Kapitel 30: Ein Gast

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Ich weiß nicht, ob ich glücklich sein soll, weil ich weiß, dass Markus etwas weiß, oder ob ich verängstigt über seine Ankunft sein sollte, da sie definitiv nichts Gutes bedeuten kann. Markus begrüßt die Mädchen mit einer höflichen Verbeugung und setzt sich anschließend an den Tisch. Sein Gesicht wirkt genauso ernst und freudlos wie das erste Mal, als ich ihn gesehen habe. „Du guckst so komisch, Georgie?", flüstert mir Sydney von der Seite zu. „Hm? Oh. Ich hab ihn auf dem Ball schon mal getroffen. Du weißt ja, wie toll der gelaufen ist. Hat nur kurz schlechte Erinnerungen hervorgerufen." Und wie. Markus wirft mir einen undurchschaubaren, aber eindringlichen Blick über die Tafel zu. Ich schlürfe meine Suppe. „Die letzten vier!", beginnt er ein Gespräch. „Ich bin beeindruckt! Sie haben sich sicher inzwischen schon sehr gut im Palast eingelebt, oder?" „Alle sind sehr freundlich und zuvorkommend uns gegenüber gewesen", erklärt Renée edel. Ganz die professionelle Reporterin. Ich bewundere sie dafür. „Die Schattenseiten der Krone haben sie bestimmt auch schon kennenlernen dürfen, nehme ich an?", meint er, fast in einem scherzhaften Ton und schafft es tatsächlich ein Crouton auf einer Gabel aufzuspießen. Der König wirft ihm einen bösen Blick über die Tafel zu. „Was denn? Wir wissen doch alle, dass es nicht immer märchenhaft ist, zur königlichen Familie zu gehören. Die Verantwortung. Die Pflichten. Durchaus auch Gefahren." Ein Diener legt ein Stück Brot neben ihm auf den Teller. Was tut er da? Will er seine Familie anprangern? Henry lächelt freundlich. „Wir haben versucht, den Einstieg in unsere Welt den Mädchen so angenehm wie möglich zu gestalten. Und selbst wenn später einmal harte Zeiten kommen sollten: hier passen sowieso alle aufeinander auf." Markus blinzelt ihn an und lächelt stumm. Oookay... Unangenehm... „Lady Georgie!" Ich blicke spontan auf. „Wie ist es Ihnen so ergangen? Wir hatten ja auf dem Ball schon einmal das Vergnügen. Wie ich sehe, war meine Annahme, dass wir uns noch wiedersehen würden, richtig." Auch, wenn du alles in deiner Macht stehende versucht hast, um das zu verhindern, ja. „Oh, es war... Es war..." Ich nehme nervös mein Brot und reiße ein Stück ab. „Viel zu verarbeiten, schätze ich." Und füge noch schnell hinzu: „Aber definitiv ein Abenteuer! Und sehr lehrreich!" „Haben sie viele Freunde gefunden?" ‚Und Feinde' höre ich als Frage aus seinem Unterton heraus. „Ich bin sehr froh, wirklich jeden Menschen, den ich im Schloss kennengelernt habe, zu meinen Freunden zählen zu können." „Und außerhalb des Schlosses?" Ich lege den Kopf schief. Was ist dieser Mann? „Da warten ebenfalls meine alten Freunde und meine wunderbare Familie auf mich. Und auch wenn ich sie sehr vermisse, bin ich sehr dankbar für jede Erfahrung, die ich hier machen darf." Gott, ich höre mich an wie Miss Amerika. Markus lächelt. Dann sieht er sich um. „Hier sind ja gar keine Kameras! Ich bin verwundert, Onkel. Ich muss sagen, das Material über die Auswahl war wirklich gut, aber doch immer zwischenzeitlich enttäuschend sporadisch. Ihr seht ja nicht die Resonanz, die sie da draußen hat, aber die Leute springen wirklich sehr darauf an! Sie lieben es! Es wird gehandhabt wie eine gute Serie! Seit Henrys großer Enthüllung stehen die Umfragen über das Vertrauen gegenüber dem Königshaus so hoch wie seit langem nicht mehr!" Er deutet mit der Gabel auf Henry. „Die Leute lieben ihn und die reizenden Mädchen! Ihr müsst ein wenig mehr Content liefern!" Nun ist Henry derjenige, der stumm lächelt. Gute Güte. Im Gegensatz zu Daniel und Markus scheinen die beiden sich ja wirklich gar nicht zu verstehen. Ich weiß nicht, inwieweit die anderen das mitkriegen, und ob überhaupt. Aber die beiden sind wirklich Meister der extrem unterschwelligen Spannung. „Vater wollte uns allen ein bisschen Ruhe gönnen", versucht Lillian sich jetzt daran, ein wenig zu schlichten. „Und vor allem den Mädchen und Henry. Immerhin ist der Sinn dieser Auswahl ja immer noch das Finden von Liebe und das ist etwas sehr Privates." „Oh, aber gerade dieses Private interessiert die Menschen! Das, was nicht inszeniert ist. Das Persönliche. Das Echte." Er dreht sich in meine Richtung. Ach Gott. Warum kann er mich nicht einfach da raus lassen? Warum kann ich nicht einfach in Ruhe meine Suppe essen? „Dieser Blog zum Beispiel war eine geniale Idee, Lady Georgie." Ich versuche mir nicht anmerken zu lassen, wie unwohl ich mich fühle und puste damenhaft auf meinen Löffel Suppe. „Ein wirklich genialer Schachzug." Ist das jetzt ein echtes Kompliment? Denkt er, ich wäre ein manipulatives Miststück? Aus seinem analysierenden Blick kann ich auf jeden Fall nichts lesen. Er ist wirklich kein schöner Mann, aber seine Augen haben durchaus etwas unglaublich intensives an sich und man sieht hinter ihnen eine unglaubliche Intelligenz, die man einfach faszinierend finden muss. Ich murmle ein: „Danke." und starre in meine Suppe. Dann wendet er sich zum Glück endlich einmal an jemand anderes. „Sie zum Beispiel, Lady Chloe", seine Stimme hat plötzlich etwas wesentlich sanfteres und ehrlicheres in sich. „Sie tanzen ganz zauberhaft und ich bin sehr dankbar dafür, dass die Welt es sehen durfte." Chloe sieht aus, als hätte sie das dringend gebraucht und ich kann nicht anders, als eine leichte Wärme in meiner Brust zu spüren und zu lächeln, als sie ihm mit sanften Augen: „Dankeschön" sagt. Sydney auch nicht. „Und sie, Sydney", spricht er nun auch sie an. „Ihrer beider Musiktheorie und -philosophie-Stunden waren sowohl unterhaltsam, als auch lehrreich und sie beide harmonieren hervorragend." Sydney nickt und lächelt Chloe unglaublich liebevoll über den Tisch an. „Ja. Ich schätze, da haben sich zwei gesucht und gefunden." Chloe erwidert es. Ihr Blickaustausch dauert ein paar mir erstaunlich lang vorkommende Sekunden, bis sie sich schließlich beide wieder synchron ihren Tellern zuwenden. Warte einen Moment... Mein Lächeln erstirbt langsam... Könnte es sein, dass die beiden...? Ich blicke schlagartig zu Markus auf. Er grinst mich an. Er wusste es. Und er wusste, dass ich es auch verstehen würde, wenn er die beiden darauf ansprechen würde. Ich habe ihre Videos auch gesehen. Seit sie auf dem Ball zusammen getanzt haben, haben sie immer mehr und mehr Zeit miteinander verbracht. Aber ich habe immer nur gedacht, sie würden sich gut verstehen und wären gute Freundinnen, was ja auch durchaus möglich gewesen wäre. Aber ich kenne diesen Blick. Es ist der gleiche, wie der von Daniel, wenn er mich ansieht und wahrscheinlich auch von mir, wenn ich ihn ansehe. Sie sind meine guten Freundinnen! Wieso habe ich nichts davon gemerkt, verdammt? Ich weiß warum. Weil ich so viel eigenes Drama mit Daniel und all den Intrigen, von denen sie nichts wissen, im Kopf hatte, darum. Ich meine: ich freue mich für sie. Sogar sehr. Es ist immer toll, wenn zwei Menschen, die man beide mag, zueinander finden. Aber wenn Markus von ihnen weiß: weiß dann noch jemand von ihnen? Die beiden spielen definitiv ein sehr gefährliches Spiel. Sie wohnen eigentlich so viele Staaten auseinander. Ich kenne ihre familiären Hintergründe nicht genug, um sagen zu können, wie ihre Beziehung da aufgenommen werden würde. Es stimmt schon, dass