Kapitel 10: Die Ergebnisse

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Ich weiß selbst nicht genau warum, aber während des Frühstücks steigert sich meine Nervosität ins Unermessliche. Als ich mit Garrett zum Esszimmer gegangen bin, war ich noch ganz ruhig und ausgelassen. Doch als ich den beinahe vollen Saal betrat, änderte sich das irgendwie. So wie ich erwartet habe, sind alle Mädchen extra früh aufgestanden, um nah am Prinzen zu sitzen. Allen voran selbstverständlich Phoebe, die auf meinem Platz von gestern sitzt. Sie wirft mir einen triumphierenden Blick zu. Was hab ich nur an mir, dass mich irgendwie alle als Bedrohung ansehen?! Ich bin noch nicht einmal wirklich scharf darauf, dieses Casting zu gewinnen! Ich freue mich einfach nur, dabei zu sein! Kann ich nicht einfach die Zeit bis ich rausfliege hier genießen? „Hey, ist neben dir noch frei?", holt mich jemand aus meinen Gedanken. Ich sehe auf. Es ist Sydney. Endlich ein Lichtblick! „Ja, klar! Setz dich nur!" Ich deute auf den Stuhl neben mich. „Ist die unerschütterliche Georgie etwa nervös?", scherzt sie, während sie den Stuhl zurück zieht. Ich hebe eine Augenbraue. „Wirke ich wirklich so unerschütterlich?" Sie zuckt mit den Schultern. „Auf jeden Fall mehr als die meisten anderen hier. In meiner Gruppe komme ich mir auf jeden Fall leicht vor, als wäre ich eher in einem Hühnerstall als in einem Palast. Ich muss schmunzeln. „Mit wen bist du denn in einer Gruppe?" Sie deutet auf Phoebe. „Autsch", zische ich. Sie nickt. „Ansonsten ist da noch Kate", sie deutet auf das Mädchen gegenüber von Phoebe. Das ist die, die beim letzten Frühstück nach Mandy mit Lizzi und Alice reingekommen ist. Wow. Unglaublich, dass ich mit den ganzen Namen so gut zurecht komme. Ich hätte erwartet, dass jedes drittes Mädchen hier für mich nur: „Die da", sein wird. „Sie ist auch in meiner Gruppe", fährt Sydney fort, „Die hat's mächtig erwischt, sag ich dir!" Ich sehe wieder zu Kate. Sydney hat recht. Sie ist definitiv mächtig in Henry verknallt. Die Art, wie ihr Blick seinen sucht. Die Art, wie sie an seinen Lippen hängt. Ich wünschte, mir würde es genau so gehen wie ihr. Aber leider empfinde ich bisher nicht viel mehr für Henry als Sympathie und das ich ihn attraktiv finde. Okay, wirklich SEHR attraktiv. Aber eben auch nicht mehr. „Dann haben wir da noch Caroline." Sydney deutet etwas weiter in die Mitte des Tisches. Das Mädchen hat sehr markante Wangenknochen und volle Lippen und Pechschwarze Haare. Wäre ihre Haut nicht so gebräunt, könnte man denken, sie wäre Schneewittchen. „Sie ist eigentlich voll okay. Aber ihre Freundlichkeit wird durch Penelope und Magenta ausgeglichen, die das Klima in unserer Gruppe wieder kippen. Oder, wie ich sie liebevoll nenne: die zwei Phoebes." Sie zeigt auf die zwei Mädchen, die links neben Phoebe sitzen. Die eine hat eine kleine Stupsnase und karamell-farbene Haare. Die Nase der anderen ist etwas größer und sie hat wilde, hellbraune Locken. „Ich weiß nicht genau warum, aber die beiden weichen Phoebe nicht von der Seite und beten sie an wie irgendeine Gottheit. Das ist einfach nur anstrengend." „Hm. Ich fühle deinen Schmerz", pflichte ich Sydney bei. „Danke." „Was hast du gemacht?", wechsle ich das Thema, „Also für den Blog meine ich." „Ich hatte ja schonmal erwähnt, dass ich Pianistin bin", erklärt sie, „Also habe ich mich einfach vorgestellt und dabei die ganze Zeit Klavier gespielt. Und du?" „Ich liebe alles, was mit Literatur zu tun hat. Deshalb habe ich einfach jede Menge Zitate in meine Vorstellung eingebaut. Alles von Shakespeare bis Oscar Wilde." „Ah. ‚Lasset die Handlung zu den Worten, und die Worte zur Handlung passen, mit der einzigen Vorsicht, daß ihr nie über die Grenzen des Natürlichen hinausgeht.'" Meine Augen beginnen zu leuchten. „Hamlet!" Sie nickt stolz. „Ich habe bei einer Aufführung von Hamlet Klavier gespielt." Bevor sie mir noch mehr darüber erzählen kann, erklingt das Geräusch einer Gabel, die gegen ein Glas geschlagen wird. 

