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Heute ...

Ich weiß nicht, wie lange ich dort saß und auf den See blickte, an dem ich mich wohl nie sattsehen werde. Am liebsten hätte ich noch ewig in den Erinnerungen von vor 5 Jahren geschwelgt. Das stetige Vibrieren meines Handy's hat mich schließlich zurück ins hier und jetzt geholt, lässt meine Erinnerungen langsam verblassen und dieses Kapitel allmählich doch wieder verblassen.

„Wo zum Teufel steckst du?" dröhnte es in mein Ohr, meine Mundwinkel zuckten automatisch nach oben.

„Du fehlst mir auch, danke. Ich bin am See, mache mich aber gleich auf den Weg zu dir okay? Gib mir 15 Minuten."

„Am See? An DEM See?" erkundigte Lilly sich. Sie wusste von der großen Bedeutung, die dieser kleine Fleck heile Welt für mich hatte. So oft hatte sie angeboten, gemeinsam mit mir her zu kommen, wenn ich mal in der Stadt war. Letztlich bin ich erst vor zwei Wochen wieder richtig zurückgekehrt.

Nach der Sache vor fünf Jahren hatte ich mich entschieden, dass ich eine Auszeit brauchte. Vor meinem Studium, vor allem auch meiner Familie und diesem Ort, den Menschen. Einfach vor allem. Also beantragte ich ein Urlaubssemester, kündigte meine Wohnung und verließ die Stadt und kurze Zeit später schließlich auch das Land.

Ich fühlte mich zu dieser Zeit so einsam, dass ich mir dachte, egal wo auf dieser Welt ich sein würde, es würde sich nichts ändern. Und das gab mir den Mut, einfach zu gehen. Lilly wollte mich aufhalten, machte sich Sorgen, ich würde nie wieder zurückkehren und ich bin ehrlich: Ich wusste nicht, ob ich jemals wieder in meiner Heimat sein wollte.

„Genau der See, ja" beantwortete ich ihre Frage.

„Das ist toll, Hay. Wirklich. Lass dir Zeit, ich freu mich nur so. Es ist viel zu lange her." Es war ein halbes Jahr her, seit wir uns gesehen hatten. Ich hatte zwei Jahre lang einen Job, etwa fünfhundert Kilometer südlich von hier, weshalb wir uns in dieser Zeit vielleicht fünfmal gesehen haben. Zuvor hatten wir drei Jahre lang nur über Facetime das Gesicht des jeweils anderen gesehen und verdammt, es tat gut, jetzt wieder in der gleichen Stadt zu leben.

Ich schob mein Handy wieder in die Hosentasche und atmete noch einmal den Duft von Wasser und grün ein, bevor ich aufstand und in Richtung Lilly's Wohnung lief. Sie wohnte noch immer in ihrer Wohnung von damals, hatte es nie über's Herz gebracht auszuziehen. Zu viele Erinnerungen an schöne Zeiten, meinte sie mal zu mir.

Obwohl ich dreißig Minuten zu spät bei ihr ankam, öffnete sie mir im Bademantel die Tür. Sie war längst nicht fertig, weshalb ich mich an ihrem Kühlschrank bediente, mir einen Joghurt stahl und auf ihrer Couch irgendwelche Sitcoms ansah, bis sie endlich fertig war.

„Wir werden zu spät kommen, Lil. Immer, wenn ich mit dir irgendwo auftauche kommen wir zu spät" bemerkte ich, während ich den Bildern im Fernseher folgte.

„Kleine Verspätungen sind schick. Außerdem sind es nur die anderen und die kennen mich und wissen, dass du mit mir kommst. Das wird super Hayden, wie in alten Zeiten. Wann hast du die anderen zuletzt gesehen?" fragte Sie während sie sich verschiedene Ohrringe in den Spiegel hielt um sich zu entscheiden, welche sie tragen würde.

