Kapitel 4

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CHERYL

»Gleis 9, O-U-T aus Edinburgh, Waverley. Achtung bei der Einfahrt.«, ich sah, wie der Intercity einfuhr und tausende von Menschen entweder ein oder ausstiegen. Ich spannte mich an und reckte meinen Hals, um einen Überblick über die Menschenmasse zu bekommen.

Dank Gottes war es nicht so überfüllt wie vor sechs Wochen. Es war damals der 1. September und Kings Cross, Gleis 9 war überfüllt mit Hogwarts Fans aus aller Welt, die in den Hogwarts Express einsteigen wollten.

»Cheryl!«, ein 1,60m kleiner Zwerg winkte aufgeregt, als sie ihren 80 Liter Koffer, der ihr bis zum Bauchnabel ging, in meine Richtung rollte.

Um ihrer Schulter hing eine Chanel Classic Flap, ein Hochzeitsgeschenk, welches sie zum zweiten Jahrestag vor zwei Jahren von Luc bekommen hatte. Sie konnte sich nicht von ihm trennen, weder Mental noch von den Geschenken, die sie von ihm bekommen hatte.

Und es waren Sammlungen von Geschenken.
Von Taschen bis hin zu Schmuck.

Familie Dormer, war dermaßen Old-Money wohlhabend, Delphine und Daniel Domergue, - jetzt Dormer für die englische Integration - reiche Erben und Unternehmer aus Frankreich, die sich in England niedergelassen hatten, dass Rose zu jedem Anlass, sei es ihr Geburtstag oder Weihnachten, 24-karätiges Gold oder Silber in verschiedenen Arten von Schmuck in die Hand gedrückt bekam. Es war schon immer so, vor der Ehe mit Luc, während dieser und sogar auch danach.

Dennoch achteten die Dormers darauf, ihren Reichtum nicht zu zeigen. Ich musste mehrmals hinschauen, um die versteckten Logos ihrer Klamotten zu erkennen.

Menschen dachten immer, Louis Vuitton, Gucci, Prada und Dior seien die Luxusmarken, dennoch achtete keiner darauf, dass Tove und Bruno Cucinelli, manchmal auch Hermés und Chanel den eigentlichen Reichtum zeigten.

Allgemein bekamen die Haynes von den Dormers relativ viel Materielles. Die Haynes hingegen boten den Dormers Ruf und Kontakte. Delphine Dormer, damals noch Elois und Emma Haynes, ehemals March lernten sich während ihres Studiums kennen und bauten somit alles auf, was sie jemals für ihr Leben und das Leben ihrer Kinder gebrauchen würden.

Die Dormers bauten Anwesen und gründeten Dormer Industries, die Haynes waren für Banken verantwortlich. Beide Familien badeten wortwörtlich in Geld.

Die Haynes Geschwister schwebten zwischen guten Ausgängen für ihre Karrieren als Plan B, dennoch erarbeiteten sie sich ihre Titel selbst.

Einige Konkurrenten von Haynes Banking munkelten, die Ehe zwischen Luc und Rose war rein aus Diplomatie, dafür, dass man zwei einflussreiche Familien zusammenschloss, nicht aus Liebe.

Dank der Kontakte von Roses Eltern hatte Luc sich hochgespielt und war nun ein Stammspieler der englischen Nationalmannschaft. Zu der Missgunst seiner Eltern, die wollten, dass er für Frankreich spielte.

Ich musste mich auch bei den Haynes bedanken. Ohne Rose hätte ich es nicht in St. Mary's geschafft, auch nicht als Top der Klasse, denn das Krankenhaus war voll besetzt. Ich wollte ins St. Mary's, weil es am nächsten zu meiner Mutter war, hatte ich eins Rose erzählt und sie hatte die Informationen sofort weitergeleitet.

Im Monat darauf hatte William Haynes mit den Leitern des Krankenhauses gesprochen, mich ihnen persönlich vorgestellt und ihnen so viel Gutes über mich erzählt, dass die Vorsitzenden des Krankenhauses doch noch beschlossen hatten, mich als eine Ausnahme anzunehmen. Ich wusste bis heute nicht, wie ich Will und Rose danken konnte.

Meine Mutter meinte immer zu mir, "Such' dir dein Freundeskreis gut aus.". Scheiße, hatte sie recht.

