzen.
Ob Hannibal es hier besser hätte? Mehr Gesellschaft hätte er hier jedenfalls mit Sicherheit.
„Willst du duschen?"
Oh ja sehr gerne. Moment - Was? Einen Moment starrte ich meinen Gegenüber skeptisch an und wog ab, ob ich so verschwitzt wie ich war sein Bett versauen sollte oder einfach über meinen Schatten springen sollte und sein Angebot annehmen. Ich entschied mich für letzteres.
„Ich hab nichts dabei" sprach ich das offensichtliche aus, als ich ihm ins Wohnzimmer folgte. Er knipste eine Lampe an und der Raum erstrahlte in gedämmten, warmen Licht. Ich wusste jetzt, warum er mir nur das Bett anbot: Er hatte zwar eine Couch, diese war aber unterirdisch klein.
Wie konnte ein Mann seiner Größe hier entspannt fernsehen?
„Ich weiß es kommt plötzlich, aber ich besitze mehr als eine Boxershort und eine beachtliche Menge an Shirts. Stell dich nicht so an Hay, wir haben schon weitaus andere Dinge geteilt."
Wieder diese Stille. Unangenehme, durchbohrende Stille.
„Fuck, sorry. War n dummer Spruch." ruderte er sofort zurück und die Stimmung war noch komischer, als sie ohnehin schon war.
Ich willigste dennoch ein, sein Bad zu benutzen, weshalb Ezra mir Wechselkleidung in die Hand drückte und mir das Bad zeigte. Er hatte sogar Ersatzzahnbürsten. Wie gut konnte man auf nicht angemeldeten Besuch vorbereitet sein? Ich schrieb auf meine imaginäre Einkauflsiste ebenfalls Ersatzzahnbürsten, als ich mich unter den lauwarmen Strahl stellte.
Ezra war nicht im gleichen Raum, dennoch war das Gefühl nackt in seiner Dusche zu stehen wahnsinnig intim. Ich benutzte sein Duschgel, sein Shampoo und eines seiner Handtücher bevor ich in seine Klamotten schlüpfte.
Mein Herz raste. Es roch alles nach ihm und ich fühlte mich plötzlich diesem Typen wieder so nah, obwohl ich gar nicht mal seine Nähe gespürt hatte in diesem Moment.
Meine Beine drohten nachzugeben, als ich in Boxershort und seinem Shirt das Bad verließ. Ezra, der mittlerweile auf seiner Miniaturcouch saß, schaute zu mir auf und sein Blick haftete eine Sekunde zu lange auf meinem Körper sodass mein Aufzug mir unangenehm wurde und ich demonstrativ das Shirt, das mir ohnehin zu groß war noch weiter über meine Beine zog, obwohl es unsinnig war. Er hatte mich nackt gesehen, über ihm. Unter ihm. Was könnte er also sehen, das er nicht sowieso schon kannte?
Er stand auf und ging in meine Richtung, während ich einfach stehen blieb, wie eine Statue. Als er irgendwann so nah vor mir stand, dass ich seine Körperwärme ausstrahlen spürte wich ich instinktiv einen Schritt zurück. Wieder dieses Starren.
Wieder diese Blicke auf mir. Auf meinen Lippen sodass ich diese automatisch befeuchtete.
„Ezra ..." flüsterte ich.
„Hayden du ... also ..." stammelte der Brünette, schob mich dann aber ein Stück zur Seite.
Oh.