„Dave und Rosalie waren letztes Jahr irgendwo in meiner Nähe unterwegs und sind auf einen Kaffee vorbei gekommen. Ich hab ganz schön gestaunt, als ich sie zum ersten Mal nach vier Jahren gesehen habe und sie einfach hochschwanger war. Dass die beiden mal ein Kind zusammen kriegen nach all der gespielten Abscheu damals hätte ich nicht erwartet. Lucas hab ich zuletzt vor fünf Jahren gesehen. Ich freu mich auf die Chaoten irgendwie." sinnierte ich und versuchte mich an die Zeit zu erinnern, als wir zuletzt alle zusammen waren. Nachdem wir damals einen Rettet-Hayden-Spaziergang gemacht hatten, der durch Lilly initiiert wurde haben wir uns nicht wieder gesehen. Schließlich ist wenige Zeit darauf meine Welt bis ins Mark erschüttert worden und ich bin quasi aus dem Land und vor meinem Leben geflohen. Und, obwohl ich zu niemandem Kontakt gehalten hatte außer zu Lilly waren sie immer noch hier. Dave meldete sich als Erster, da Ezra damals ziemlich durch den Wind war und ihm von uns erzählt hatte. Lucas hat sich erst ein halbes Jahr später gemeldet, dafür ab dann immer wieder. Sie waren hartnäckig, wollten mich wohl doch nicht verlassen, von sich stoßen und vergessen.

„Mittlerweile läuft der Knirps schon, du wirst die kleine Louise lieben, wenn du sie erstmal kennenlernst. Mein Tante-Lilly-Herz sprudelt jedesmal förmlich über, wenn ich sie sehe." Ihr Lächeln war so klar, es blendete mich fast. Sie war schon immer vernarrt in Kinder und als Rosalie und David von der Schwangerschaft erfuhren war Lilly die erste, die eingeweiht wurde. Es gab keine bessere, die die Rolle der coolen Tante spielen könnte. In manchen Momenten war ich traurig, dass ich nicht so hautnah dabei sein konnte - bei allem. Ich war weder bei unserem Abschluss hier noch als Lucas in die Firma seiner Eltern einstieg, Lilly ihren Master abschloss oder Rosalie ihr Baby zur Welt brachte. Ich hatte so viel verpasst und dennoch durfte ich heute mit ihnen gemeinsam Zeit verbringen, weil ich für sie noch immer dazu gehörte. Es würde das erste Mal sein, dass wir alle zusammen hier waren, zu Abend essen würden und vielleicht noch einen Abstecher in einer Bar machen würden und ich freute mich wahnsinnig auf die kommenden Stunden.

Und wie durch ein Wunder kamen wir nur knapp zehn Minuten zu spät bei dem Italiener an, bei dem wir früher schon gemeinsam Pizza essen waren. Lilly und Lucas unterhielten sich gerade angeregt über irgendwas, als wir an unserem Tisch eintrafen.

„Da seid ihr ja! Ich freu mich so." quiekte Rose los und nahm uns beide gleichzeitig in die Arme. Es war mir ein Wunder, wie ein Bauch nach einer Schwangerschaft SO aussehen konnte. So, als wäre dort drin nie ein Leben herangewachsen. Sie sah erschöpfter aus, als früher aber war immer noch die Rosalie, die ich kannte. Auch Lucas stand auf, zog mich kurz in seine Arme und es war mir im Gegensatz zu früher nicht mehr unangenehm, andere an mich heranzulassen. Alles dank der harten Arbeit mit Mrs. K in den letzten zwei Jahren.

„Wow Hayden, du bist so ein Schnittchen, wo kommen diese breiten Schultern her?" waren Lucas erste Worte. Tatsächlich waren meine Schultern gar nicht breit, ich wog einfach nur mehr als damals und trieb mittlerweile regelmäßig Sport, weshalb ich einigermaßen definiert war.

„Ich bin immer noch schmaler als du, Luc. Hör auf mir Komplimente zu machen, wenn du derjenige von uns beiden Bist, der aus der Mens Health entsprungen ist" und das war absolut nicht übertrieben. Ich empfand nie so etwas wie Anziehung Lucas gegenüber aber er sah damals schon recht gut aus. Heute sah er aus wie eine Mischung aus Business-Typ und Fitnessmodel. Das Figurbetonte Hemd und die Stoffhose taten ihr übriges.

Er klopfte mir noch ein paar mal übertrieben auf die Schulter ehe wir uns um den Tisch setzen, den Platz direkt neben Rosalie ließen wir bewusst frei, von Dave fehlten nämlich noch jede Spur. Rose erzählte, dass er noch die kleine Louie, wie sie sie nannten, zu Davids Eltern bringen wollte und sie heute aber recht weinerlich drauf war, weshalb er sich noch etwas verspäten würde.

Wir bestellten die erste Runde Getränke, beschlossen aber auf Dave zu warten, bis wir unser Essen bestellten. 

After the Storm - Man x ManWo Geschichten leben. Entdecke jetzt