Henry steht auf. Gott. Warum habe ich das Gefühl, kaum noch atmen zu können? Augenblicklich tun mir alle Frauen aus vergangenen Jahrhunderten leid, die jemals ein Korsett tragen mussten. Ich trage jetzt keins und habe dennoch das Gefühl, gleich umzukippen! „Guten Morgen, meine Damen", beginnt er. Wie schafft er es immer, überhaupt nicht nervös zu wirken? „Bevor wir mit dem Frühstück beginnen, möchte ich Sie gerne von ihrem Leiden erlösen und Ihnen mitteilen, welches Mädchen mich nach dem Frühstück zu einem Ausritt begleitet." Wann bin ich das letzte Mal geritten? In den letzten Sommerferien. Wir fahren jedes Jahr in einen kleinen Urlaubskomplex am Meer, bei dem es einen tollen Reiterhof gibt. Dadurch bin ich zur Gelegenheits-Reiterin geworden. Hoffentlich weiß ich noch genug, um hier auf einem Pferd bestehen zu können. Henry ist bestimmt ein super Reiter... Aber naja, ist ja auch egal. Wir sind 25 Mädchen, wahrscheinlich werde ich sowieso nicht ausgewählt. „Zu allererst möchte ich Ihnen noch einmal mitteilen, dass mir die Auswahl sehr schwer fiel. All Ihre Videos waren sehr kreativ und interessant und es hat mir Freude bereitet, sie mir anzugucken und mehr über Sie zu erfahren. Deshalb möchte ich allen, die nach dem Frühstück wieder auf Ihre Zimmer gehen müssen, sagen: machen Sie sich keine Sorgen. Dies wird definitiv nicht die letzte Verabredung in diesem Casting für mich sein." Jetzt sag es schon endlich, Henry! „Und die Gewinnerin unseres kleinen Wettbewerbes ist... Lady Suzanna." Alle beteiligten sehen zu dem grazilen Mädchen mit den straßenköterblonden Haaren, welche noch kürzer sind als meine. Sie ist wirklich hübsch. Trotz ihres burschikosen Haarschnitts hat sie durch ihr dünnes Gesicht keinesfalls etwas männliches an sich. Suzanna scheint noch nicht recht zu begreifen, wie ihr geschieht, sieht verwundert zwischen uns anderen hin und her und danach zu Henry. Dieser lächelt freundlich. „Lady Suzanna hat ihre Lebensgeschichte in Sand gemalt. Sie können sich alle Videos nach dem Frühstück auf Ihren Zimmern oder im Damensalon ansehen. Aber nun erst einmal: guten Appetit." Er setzt sich. Ich kann nicht sagen, dass ich richtig enttäuscht bin. Natürlich hätte ich mich gefreut, das erste Date zu bekommen. Immerhin hätte ich dadurch vielleicht früher erfahren, ob ich bleiben möchte oder ob das mit Henry und mir so gar keine Zukunft hat. Aber ich hab ja schon vorher geahnt, dass ich nicht genommen werden würde. Trotzdem, ein bisschen traurig bin ich schon. 

Selection- Der versteckte PrinzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt