Wir sind allein. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich bin gleichermaßen nervös und freue mich. Und Mama und Papa spuken mir die ganze Zeit im Kopf herum, was es nicht gerade besser macht. Daniel zieht seine Schuhe aus. Der Raum ist schummrig, nur die Nachttischlampen sind an. Er lässt sich platt auf das Bett fallen mit ausgestreckten Armen wie ein Seestern, die Beine immer noch über der Bettkante, und seufzt zufrieden. Ich mustere sein Gesicht in dem sanft goldenen Schimmer. „Du siehst erschöpft aus", stelle ich fest. Er schließt die Augen und verzieht die Lippen. „Ich habe eigentlich relativ gut geschlafen bei dem Gedanken, dass du kommst." Ich lege mein Armband auf dem Schreibtisch ab. „Nicht müde. Erschöpft. Daniel dreht seinen Kopf zu mir. Er lächelt schwach. „Das bist du vermutlich auch." Meine Finger streichen über eine Schatulle. Sie ist dunkelgrün und das Metall fühlt sich kalt an meiner Hand an. „Ich hab deinen Brief gelesen." Daniel richtet sich auf. „Oh mein Gott, dieser furchtbare Brief." Er fährt sich durchs Haar. Es tut gut, diese Geste wieder zu sehen, ihn wieder vor mir zu haben. „Den hättest du nie kriegen sollen." Ich schmunzle, überquellend vor Wärme in ihm.
„Hey. Er war sehr gut geschrieben! Vielleicht solltest du überlegen Autor zu werden." Er erwidert mein Lächeln. Seine Augen funkeln und mein Herz wird voll.
„Nein danke, das überlass ich gerne dir." Ich entschließe mich, mich neben ihn zu setzen und sinke im weichen Bett ein. Er atmet zufrieden aus und greift nach meiner Hand, um seine Finger mit meinen zu verschränken. Anschließend beginnt er mit der anderen rythmisch über meinen Handrücken zu streichen. Ich liebe seine Hände. Sie sind so warm und sanft. Mein Blick wird trüb. „Das alles muss so schwer für dich gewesen sein", überlege ich. Seine Brust hebt und senkt sich einmal schwer. Er sieht auf seine Handbewegung hinab. „Am Anfang hab ich mich die ganze Zeit nur fehl am Platz gefühlt. Ich hatte unglaubliche Schuldgefühle, weil ich mich die ganze Zeit für jemanden ausgebe, der ich nicht bin. Vor allem euch gegenüber. Es war unfassbarer Stress, aber gleichzeitig..." Sein Kopf hebt sich wieder und in seinem Lächeln sind so viele Emotionen auf einmal. Aber eins fällt mir auf. Der Schmerz, den ich immer in seinen Augen gesehen habe, hat sich irgendwie verändert. Er ist noch da, aber er ist nicht mehr so wie vorher. Nicht mehr so beißend, nach Aufmerksamkeit schreiend, sondern eher ein leisen Summen im Hintergrund, hinter der Freude hier mit mir zu sein, der Akzeptanz seiner selbst und dem Schmerz von allem, was passiert ist. Sein Blick sieht weicher aus. Verletzlicher, aber gleichzeitig irgendwie friedlicher. „Gleichzeitig hatte ich auch Schuldgefühle, weil es irgendwie schön war. Also bis auf die Verletzungen und die Angriffe und... Naja, du weißt schon." Er klatscht einmal federleicht auf meine Hand, als würde er die Gedanken an all das vorerst wegschieben wollen. Seine Augen wandern zur Tür, als könnte er dort Bilder sehen. „Es hat sich irgendwie gut angefühlt. Das mit dir. Die anderen Mädchen kennenzulernen und mit ihnen Zeit zu verbringen. Aber auch einfach eine Aufgabe zu haben. Das hatte ich noch nie zuvor." Augenblicklich steigt wieder Trauer in mir auf, darüber, wie er bisher hatte leben müssen. Und eine leichte Wut. Ich lege meine Hand auf seine und er hält in der Bewegung inne und wendet sich wieder mir zu. „Es tut so gut Verantwortung zu haben. Und ich hatte das Gefühl, dass ich das Henry irgendwie wegnehme. Ich meine: es war von Anfang an eine schlechte Idee gewesen. Natürlich habe ich immer mit ihm gesprochen. Aber wie hätte er sich für eine Frau entscheiden sollen, ohne wirklich bei euch zu sein, euch zu sehen, mit euch zu reden, eure Energie zu spüren. Ihr wart wirklich alle ganz wundervolle Personen. Wirklich. Und ich wusste auch von Anfang an, dass du..." Er zieht seine Hand unter meiner hervor, um mit ihr eine Strähle aus meinem Gesicht hinter mein Ohr zu streichen. Mein Haar ist inzwischen wieder ein bisschen länger geworden. Wenn all das vorbei war, sollte ich wieder zum Friseur gehen. Aber er scheint das gerade sowieso nicht zu sehen und ich fühle mich unter seinem Blick nackter, als wenn ich ausgezogen werde. Aber nicht auf unangenehme Weise. Ich fühle mich sicher. Gesehen. In diesem Moment wünsche ich mir, dass jeder Mensch in seinem Leben mindestens einmal so angesehen werden würde. „Ich weiß gar nicht richtig!wie ich es beschreiben soll. Ich wusste einfach, dass du absolut fantastisch bist. Schön, witzig, unglaublich intelligent. Du hast so ein großes Herz. Du warst immer so ehrlich zu mir gewesen und du hast es irgendwie