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Seit Neujahr waren vier Wochen vergangen und der erste Monat des Jahres war fast vorüber - so auch unsere Prüfungen. Nach meinem Abend mit dem Brünetten haben wir uns ein paar Mal gesehen, jedoch fast immer im Beisein unserer restlichen Truppe. Meist saßen wir zusammen am Campus und haben gelernt oder waren am Wochenende alle zusammen bei irgendjemandem von uns zuhause und haben uns vom Unistress erholt. Definitiv hatte sich seit Silvester etwas verändert. Es war nicht viel, aber ich spürte regelrecht die Blicke von Ezra auf mir, alle Sinne waren nur noch auf ihn geschärft.
Ich wollte mehr.
Leider bekam ich aber nicht mehr.
Ich spürte immer noch seine weichen Lippen auf meinen, seine sanften Berührungen auf meinem Körper. Jeder Faser von mir sehnte sich nach ihm. Er spukte mir im Kopf herum, während ich lernte. Selbst während meinen Prüfungen schweiften meine Gedanken immer wieder ab.
In den letzten beiden Wochen war er jedoch so beschäftigt mit seiner Abschlussarbeit, dass er gar nicht mehr zu unseren Treffen kam. Wenn ich überhaupt etwas von ihm gehört hatte, dann nur eine kurze Nachricht.
Ich vermisste ihn.

Lilly und ich hatten unsere letzte Klausur gerade abgegeben und saßen in der Mensa, tranken Kaffee, als Lucas und David dazukamen, die eben eine Präsentation halten mussten.
„Man, die Präsentation hat mir den Rest gegeben" seufzte David, als er sich neben mich setzte.
„Du hattest wenigstens keinen Blackout Kumpel. Mit Sicherheit gibt das eine Notenstufe Abzug - meine Eltern killen mich." Lucas Eltern waren Geschäftsleute und sahen in ihrem Sohn schon sehr früh den nächsten Geschäftsführer der Firma. Entsprechend wichtig war ihnen, dass Lucas einen guten Schnitt erzielte, damit niemand behaupten würde, er würde sich darauf ausruhen, dass ihm später sowieso mal eine Firma gehören würde.
„Wie lief's bei euch?"
„Wird im schlimmsten Fall eine 2 - war relativ easy" erzählte Lilly und ich nickte zustimmend. Ich hatte mich gut vorbereitet und da meine beste Freundin und ich schon immer zusammen lernten, konnten wir alle Aufgaben problemlos lösen.
„Also, ich geh jetzt erstmal vorne Kuchen holen - haben wir uns nach dem ganzen Stress verdient! und heute Abend gehen wir in den Club. Wir haben seit Silvester nicht mehr zusammen getrunken" verkündete Lucas und verschwand in Richtung Theke.
„Schau nicht so, Hayden. Geh mit uns feiern!" stupste mich Dave an, der mittlerweile natürlich wusste, dass ich nicht gerne feiern ging. Er dachte einfach, ich wäre eine Spaßbremse. Ich dachte mir, ich würde den Abend überstehen - für meine Freunde. Eigentlich hatte ich gehofft Ezra heute hier zu sehen und wollte ihn fragen, ob wir uns sehen wollen. Wir haben seit Neujahr nicht mehr wirklich Zeit alleine verbracht geschweige denn waren wir uns irgendwie nah.  Je mehr Zeit ins Land gezogen war, desto öfter schwirrte er mir im Kopf rum. So schön dieses Gefühl war, es machte mir gleichzeitig eine riesen Angst. Ich fühlte mich, als würde ich klammern, obwohl ich nicht einmal gefragt hatte, ob wir uns sehen. Ich hatte Angst, dass er mir zu wichtig wird und er mich wegstößt. Natürlich hätte ich mit ihm reden können über meine Gedanken - ich war aber nunmal über 20 Jahre meines Lebens darauf getrimmt worden andere NICHT mit meinen Gedanken zu belästigen. 
Es war wie immer: Ich steigerte mich hinein. Je mehr mich meine Gedanken stressten, umso stärker kontrollierte ich diese, indem ich meinen Fokus auf etwas anderes lenkte: Essen. Wobei es eher darum ging, nichts zu essen. Oder zumindest weniger, als während der Feiertage.

Aufgrund der fehlenden Aufmerksamkeit von Ezra haben die Stimmen in meinem Kopf irgendwann gesagt, dass er vielleicht mehr auf mich zugehen würde, wenn ich wieder etwas abnehme. Natürlich waren diese Gedanken irrational - dagegen wehren konnte ich mich nicht.
Ich nahm eine Gabel von dem Kuchen, den David ausgegeben hatte und schob den Rest zu Lilly, welche mir einen besorgten Blick zuwarf. Ich klammerte mich stattdessen an meinem schwarzen Kaffee fest, obwohl ich wirklich große Lust auf dieses Stück Kuchen hatte.
Teufelskreis. Wie immer.
Als ich zuhause ankam, blieb mein Handy weiter stumm. Und je länger ich Ezra nicht sah oder kaum von ihm hörte, desto mehr machte sich der Gedanke in mir breit, dass unser Kuss einfach ein Zufall war. Oder ein dummer Fehler. Mitleid?
Mir fiel auf, dass ich direkt nach diesem berauschenden Gefühl schon Angst hatte, dass es nicht lange halten würde. Er würde wieder gehen. Ist er vielleicht schon gegangen und wir waren nicht mehr als Freunde, die zufällig einen schönen Abend hatten?
Meine Sorgen waren unnötig, denn alles ließ sich vollkommen logisch erklären: Nach Neujahr hatten wir beide Stress mit Klausuren bzw. Ezra mit seiner Abschlussarbeit, die mittlerweile in der heißen Phase war. Wenn wir uns trotzdem sahen, waren immer andere dabei und da wir das zwischen uns ja nicht definiert hatten, wäre es ja auch komisch gewesen, plötzlich aneinander zu klammern.

Mein Handy klingelte und ich ging aus Reflex ran. Ich dachte pausenlos an Ezra und hoffte, er wäre am anderen Ende der Leitung.
Doch es war meine Mutter.
„Endlich erreiche ich dich mal." begrüßte sie mich. Herzlich wie immer.
„Hi Mum. Ich hatte Prüfungen, wie immer im Januar. Bin aber seit heute fertig und hätte mich die Tage sowieso gemeldet."
„Na gut, wie auch immer. Jaden war gestern da und hat erzählt, dass er und Nancy im Frühjahr auf die Malediven fliegen. Da dachte ich mir, ich könnte doch vielleicht mit den beiden mitfliegen. Was sagst du dazu Hayden Schatz?"
„Ich glaube nicht, dass die beiden ihren gemeinsamen Urlaub mit dir verbringen wollen. Ich mein das echt nicht böse, aber die beiden haben durch die Arbeit doch sowieso so wenig gemeinsame Zeit." erklärte ich ihr und war wirklich bemüht, neutral zu klingen. Ehrlich gesagt, war das nicht das erste Mal, dass sie so etwas brachte. Sie würde sich am liebsten auf Jaden's Rücken kleben. Wenn sie könnte würde sie das tatsächlich tun - kein Scherz!
„Ach Unsinn. Dein großer Bruder lässt sich im Gegensatz zu dir öfter blicken, das heißt doch, dass er gerne Zeit mit mir verbringt."
„So meinte ich das nicht" Ich versuchte es gar nicht erst, mit ihr zu diskutieren. Ich war momentan nicht bereit, ihr zu viel von meiner Energie zu überlassen. Also versuchte ich einfach, das Gespräch schnell über die Bühne zu bringen.
„Ach was soll's. War schön von dir zu hören, Hayden. Denkst du bitte an meinen Geburtstag nächsten Monat? Ich dachte ich lade euch Jungs einfach zum Essen ein und wir machen uns einen schönen Abend bei ein paar Gläsern Wein. Also bis dann mein Schatz."
Hey Hayden, wie liefen deine Prüfungen?
Möchtest du mit mir etwas unternehmen, wenn dein Bruder im Urlaub ist?
Hast du Zeit, meinen Geburtstag zusammen zu verbringen?
Wie geht es dir momentan?
Tief atmen. Nicht aufregen, es hätte keinen Sinn. Ich schluckte das schlechte Gefühl herunter und verdrängte die Gefühlte, die sich ihren Weg an die Oberfläche gebahnt hatten. Ich war zu sensibel, eindeutig.
Du schenkst ihr zu wenig Liebe, da ist es normal, dass sie kein Interesse an dir hat. Du musst dir mehr Mühe geben.

Ich lenkte mich damit ab, mich für den Club fertig zu machen, auf den ich absolut keine Lust hatte. Ich zog irgendwas unauffälliges an, machte meine Haare zurecht und holte Lilly ab, bevor wir uns alle bei Lucas trafen, um vorzutrinken.
Eine Runde nach der anderen floss Alkohol und meine Freunde waren betrunken, als wir im Club ankamen. Ich hingegen hatte nur zwei Gläser getrunken, den Rest hatte ich mit Wasser angestoßen. Mir war eigentlich nicht nach Alkohol. Oder nach Menschen. Zum Glück sind in Clubs so viele Menschen, dass ich einfach untertauchen konnte in der Menge. Das fiel mir leichter, als bei privaten Feiern, bei denen ich viele Leute kannte.
Als ich kurz vor Mitternacht auf mein Handy sah hatte Ezra sich noch immer nicht gemeldet. Natürlich hätte ich mich auch melden können. Lilly würde wohl sagen, ich müsste aus meiner Komfortzone mal raus kommen und mir nehmen, was ich will. Die Angst, ihn zu nerven war aber größer also hoffte ich nach wie vor auf eine Nachricht von ihm.
„Hier wird nicht aufs Handy geglotzt, Hay" grölte Rosalie mir ins Ohr, als sie ihre zierlichen Arme um mich schlang. Sie war mit ihren WG-Mitbewohnern heute auch hier um das Ende der Klausuren zu feiern. Ich steckte mein Handy in die Hosentasche und erwiderte ihre Umarmung.
„Hey Rose."
„Sag mal, warst du beim letzten mal nicht irgendwie dicker? du fühlst dich irgendwie schlanker an" fragte sie. Dicker. Eigentlich würde ich sagen, ich wog einfach  noch ein bisschen mehr vor ein paar Wochen. Dick war ich eigentlich nicht. Ich war einfach normal. Aber die Wortwahl anderer wog mehr, als mein eigener Selbstwert, also trafen mich ihre Worte trotzdem irgendwie. Natürlich wusste ich, dass viele Menschen in Bezug auf solche Themen einfach kein Feingefühl besaßen und es keinesfalls böse meinten. Die Gefühle, die es in mir auslöste interessierte das jedoch nicht
„Ach ich weiß gar nicht, ich wieg mich doch nicht" log ich, obwohl ich wusste, dass ich knapp 5 Kilo verloren hatte.
„Gut hast du's Hayden! Aber sag mal, hast du Dave gesehen? Ich hab ihm geschrieben, aber ich find ihn nirgends."
Ich zeigte in Richtung der Bar, wo ich ihn zuletzt gesehen hatte und sie zog mich hinter sich her, wollte mir unbedingt einen Drink ausgeben, obwohl ich mehrfach gesagt hatte, dass ich nichts brauchte.
Also trank ich mit ihr Shots, die direkt in mein Blut schossen. Ich hatte vorhin kaum etwas gegessen, also wirkte der Stoff fast unmittelbar und ich merkte, dass mir schwummrig wurde.

After the Storm - Man x ManWo Geschichten leben. Entdecke jetzt