Langsam sehe ich an dem paar Schuhe in meinem Blickfeld hinauf und sehe in das Gesicht eines gut aussehenden jungen Mannes. In der einen Hand hält er mein Armband, die andere steckt in der Hosentasche seines perfekt sitzenden Anzugs. Seine sanften hellblauen Augen mustern mich interessiert. Sein goldblondes Haar ist elegant zurückgekämmt. Also entweder hat er eine relativ hohe Position oder viel Geld. Ich stehe auf und klopfe mir den nicht vorhandenen Dreck vom Kleid. „Ja. Vielen Dank. Wo hast du es gefunden?" Ich halte ihm meine Hand hin und er wirft mir einen leicht irritierten Blick zu, legt dann aber mit einem Lächeln auf den Lippen behutsam das Armband hinein. Seine Hand ist viel wärmer als meine. Aber ich habe eigentlich auch immer kalte Hände.„Es lag vorhin hier auf dem Flur. Ich hab mir schon gedacht, dass es einem der Mädchen gehört und es aufgehoben. Jetzt bin ich hier wieder lang gekommen und als ich dich auf dem Boden herum kriechen sah, dachte ich, es gehört bestimmt dir." „Ah, gut kombiniert, Watson", scherze ich und stecke ihm anschließend meine Hand entgegen. „Georgina. Georgie reicht aber." Er sieht aus, als würde er kurz überlegen, ergreift dann aber freudig meine Hand. „Daniel."
Ich lasse seine Hand los und beginne zu versuchen, das Perlenarmband umzubekommen. „Danke für das Armband." „Keine Ursache." Aus irgendeinem Grund schaffe ich es gerade nicht, das Armband zu schließen. Warum stelle ich mich so dämlich dabei an? Daniel lacht. „Komm, ich helfe dir." „Nein danke. Ich schaff das schon." Er hält mir seine Hand hin und wirft mir einen ungläubigen Blick zu. Ich verdrehe die Augen und gebe ihm das Armband. Anschließend halte ich ihm mein Handgelenk hin und er macht mir das Armband um. „Hast du das von deiner Familie geschenkt bekommen?" Daniel ist anscheinend ziemlich neugierig. „Nein", berichte ich, „von Fans am Flughafen." Das ‚Fans' betone ich leicht albern, weil ich immer noch nicht richtig realisiert habe, dass ich Fans haben soll. „So. Fertig", meint er. „Dankeschön." Ich betrachte mein Handgelenk. Das Armband ist so schön.
„Georgie!", höre ich Lanas Stimme rufen. Die drei Zofen biegen um die Ecke ab. Als sie mich sehen, bleiben sie schlagartig stehen. Sie knicksen synchron. „Lady Georgina", sagt Christy. Ich dachte wir wären schon bei Georgie angekommen? „Sie dürfen doch nicht einfach wegrennen!" Triumphierend halte ich mein Handgelenk hoch. „Ich habe mein Armband gefunden!" Ich wende meinen Blick zu Daniel. „Mit ein bisschen Hilfe." „Sehr gut!", meint Lana fröhlich. Dann sieht sie geschockt aus. „Oh mein Gott. Sie haben ja gar keine Schuhe an!" Ich blicke auf meine nackten Füße. Das ist mir jetzt doch ein bisschen peinlich. „Ich kann in diesen hohen Dingern nun einmal nicht richtig laufen." Daniel gibt sich Mühe, nicht gleich laut loszulachen und auch Christy schmunzelt: „Keine Sorge. Ich werde dafür sorgen, dass Sie ein paar Ballerinas bekommen." Daniel winkt ab. „Lassen Sie mal. Ich kümmere mich darum." Er verbeugt sich tief vor den dreien. „Die Damen." Dann nimmt er meine Hand und verabschiedet sich mit einem angedeuteten Handkuss und einem „Georgie." Komisch. Ist das normal im Schloss? Sobald er um die Ecke abgebogen ist, fangen die Zofen an leise zu murmeln und zu kichern. „Was ist los?", frage ich sie. „Nichts", meint Christy und stößt Mia mit dem Ellenbogen an, um sie zu beruhigen. „Kommst du? Ihr werdet gleich auf eure Zimmer geführt." Jetzt duzt sie mich wieder? Vielleicht darf sie das ja nur nicht vor anderen Leuten tun.