immer geschafft, mir das Gefühl zu geben, dass alles gut wird und..." Seine Fingerkuppen streichen über meine Wange, mein Kinn entlang, wie ein Windhauch. „Du hast einfach keine Ahnung wie unfassbar ich dich liebe." Ich presse die Lippen aufeinander. „Und dann hast du auch noch ähnlich gefühlt wie ich und ab da wusste ich einfach nicht, wie ich dich jemals wieder loslassen sollte." Sein Griff um meine Hand wird fester. „Wie ich in mein altes Leben hätte zurück kehren sollen, als wäre nichts gewesen. Vor allem, wenn du dann Königin geworden wärst. Der Thron ist mir vollkommen egal. Es wäre mir egal gewesen, wenn Henry ihn bekommt und nicht ich. Aber ich wollte so unfassbar gerne... Ich wollte ein Leben mit dir haben." Ich kann nicht mehr. Ich ziehe meine Hand aus seinem Griff und stürze mich quasi auf ihn. Sein Kopf in meinen Händen, seine Lippen auf meinen. Ich werde nie müde ihn zu küssen. Seine Lippen sind weich, aber seine Küsse sind fest. Als würde ich alle Seiten von ihm in ihnen spüren können. Das Licht und die Schatten. Ich liebe sie alle. Er schlingt seinen Arm um meine Taille und zieht mich näher zu sich heran, wodurch mir ein kleines Stöhnen entweicht, welches er nutzt, um mit seiner Zunge in meinen Mund einzudringen. Gott, ich liebe ihn so sehr. Er schiebt mich ein kleines Stück von sich weg und zuerst bin ich irritiert, warum er aufhört, bis er sagt: „Ich will ein Leben mit dir." Ich schlucke. Nie in meinem Leben hätte ich gedacht, dass ich jemals so viel und so tief fühlen könnte. Es ist überwältigend. Es macht mir Angst. Aber es fühlt sich so richtig an. „Ich hätte niemals jemand anderen gewollt als dich." Ich streiche mit meinem Daumen über seine Wange und er nimmt meine Hand hinunter, um sanft einen Kuss auf sie zu drücken. „Ich weiß, dass das Leben im Palast das seltsamste und wahrscheinlich verstörendste war, was ich je erlebt habe“, sage ich und schnaufe. Mit ein bisschen Fantasie klingt es fast wie ein Lachen und Daniels Blick sagt mir, dass er absolut nachvollziehen kann, was ich meine. Ich ziehe meine Beine unter mich und hocke vor ihm. „Aber ich würde mich trotzdem immer wieder so entscheiden, wie ich es getan habe. Weil es mich zu dir geführt hat. Ich bin in den Palast gegangen, weil ich Abenteuer wollte. Etwas Neues. Aber ich wusste gar nicht, wie das aussehen sollte. Ich wusste gar nicht, was ich will." Ich schlinge meine Arme um seinen Hals und sehe in seine hellblauen Augen, die mich an den Moment erinnern, als ich das erste Mal in sie gesehen habe, damals auf dem Flur, als ich noch keine Ahnung hatte, wer er war. Etwas, dass mir immer egal war. Etwas, dass mir auch heute nicht egaler sein könnte. Er ist Daniel. Und das ist das, was zählt. Weil niemand anderes er ist. Und es für mich nur ihn gibt. „Jetzt weiß ich es", meine ich. „Es ist das hier. Dich mit meiner Familie zu sehen. Einfach mit dir zusammen zu sein. Ich will neben dir aufwachen und mit dir frühstücken. Ich will Familienfilmabende. Lass uns zusammen einem Buchclub beitreten. Oder", ich zucke mit den Schultern und er schmunzelt über meinen Enthusiasmus, während er mich mit seinen Händen an meiner Hüfte in meiner seltsamen Position stützt, „eine Sprache lernen. Und auf Flohmärkte gehen. Lass uns Riesenrad fahren, Daniel." Ich lege meine Stirn auf seine und schließe die Augen, sauge tief seinen Duft ein. „Ja. Zu allem", stimmt er mir zu, nimmt mein Kinn in seine Hand und drückt mir einen sanften und langsamen Kuss auf die Lippen und während er sich wieder löst, wird mir durch sein Lächeln fast schwindelig vor glücklich sein. Sein Blick wandert zu meinen Lippen, über die er mit seinem Daumen fährt und als er sich zurück zu meinen Augen hebt, erscheinen mir seine Pupillen dunkler als vorher. „Aber erst einmal weiß ich etwas anderes, dass ich mit dir machen will." Mit einer erstaunlichen Leichtigkeit packt er mich, um mich auf den Rücken zu werfen. Ich kreische auf und kichere wie der Teenager, als der ich mich schon lange nicht mehr fühle. Daniel küsst meinen Hals, meine Wange, meine Stirn, mein Schlüsselbein. Als würde er jeden Zentimeter meines Körpers mit seiner Liebe bedeckten wollen. Ich erinnere mich an die Verzweiflung auf seinen Lippen, die ich gespürt hatte, wenn wir uns früher geküsst hatten. Die Dringlichkeit ist immer noch da. Die Verzweiflung ist weg und etwas anderem gewichen.
DU LIEST GERADE
Selection- Der versteckte Prinz
FanfictionDies ist eine Fanfiction basierend auf der „Selection" Reihe von Ciara Kass. Es spielt lange nach den Geschehnissen der Buchreihe, weshalb ich ihre Bücher und Charaktere kaum einbauen werde. Die fiktive Welt ist frei nach der ihren gestaltet. Dadurc...