Ich hatte nie Probleme mit Freunde finden, aber Rose war ein komplett anderes Kaliber. Wir waren zwei Jahre befreundet, als sie mich auf einen Familienurlaub eingeladen und mir dort alles über den Hintergrund ihrer Familie erzählt hatte. Danach waren wir in einem überteuerten Restaurant und ich wollte nur Pommes und einen Salat. Ich konnte mich gut daran erinnern, wie ich das Menü zusammengeschlagen hatte, als ich sah, dass eine kleine Portion Pommes £10 gekostet hatte.

Rose hatte nur gelacht und "Willkommen in unserer fucked-up Familie." gesagt.

»Wie wars?«, ich nahm sie in meine Arme. Rose kam von Edinburgh zurück, nachdem sie sechs Wochen bei ihren Großeltern verbracht hatte.
Ich konnte kaum glauben, dass ich es sechs Wochen ohne sie überlebt hatte ohne ihren Bruder mit einem Skalpell den Hals aufzuschlitzen.

»Och, kalt...«, jammerte sie und zog ihren Koffer mit sich, als wir den Bahnhof verließen.

»Wie geht's deinen Großeltern?«, wir liefen zum Parkplatz vor dem Haupteingang, wo ihr schwarzer Mini stand. Ich durfte ihn mir leihen, solange sie weg war, und er hatte mir mehrmals die Schicht gerettet, als ich drohte, zu spät zu kommen.

»Ganz gut. Gramps hatte es nur mit der Hüfte gehabt und wir konnten nicht lange in Loch Ness für die Games bleiben. Aber sonst war alles gut.«

»Und sonst?«, ich versuchte vom eigentlichen Thema abzulenken. Rose hatte sich nach der Scheidung mit Luc so sehr in Zeug gelegt, dass sie ihre These in nur drei von acht Monaten beendete und somit den rest ihrer Zeit damit verbracht hatte, sich in Psychiatrische Praxen für ihre Ausbildung als Psychiaterin einzuschreiben und zu bewerben, bis sie deren Antwort bekam, was sehr vorhersehbar war, weil sie zu 99,9%, als einer der besten des Jahrgangs bestanden hatte.

Rose war für sechs Wochen bei ihren Großeltern, um sich zu erholen, so sagte sie. Der eigentliche Grund war; sie wollte aus der Wohnung heraus, in der sie seitdem sie mit Luc verheiratet war, gewohnt hatte, da sie sich drei Monate eingeschlossen hatte um die These zu schreiben.

»Ich habe mindestens sieben Kilo zugenommen beim Essen, was es da gab... oh sorry.«, sie blickte entschuldigend, als ihr anscheinend wieder einfiel, dass ich mich lediglich von Samyang und Cheetos ernährte.

Ohne Rose, die dafür sorgte, dass ich mindestens drei Mahlzeiten zu mir nahm, wäre ich vor Anorexia oder einfach aus reiner Dummheit schon gestorben.

»Alles gut.«
»Oh und... ich hab dir was mitgebracht.«

Wir saßen mittlerweile im Mini, als Rose in ihre Tasche griff und ein winziges Plüschtier heraus zauberte.

»Oh mein Gott, du erinnerst dich an meine Obsession mit den Dingern?!«

Ich war schockiert, denn ich hatte Rose bisher nur einmal von meiner Obsession mit winzigen Plüschtieren erzählt. Ich hatte meine Sammlung von 50 kleinen Tierchen der Größe eines Schlüsselanhängers in meinem Kleiderschrank, damit ich, wenn Menschen vorbeikamen, keine unangenehmen Fragen beantworten musste.

»Also ehrlich. Wenn du mir schon ein 'Clone A Willy'-Set schenkst, als du in Hamburg im Rotlichtviertel mit deiner Mutter warst, schenke ich dir auch mal was.«, sie zwinkerte mir zu und gab mir das Tier.

Ich blickte es musternd an. Wie süß, eine Miniaturform von Nessie, die mich mit großen Augen anblickte.

»Danke.«

»Wir wärst mit How To Train Your Dragon Marathon? Und dann vielleicht Pitch Perfect?«

Never Hated You MoreWo Geschichten leben. Entdecke jetzt