„... ich würd gern auch Duschen aber du stehst mitten in der Tür. Darf ich vorbei?" sagte er sanft. So sanft, dass ich glatt vergessen hätte, wie unangenehm diese Fehleinschätzung meinerseits war. Reiß dich zusammen, Hayden. Wir sind hier nicht in einem zweite-Klasse-Liebesroman. Ich wich zur Seite und als er die Tür geschlossen hatte ging ich ins Schlafzimmer, welches er mir vorhin direkt gezeigt hatte. Das Bett war wirklich groß und er hatte auch mit der Anzahl der Decken und Kissen nicht gelogen. Ich öffnete das Fenster, weil draußen ein frischer Wind ging. Ich setzte mich im dunklen Raum auf das Bett und schaute nach Draußen, wo die Dunkelheit immer wieder von einzelnen Blitzen erhellt wurde. Die letzten Tage war es schwül und es kündigte sich mit jedem Tag, der verging, mehr ein Gewitter an. Der Wind und die Blitze, das leichte grummeln in der Ferne. All das kündigte ein Sommergewitter an. Ein Sturm - dachte ich in diesem Moment - wie Ezra. Und der Gedanke daran und dieser Sturm vor meinen Augen halfen mir dabei, den Sturm, der sich gerade in meinem Inneren zusammengezogen hatte, wieder aufzulösen. Ich wurde ruhig, mein Herzschlag summte leise und bedächtig in meiner Brust.
Ich nahm nicht wahr, wie das Wasser ausgestellt war und Ezra aus dem Bad kam. Erst, als sich die Matratze hinter mir senkte und es noch mehr nach Ezra roch, als es das ohnehin schon tat, wandte ich mich um und sah ihn auf seiner Betthälfte sitzen.
„Was machst du?" fragte er leise. Und obwohl es unsinnig war zu flüstern, weil wir hier ja sowieso alleine waren und die Nachbarn sicherlich kein Flüstern von uns hören konnten, flüsterte ich zurück.
„Ich liebe Gewitter. Ich fand es schön und hab das Wetter beobachtet. Bist du müde?" „Weniger, als ich sollte." sagte er immernoch leise und ich bemerkte das leichte Hadern in seiner Stimme. Ich hinterfragte es nicht, weil es gerade so herrlich ruhig in mir und um mich herum war.
Ezra legte sich auf seiner Seite hin, allerdings deckte er sich nicht zu da es viel zu warm war. Er lag auf dem Rücken und ich wandte meinen Blick wieder ab, weil er im Mondschein einfach unglaublich attraktiv war. Und er hatte definitiv zu wenig an, obwohl er quasi das gleiche wie ich trug.
Ich atmete gegen meinen wieder aufkeimenden Herzschlag an.
Ganz ruhig. Nichts passiert.
Wir waren nur zwei schwule Männer, die vor fünf Jahren mal was hatten, das definitiv mehr als ein Techtelmechtel aber weniger als eine Beziehung war. Und die Tatsache, dass ich noch immer so viel für ihn fühlte machte es noch leichter, ihn nicht weiter zu beachten.
Das redete ich mir ein.
Und es klappte nicht.
Wie angewurzelt saß ich auf meiner Betthälfte, dem Fenster, das über dem Kopfteil des Bettes war, zugeneigt. Ich beobachtete die dunklen Silhouetten der Bäume, die ich erkennen konnte. Ich lauschte dem Wind und dem Grummeln und dem leisen Regen, der mittlerweile eingesetzt hatte.
Ich liebte Sommergewitter. So sehr. Also blieb ich einfach sitzen und versuchte zu ignorieren, dass Ezra weniger als einen Meter von mir entfernt lag. Ich saß auf seinem Bett. In seiner Wohnung. Nur wir beide.
Fuck. Ich wäre am liebsten aufgesprungen und geflüchtet, um mich nicht diesen Gefühlen zu stellen. Diesem ziehen in meiner Brust und diesem Kribbeln unter meinem Bauchnabel, das sich anfühlt als wäre ich wieder Mitte zwanzig und verdammt verliebt. Nur, dass ich damals nie wirklich wahrgenommen habe, dass ich verliebt war. Ich hatte es mir verboten, die vielen Gefühle einfach unterdrückt und vielleicht fühlte es sich ja deshalb gerade in diesem Moment so an, als hätte ich tausend Hummeln in meinem Bauch.
„Hayden?" Gott, bitte sag meinen Namen nicht. Nicht so. Nicht mit dieser leisen, sanften Ezra-Stimme, die die Hummeln in meinem Inneren nur noch mehr anstachelte.
„Mhhhm?" brummte ich, als wieder ein Blitz den Himmel und das Schlafzimmer erhellte. Hätte ich ihn angesehen, dann wüsste ich jetzt, wie er mich ansah. So spürte ich nur seinen Blick, der irgendwie, irgendwo auf mir lag.
Es raschelte neben mir und im Augenwinkel sah ich Ezra's Kopf, der neben mir auftauchte, weil er sich auch hingesetzt hatte.
Da er nichts mehr sagte fragte ich „Stör ich dich beim Schlafen? Sorry ich ... ehm, ich leg mich gleich hin okay?" und es dauerte eine weitere Minute, wenn nicht sogar länger, bis er endlich antwortete.
„Du hast recht" flüsterte er neben mir. „Du hältst mich vom Schlafen ab, weil der Gedanke, dass du hier bist mich nicht schlafen lässt. Du trägst meine Sachen, bist in meinem Bett und bist so unglaublich hinreißend, wie du nur Augen für das Gewitter draußen hast während mein Herz gleich explodiert."
Jetzt war es aber doch mein Herz, das einen Schlag aussetzte. Und das nur, wegen seinen Worten. Und das Gewitter war plötzlich doch gar nicht mehr so interessant
„Ich hab doch gesagt, ich liebe Gewitter. Aber ..." Ich tastete blind nach Ezra's Hand, die irgendwo neben mir auf dem Bett war und zog sie an meine Brust. „... wenn ich mich nicht weiter auf die Blitze und den Regen konzentriere, dann wird es mein Herz sein, das in alle Einzelteile zerspringt" flüsterte ich, weiterhin ohne ihn anzusehen, weil ich sonst meine eben ausgesprochene Drohung wahr machen würde. Seine warme Hand auf meiner Brust reichte schon aus, um den Sturm in mir wieder loszutreten.
Heftiger als zuvor.
„Hayden. Schau mich an" sagte er jetzt noch näher bei mir, obwohl ich gar nicht wahrgenommen hatte, dass er sich weiter zu mir bewegt hatte. Ich nahm aber auch seit einigen Sekunden nicht mehr das Sommergewitter wahr, das ich so liebte.
Aber vermutlich war es nicht das einzige, das ich liebte.
Vermutlich ganz sicher sogar.
Ich drehte meinen Kopf zu ihm und da waren sie, diese leuchtenden Augen, die mir vorhin und so oft zuvor bereits aufgefallen waren. Nur, dass sie jetzt nicht die vielen Lichter reflektierten sondern die Dunkelheit spiegelten. Ich konnte nicht sagen, ob es nur reine Dunkelheit von draußen war oder noch etwas anderes, noch dunkleres, das ich in seinem Blick erkennen konnte.
Etwas pures, reines.
„Du bist ... so schön Hay." Ezra's Gesicht war vielleicht noch 10 Zentimeter von meinem Entfernt. Eine lächerliche Distanz, die einfach war zu überwinden und dennoch sahen wir uns einfach an und sagten nichts. Und dies Blicke feuerten den Sturm weiter an und es zog und brannte in mir überall in meinem gesamten Körper.
Und es war wieder Ezra, der die Initiative zu ergreifen schien und sich so nah an mich lehnte, dass ich seinen Atem spüren konnte.
Noch zwei Zentimeter.
Und normalerweise würde ich mich jetzt fragen, ob das ein Fehler war. Ob es eine Grenze war, die wir nicht überschreiten sollten. Weil ich noch immer nicht wusste, was das alles war und was jetzt eigentlich mit der Sache mit Drew war und ich wusste ehrlich gesagt gerade gar nichts, deswegen sagte ich nichts. Weil mein Körper funktionierte. Weil ich gut war.
Und das war manchmal alles, was wichtig war.

After the Storm - Man x ManWo Geschichten leben. Entdecke jetzt