Ich folge den dreien wieder in den Raum für das Umstyling. Nachdem ich in meine unbequemen Schuhe geschlüpft bin, folge ich ihnen auf mein Zimmer. Neben mir zieht gerade ein blondes Mädchen mit vielen Sommersprossen ein. Ich lächle sie freundlich an und sie lächelt zurück, während unsere Zofen die Türen aufschließen. „Voilà!", sagt Mia und reißt die Tür auf. Das Zimmer ist genau so übergroß wie alle anderen im Schloss. Es ist in verschiedenen Grüntönen gehaltem. Seine Mitte bildet ein riesiges Himmelbett mit einer kleinen gepolsterten Bank am Fußende. Rechts von ihm steht ein Schminktisch und links im Zimmer steht ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen daran. Daneben ist eine Tür, die auf einen kleinen Balkon führt. Ich habe einen Balkon! Yay! Und rechts im Zimmer sind zwei Türen. Eine führt in ein Badezimmer, die andere gehört zu einem begehbaren Kleiderschrank. Ich dachte niemals, dass ich irgendwann einen begehbaren Kleiderschrank haben würde. „Uhhhh", entweicht es mir, während ich die Kleider durchwühle. Ich fühle mich jetzt schon wie eine Prinzessin, wenn ich über all diesen Tüll fahre.
Lucy, Gerard, Camilla und Christopher, meine Geschwister, werden mir das nie glauben. Sie fehlen mir jetzt schon. Wegen ihnen bin ich überhaupt zum Schreiben gekommen. Ich habe mir immer Gute-Nacht-Geschichten für sie ausgedacht und habe dadurch meine Leidenschaft für das Geschichten-erzählen entdeckt. Ich frage mich, wie Mama mit ihrem Film vorankommt. Momentan dreht sie an einem historischen Film über das Königspaar, das das Kastensystem abgeschafft hat. Ich glaube, die beiden hießen Maxon und America. Zum Glück haben sie das gemacht. Ich stelle es mir furchtbar vor, in einer eingeteilten Gesellschaft leben zu müssen. Ob Papa jetzt gerade eine Wurzelbehandlung macht? Kommt Christopher auch mit den anderen dreien zurecht? Am Besten schreibe ich ihnen einfach eine E-Mail. „Darf ich eine E-Mail verschicken?", frage ich Christy. Diese bejaht. Ich ziehe meine blöden Schuhe aus, nehme meinen Laptop und lege ihn auf den Tisch. Anschließend öffne ich ihn, gehe auf E-Mails und beginne zu schreiben.Hallo ihr Lieben,
Wie geht es euch? Schlagen sich Camilla und Gerard wieder die Köpfe ein? Kann Christopher die anderen einigermaßen gut in Zaum halten? Hier ist alles ganz magisch. Bisher waren alle super nett. Habt ihr die Übertragung vom Flughafen gesehen? Eine nette Familie hat mir sogar ein Armband mit echten Perlen geschenkt! Das Umstyling verlief ohne große Probleme. Ihr werdet ganz schön staunen, wenn ihr mich das nächste Mal im Fernsehen seht, denn ich habe jetzt kurze Haare. Mein Zimmer habe ich bereits bezogen. Es ist riesig! Meine Zofen sind ganz reizend. Ich bin mir sicher, dass sie sich gut um mich kümmern werden. Liebe Grüße auch an Oma und Opa.
Eure GeorgieUnd absenden. Ich sehe auf die Uhr, die über der Eingangstür hängt. Noch drei Stunden. „Lana? Kann ich etwas zu essen haben?" „Selbstverständlich. Ich bin eine hervorragende Köchin!" Mias Gesicht verrät etwas anderes. „Was hätten sie gerne?" Ich sehe Mia besorgt an. „Bratkartoffeln und ein Spiegelei?", meine ich etwas unsicher und hoffe, dass das leicht genug ist, dass sie nicht die gesamte Küche in Brand steckt. Sie klatscht euphorisch in die Hände. „Kommt sofort!" Gerade als sie gehen will, hält Mia sie fest. „Nein warte! Du musst noch unbedingt..." „Mir helfen ein Kleid für das Abendessen auszusuchen!", schlage ich vor. „Genau! Ich mache das Mittag." Noch bevor Lana protestieren kann, hat sich Mia auch schon auf den Weg gemacht. Also suche ich mit Lana und Christy ein Kleid für das Abendessen mit der Königsfamilie aus.
Nach einer Stunde haben wir uns endlich für ein Kleid entschieden haben (Es lag nicht an mir, dass es so lange gedauert hat...). Es ist dunkelgrün und bodenlang. Meiner Meinung nach ist es durch die kleinen Glitzersteine am Rock zu edel. Aber wenn die Zofen sagen, dass man das zu so etwas trägt... Nachdem ich gegessen habe, unterhalte ich mich noch etwas mit den Zofen. Leider weigern sie sich strickt, mir etwas über den Prinzen zu verraten. Dafür erfahre ich, dass Christy 26 Jahre alt ist, Mia 19 und Lana 18. Lana ist gerade erst eingestellt worden und freut sich unglaublich, jetzt schon Zofe für eine der Erwählten zu sein. Christy ist verheiratet und hat eine kleine Tochter. Ihr Mann arbeitet beim Postamt des Schlosses. Und Mia ist seit kurzem mit einem der Köche zusammen. Wahrscheinlich kann sie deshalb so gut kochen. Danach packe ich meinen Koffer aus und hole ein Kartenspiel heraus. „Wir haben noch eine Stunde. Was ist? Habt ihr Lust?" Mia und Christy sehen sich überrascht an und dann wieder zu mir. „Nun ja... Es ist eigentlich nicht üblich, dass die Bediensteten mit den Zugeteilten Mau Mau spielen...", meint Mia mit Bedenken. Doch Christy wirft ihr einen euphorischen Blick zu und meint: „Ja, aber es ist auch nicht üblich, die Zugeteilten zu duzen!" Anscheinend mag sie es, Karten zu spielen, denn ehe ich mich versehe, sitzt sie am Tisch und fragt mich, ob sie die Karten mischen darf. Kaum hat ihre Anführerin die Aktion für gut befunden, gesellen sich auch schon Mia und Lana fröhlich dazu. Um 15:30 Uhr klopft es an meiner Zimmertür. Christy ist gerade dabei, erneut zu gewinnen, als ich „Herein!" sage. „Lady Georgina? Sie sind jetzt...", die Wache, welche die Tür geöffnet hat, bricht ab und muss sich ein Lachen verkneifen, als sie uns vier am Tisch sitzen sieht. „Ja natürlich!", ich stehe auf, „Wir wissen ja sowieso, wer gewonnen hätte!", scherze ich und zeige auf Christy. „Sie ist aber auch wirklich gut...", meint Lana gespielt eingeschnappt. „Das müssen wir unbedingt wiederholen!", sagt Mia begeistert. Auch mir hat es großen Spaß mit den dreien gemacht und ich bestätige: „Auf jeden Fall!" Dann schlüpfe ich wieder in die unbequemen Schuhe und folge der Wache durch die Tür.
Jetzt werde ich doch ein bisschen nervös. Wie er wohl sein wird? Das Mädchen mit den Sommersprossen von nebenan ist anscheinend gerade vom Gespräch zurückgekommen. Als ich an ihr vorbeikomme, flüstert sie mir zu: „Keine Sorge. Er ist wirklich nett." Hoffentlich.
DU LIEST GERADE
Selection- Der versteckte Prinz
أدب الهواةDies ist eine Fanfiction basierend auf der „Selection" Reihe von Ciara Kass. Es spielt lange nach den Geschehnissen der Buchreihe, weshalb ich ihre Bücher und Charaktere kaum einbauen werde. Die fiktive Welt ist frei nach der ihren gestaltet. Dadurc...