sie auf jeden Fall zusammen sein können. Aber warum? Sie wollen einander und weder Henry noch den Thron. Also warum verdammt bleiben sie und setzten sich dieser Gefahr aus? Ich sehe Henry an. Er scheint Gott sei dank nichts mitgekriegt zu haben. Daniel hätte einfach mit ihren gesprochen. Er hätte geklärt, dass sie beschützt sind und so lange, wie sie wollen, bleiben können. Er hätte gesagt: „Ich werde dafür sorgen, dass keine von euch gewinnt, aber versprecht mir, vorsichtig zu sein." Und sie dann ganz kurz vor dem Ende rausgeworfen. Vielleicht hat er das sogar. Aber Daniel ist nicht hier. Die Vorsuppen werden weggeräumt. Henry bemerkt, dass ich ihn anstarre und wirft mir über den Tisch ein kokettes Lächeln zu. Ich beiße mir auf die Zunge, sehe weg und hoffe inständig, dass das, was ich gemacht habe, irgendwie verschämt flirtend ausgesehen hat und nicht absolut wahnsinnig. Sydney und Chloe wiegen sich vielleicht in Sicherheit. Sie haben vielleicht keine Ahnung, dass ihre Zukunft nicht ungewisser sein könnte. Oh Gott. Ich muss dringend mit den beiden reden. Ich muss sie doch einweihen. Ich muss ihnen dringend sagen, dass sie unter keinen Umständen mit Henry über sich sprechen dürfen. Renee beginnt eine Geschichte aus ihrer Wetterfee-Zeit zu erzählen, bei der ein Projektor kaputt gegangen ist, die fast den gesamten Hauptgang einnimmt und von Henry charmant kommentiert wird. Ich tue nichts, außer mein Essen anzustarren und zwischendurch heimlich zu Markus zu schielen, der ebenfalls den ganzen Rest des Essens still ist. Es ist vermutlich einfacher, zuerst an Sydney heranzukommen, da unsere Zimmer direkt gegenüber voneinander sind. Ich werde versuche, sie irgendwann auf dem Weg abzufangen, wenn niemand da ist außer unserer Wachen. Ich hoffe, sie hat Henry noch nichts gesagt. Ich kenne ihn zwar noch nicht gut, aber ich kann nicht einfach davon ausgehen, dass er genauso wie Daniel handeln würde. Schließlich steht in der Erklärung zum Casting eindeutig geschrieben, dass man in dieser Zeit zu niemandem außer dem Prinzen romantische Beziehungen jeglicher Form haben darf. Und Chloe und Sydney haben das genauso unterschrieben, wie ich es getan habe. Ihre Körper, Seelen und Herzen gehören auf dem Papier der Krone. „Um 20 Uhr wird Olivia euch mitteilen, worin eure Aufgabe besteht. Durch diese werden wir bestimmen, wer das nächste Date mit Henry erhalten wird und somit auch das erste Date der Top 4", verkündet der König feierlich. Waren die Mädchen in vorherigen Selections an dieser Stelle aufgeregt? Hatten sie sich gefreut? War es das wichtigste für sie gewesen? Ich habe das Gefühl, an diesem Punkt sind wir alle das nicht mehr. Und schlagartig wird mir klar, wer jetzt in den Top vier war. Zwei Mädchen, die einander lieben, eines, dass vermutlich nur sich selbst liebt und dann gab es da mich, die einen anderen Prinzen liebt. Was für ein Desaster. Ich will keine von uns auf dem Thron sehen. „Also befindet euch bitte um diese Uhrzeit im Damensalon", fügt die Königin hinzu. „Und bitte macht euch hübsch. Wir wollen die Vergabe der Aufgabe filmen und euch anschließend für den Bericht interviewen." Alle nicken und essen ihr Dessert auf. Der Prinz wünscht uns noch einen schönen Abend und geht ein wenig früher, um sich seinen Pflichten zu widmen. Bald schon stehen wir auch auf. Wir gehen still auf den Flur und machen uns auf den Weg zu unseren Zimmern. „Sydney!", flüstere ich auf dem Gang vor unserer Tür. „Warum flüsterst du?", flüstert sie amüsiert zurück. „Ich muss mit dir reden. Allein." Ihr Gesicht wird schlagartig ernster und sie wird leiser. „Also hast du doch eine Theorie, oder?" Ich weiß nicht, wie ich sie sonst ohne dass die anderen etwas mitkriegen dazu bringen kann, mit mir reden zu wollen, also nicke ich nur. Sydneys Wache, Adam, sieht mich zurecht irritiert an und Garrett tut mir auch leid. Aber je weniger Geheimnisse ich verteile, umso besser. „Reicht dir um 20 vor Acht in meinem Zimmer? Ich würde mich beeilen, mich fertig zu machen." Ich nicke erneut. Ich hoffe, das reicht. Ich habe generell noch überhaupt keine Ahnung, wie ich ihr das alles mitteilen soll. Sydney geht in ihren Raum und nickt mir noch einmal lächelnd zu. Adam ebenfalls. Dann schließt sich ihre Tür. Ich will gerade nach der Klinke meiner greifen und Garrett öffnet den Mund, um etwas zu sagen, als die Stimme von jemand anderem erklingt. „Lady Georgie!" Wer hätte es anderes sein sollen? „Haben sie kurz Zeit?" Markus hatte wohl gewartet, bis Sydney weg ist, um mich anzusprechen. Ratte. Ich seufze innerlich und nehme meine Hand von der Klinke. „Mr. Schreave! Ich wollte mich eigentlich für das Interview heute Abend zurecht machen. Ich habe später noch eine Verabredung mit Lady Sydney. Sie hat mich gebeten, ihr bei der Schuhauswahl zu helfen." Er lächelt. „Oh. Das kann ich mir vorstellen." Wie gesagt: Ratte. „Sie sind sicher eine sehr fähige Beraterin." Ich lächle und zucke höflich mit den Schultern. Er deutet auf den Flur neben sich. „Bitte, es wird nicht lange dauern. Ich möchte Ihnen lediglich das Buch geben, von dem ich Ihnen erzählt hatte." Ich ziehe misstrauisch die Augenbrauchen zusammen und sehe Garrett an. Er wirkt hellwach, aber nicht sonderlich beunruhigt. Auf den ersten Blick ist Markus ja auch keine sonderlich beängstigende Persönlichkeit. Egal. Solange Garrett dabei ist, fühle ich mich sicher. „Na gut", stimme ich zu und wir gehen mit ihm, auch wenn ich keine Ahnung habe, wohin er mich führen will und all meine Sinne auf Alarmbereitschaft sind. „Sie und ihre Wache verstehen sich gut, vermute ich?", beginnt Markus ein Gespräch. „Ja", meine ich. „Alle Wachen sind sehr fähig und zuvorkommend. Wir können uns sehr glücklich schätzen." Markus nickt. Er mustert Garrett und sieht dann mich an. „Wie ich sehe, sind Sie wesentlich besser darin geworden, vage aber zufriedenstellende Antworten zu geben. Als wir uns das erste Mal gesehen haben, beherrschten Sie das noch nicht so gut." Ich weiß absolut nicht, was ich darauf sagen soll. „Sie haben dazu gelernt, das ist gut zu sehen. Und durchaus eine nützliche Fähigkeit für eine Königin." Jetzt lege ich einfach nur den Kopf schief. „Mein Cousin ist ebenfalls sehr zuvorkommend und gut zu Ihnen, nehme ich an?" Er bleibt stehen. Auch darauf weiß ich nicht, was ich antworten soll und sage: „Selbstverständlich." „Das dachte ich mir." Garrett lässt seine Hand unauffällig auf seiner Pistole ruhen. Markus sieht das und lächelt. „Ihre Wache ist wirklich gut", meint er. „Sie haben tatsächlich großes Glück mit ihm. Ich versichere Ihnen, seine Sorge ist überflüssig. Dennoch möchte ich mich schon einmal im Voraus entschuldigen." Bitte was? Auf einmal packt Markus mich am Oberarm und zieht mich mit einer schnellen Bewegung in das Nebenzimmer. Genauso schnell schließt er die Tür ab. Was zum Teufel?! Garrett hämmert gegen sie und ruft meinen Namen. Ich versuche so viel Abstand wie möglich zwischen uns zu bringen, während er mich immer noch am Arm festhält, und greife mir das erste, was ich fassen kann, um mich zu verteidigen. Tolstoi. Ein angemessen schwerer Welzer. Ich atme heftig. Ich hätte nie gedacht, dass er so stark und schnell ist. „Ganz ruhig! Ganz ruhig! Ich werde dir nichts tun, versprochen!" Ich atme immer noch schwer und halte das schwere Buch hoch, während Garrett weiter gegen die Tür hämmert. Er hat mich gerade in einen Raum gezerrt und mich eingesperrt. Wie soll ich ihm das bitte glauben?! „Ich weiß, du bist clever und glaubst mir das deshalb nicht. Würde ich auch nicht. Aber weil du clever bist, wirst du das auch verstehen: wenn du mir versprichst, nicht weg zu rennen, lasse ich dich sofort los. Dein Wachmann wird es schon sehr bald durch die Tür hier schaffen, je mehr Zeit wir vertrödeln, umso weniger kann ich dir sagen und ich denke, du bist durchaus sehr interessiert an dem, was ich dir zu sagen habe." Ich atme noch zwei Mal tief und mein Puls beruhigt sich ein bisschen. Dann nicke ich. „Sehr gut." Markus lässt mich los. Er geht weiter in die Mitte des Raumes und deutet mir, ihm zu folgen. Ich schiele noch einmal zur Tür. Ich könnte jetzt ganz leicht raus rennen. Sollte ich vermutlich auch. Aber entgegen meines Menschenverstandes bohre ich meine Fingernägel in meine Handinnenflächen und gehe zu ihm. „Georgie, ich weiß, wie viel Daniel an dir liegt. Lillian genauso und entgegen von dem, was du wahrscheinlich erwartest, bist du mir auch durchaus nicht unsympathisch." Okay. „Und genau aus diesem Grunde, möchte ich dich bitten, dich sofort selbst aus der Auswahl zu nehmen." „Was?" „Du solltest gehen. Noch bevor es zu spät ist." Ich bin verwirrt. „Bevor was zu spät ist?" Garrett hämmert weiter gegen die Tür und drückt wie wahnsinnig die Klinke. „Ich habe Daniel und Lillian darum gebeten, Abstand von dir zu nehmen, damit du dich nicht zu sehr mit ihnen anfreundest. Ich meinte zu ihnen, dass gerade wenn du ihnen so viel bedeutest, sie dich so schnell wie möglich von hier wegschicken sollten. Aber Lillian war es zuwider gemein zu dir zu sein und Daniel hat dich zu sehr geliebt, um sich von dir zu trennen, und er weiß auch von den meisten Sachen hier gar nichts. Und jetzt sind wir schon hier angekommen. Also möchte ich, trotz meiner eigenen dadurch gebrochenen Prinzipien, noch ein letztes Mal an dich selbst appellieren: bitte Georgie, du musst gehen." Was soll das hier? Was soll das alles? „Ich hatte also Recht, dass der Henry, den wir bisher kannten, nicht der echte war und jetzt weg ist? Wo ist Daniel jetzt? Und was soll das alles hier?" „Georgie, ich weiß, das ist schwer für dich. Aber mit allem, was du weißt, bringst du dich nur immer mehr in Gefahr. Du würdest jetzt schon für dein Wissen einen Kopf kürzer gemacht werden." Ich bin einfach nur absolut frustriert von der gesamt Situation. Markus beißt die Zähne zusammen und verschränkt die Arme vor der Brust. Es scheint ihm wirklich selbst nicht zu gefallen, dass er gerade mit mir spricht. „Aber warum?! Was zum Teufel geht hier vor sich?! Man spielt die ganze Zeit über mit uns und behandelt uns, als wären wir nicht einmal richtige Menschen, sondern nur Figuren, hübsche Püppchen, die nach belieben hingesetzt werden, und erwartet wirklich, dass wir nicht wissen wollen, was überhaupt mit uns gemacht wird?" Markus sieht hoch. Er ringt sehr mit sich. „Georgie, du..." Er starrt kurz aus dem Fenster, wo die Sonne langsam schon unter geht, deren letzten Strahlen ihr goldenes Licht in dem kleinen Salon verbreiten. Markus senkt den Blick. „Was ich dir jetzt sage, klingt vielleicht zuerst egoistisch und das ist es durchaus auch, aber..." Er bricht ab, stößt ein frustriertes Geräusch aus und fährt sich einmal mit der Hand übers Gesicht. Erst jetzt fällt mir auf, wie müde er aussieht. Älter als er eigentlich ist. Was hat ihn so altern lassen? Ich weiß eigentlich nichts über ihn. Markus sieht mir ehrlich in die Augen und setzt erneut an. „Georgie. Du wärst eine fantastische Königin. Von diesen Mädchen mit Abstand die beste und wahrscheinlich auch von allen Mädchen aus der Auswahl. Aber für dein eigenes Wohl bitte ich dich, so schnell wie möglich zu gehen und wenn diese Selection ein traditionelles Ende finden sollte, den Göttern zu danken, dass du nicht als die Gewinnerin daraus hervorgegangen bist, auch wenn du es sein solltest. Du möchtest nicht Königin werden. Nicht an der Seite von Henry, dem echten Henry. Und auch, wenn ich es auch keinem der anderen Mädchen wünsche: um meinetwillen, um Lillians Willen und um Daniels Willen und vor allem um deinetwillen: Geh." Ich verstehe gar nichts mehr und die Frustration treibt mir Tränen in die Augen. Ich blicke zu Boden, um diese vor Markus zu verstecken, aber er sucht meinen Blick. Er wirkt so sanft, wie ich es bei ihm nie erwartet hätte. „Versuche nicht länger die anderen zu beschützen. Bringe dich nicht länger selbst in Gefahr. Lass diesen schrecklichen Ort hinter dir und geh zurück zu deiner Familie. Fang von vorne an. Geh. Bitte." Ich sehe in seine Augen. Genauso wie sein „Bitte" sind sie so flehend und hilflos und ernsthaft besorgt, wie ein Mensch nur sein kann. „Ich weiß, wie sehr Daniel dich liebt", beteuert er und seine Liebe zu Daniel ist klar in seiner Stimme zu hören. „Und ich weiß, dass er sich ebenfalls nichts sehnlicher wünscht, als dass du glücklich wirst." Ich... ich kann nicht. Selbst, wenn er Recht hat und das Gewinnen dieses Castings der Hölle gleichkommen sollte: ich bin die einzige, die das wissen würde. Ist es da nicht meine Pflicht, die anderen Mädchen zu schützen? Egal wie heldenhaft und dumm das ist. Ich kann sie nicht einfach im Stich lassen. Das sieht Markus in meinen Augen. Er beißt sich auf die Lippe und nimmt ein Buch vom Kaffeetisch. Scheinbar hatte er das wirklich alles geplant. Er wiegt es in seiner Hand und sieht auf es herab. „Bitte versprich mir, dass du meine Worte zumindest ernst nimmst und du darüber nachdenkst." Er hält mir das Buch hin. Die Metamorphosen von Apuleius. Ich lege Tolstoi auf den Tisch und nehme es ihm mit erstaunlich ruhiger Hand. „Ich verspreche es." Er nickt. Dann geht er zur Tür und schließt sie wieder auf. Garrett stolpert in den Raum hinein, packt Markus am Kragen und drückt ihn gegen die Wand. Er hält bereits drohend eine Faust hoch, als ich ihm sanft auf die Schulter klopfe. „Garrett", meine ich ruhig und lächle. Er dreht sich um und ich wedle mit dem Buch. „Keine Sorge. Er wollte nur etwas Privatsphäre haben. Auch wenn die Art, wie er es gemacht hat, wirklich nicht sehr höflich und gut durchdacht war." Ich werfe Markus einen tadelnden Blick zu und er spielt sofort mit. „Es tut mir wirklich leid. Ich wollte ihr nur persönlich ein paar Tipps für die Auswahl geben." Garrett sieht nicht wirklich überzeugt aus und knirscht mit den Zähnen. Er hasst es, wenn er seinen Job nicht gut machen konnte und mich nicht schützen kann. Aber er lässt Markus los und dieser richtet sein Jackett. „Also... Vielen Dank für Ihre Tipps, Mr. Schreave. Ich werde sie mir definitiv durch den Kopf gehen lassen." Markus lächelt sanft und nimmt meine Hand. „Ich danke Ihnen!" Dann verbeugt er sich höflich und geht. Garrett und ich bleiben im Raum zurück und ich senke nachdenklich den Kopf. „Was war das gerade?! Alles in Ordnung?!", möchte Garrett eindringlich wissen. Ich lege meine Hand sanft auf seinen Arm, lächle ihn an und schüttle den Kopf. Etwas zu sagen bin ich nicht in der Lage. Dann mache ich mich stumm zurück auf den Weg zu meinem Zimmer, das Buch fest an meine Brust gedrückt und Garrett folgt mir, ebenfalls still. 

Selection- Der versteckte PrinzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt