Kapitel 25: Umwälzungen

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„‚Fußspuren?' ‚Fußspuren.' ‚Von einem Mann oder von einer Frau?' Dr. Mortimer blickte uns einen Moment lang sonderbar an, und seine Stimme sank zu einem Flüstern herab, als er antwortete: ‚Mr. Holmes, es waren die Fußspuren eines gigantischen Hundes!'" Ich lächelte. „Ich weiß nicht, wann ich zuletzt ‚Der Hund von Baskerville' gelesen habe. Aber ich liebe, liebe, liebe Sherlock Holmes." „Ich weiß gar nicht, wie oft ich die Reihe schon durch habe." Henry bewundert ehrfürchtig den schönen Ledereinband mit der Goldprägung. „Aber ich habe definitiv kaum etwas so oft gelesen." „Die Charaktere sind so gut. Sherlock und John sind wirklich füreinander geschaffen. Es macht so Spaß ihnen zu folgen." Henry beugt sich zu mir runter. „Wann darf ich eigentlich dein Buch lesen?" Ich strecke meinen Arm aus und lasse meine Hand durchs Wasser gleiten. Es ist leicht gewärmt durch die Sonne. In meinem Rücken spüre ich den kalten Stein des Brunnenrands. Ich linse nach oben und sehe Henry erwartungsvoll eine Augenbraue heben. „Wenn ich damit zufrieden bin!" „Also nie?" Ich verdrehe grinsend die Augen und blicke auf meine Hand im Wasser. „Das hier schreibe ich übrigens auch auf", gestehe ich und spüre eine leichte Hitze auf meinen Wangen. Er legt Sherlock Holmes auf seinem Schoß ab. „Wie wir Lesungen auf dem Amor und Psyche-Brunnen abhalten?" „Auch." Ich weiß selbst nicht genau, warum ich ihm das erzähle. Es kam einfach aus mir heraus. „Einfach alles. Das Casting. Fast wie ein Tagebuch nur mit veränderten Namen." Ich sehe zu ihm auf. Er hebt eine Augenbraue. Ich wusste, es war ein Fehler ihm das zu sagen. Aber jetzt ist es nun mal passiert. „Du heißt darin übrigens Daniel", füge ich hinzu, in der Hoffnung, es dadurch irgendwie besser zu machen. Henry schnaubt. Es klingt wie ein bitteres Auflachen. Er starrt in die Weite des Gartens und streicht gedankenverloren mit seinem Daumen über den Buchrücken. „Wie ironisch." Ein Muskel in seinem Kiefer zuckt fast unmerkbar. Ich hätte es ihm nicht sagen dürfen. Hektisch ziehe ich meine Hand aus dem Wasser und beginne sie mit meiner anderen abzutrocknen. Ich drehe meinen Kopf nach Links, weg von ihm, und kaue auf meiner Unterlippe. Ich seufze. „Es ist albern, ich weiß! Ich weiß auch nicht genau, warum ich es mache..." „Nein, nein", unterbricht er mich. Er lächelt mich sanft an, streicht eine Haarsträhne aus meinem Gesicht und ruht anschließend mit seinem Handrücken auf meiner Wange. Seine Hand ist ungewöhnlich kühl für seine Verhältnisnisse, aber angenehm weich auf meiner Haut. „Ich freu mich. Wirklich." Er küsst mich auf die Stirn. Anschließend bleibt er nah über mir. Ich kippe meinen Kopf noch ein Stückchen weiter nach hinten, um sein umgedrehtes Gesicht besser sehen zu können. Er streichelt über meine Wange. „Weißt du..." Er lächelt und drückt dabei seine Lippen aufeinander. „Manchmal weiß man erst, wozu etwas gut war, wenn es zu Ende ist. Manchmal weiß man nicht, warum man etwas tut, und merkt erst wenn man es getan hat, dass es das Richtige war." Er hat Recht. Aber ich habe das Gefühl, er redet nicht über mich. Zumindest nicht nur. Ich will es nicht wieder ansprechen. Ich will nicht wieder ansprechen, was er mir verheimlicht. Er wird es mir ja doch nicht sagen. Aber ich will trotzdem für ihn da sein. Irgendwie. Also richte ich mich auf, drehe mich zu ihm um und setzt mich auf mein rechtes Bein, dessen Knie über dem Brunnenrand schwebt. Ich nehme sehe Hand und sehe ihm in die Augen. „Ich hoffe für dich, dass du das Richtige getan hast." Er will seine Hand wegziehen und seinen Blick von mir abwenden, aber ich halte beides fest. „Georgie, ich..." „Ich weiß, du möchtest nicht mit mir darüber reden." Ich seufze. „Und du wirst deine Gründe dafür haben. Ich werde dich nicht wieder danach fragen." Jetzt sieht er mir wieder in Augen und schluckt schwer. „Wirklich. Und egal, was es ist..." Ich lege meine zweite Hand auf seine, die meine erste umfasst. „Ich vertraue dir. Und ich will bei dir sein. Ich kenne dich Henry. Nichts, dass du mir verheimlichst, nichts, dass du tun würdest, wäre je so schlimm, dass wir das nicht zusammen hinkriegen würden. Ich bin für dich da, egal was passiert. Egal, was dich belastet. Und wenn... wenn du bereit bist, es mir anzuvertrauen..." Ich drücke seine Hand ein wenig fester. „Dann bin ich da. Ich bin immer für dich da." Henry lächelt. Seine Augen sind blank, als er mit seinen Fingern in mein Haar fährt und mich küsst. Er schließt die Augen, als würde er versuchen diesen Moment festzuhalten. „Uns bleibt nicht mehr viel Zeit, Georgie", meint er. „Es sind nur noch 13 Mädchen da. Bald werden es nur noch fünf sein und..." Oh Gott! Wenn er mir jetzt einen Antrag oder etwas in der Art macht, kriege ich einen Herzinfarkt! Ich meine: ja, ich liebe ihn. Definitiv. Aber je mehr ich darüber nachdenke, umso mehr wird mir klar, dass es nie mein Ziel war zu heiraten, als ich hierher kam. Schon gar nicht nach einem Monat! Wie lange gingen die Auswahlen normalerweise? Wie haben die anderen Mädchen das entschieden, als es zu dem Moment des Antrags kam? Ich bezweifle, dass ihre Liebe stärker gewesen sein könnte als meine zu Henry. Ich würde für ihn durchs Feuer gehen! Aber ich habe Angst, dass sie meine Fähigkeit sinnvolle und logische Entscheidungen zu treffen einschränkt. Denn ich weiß, wenn er mir jetzt endlich auch sagen würde, dass er mich liebt., die richtigen drei Worte aussprechen würde, dann würde ich zumindest ernsthaft in Erwägung ziehen... Aber das wird er eh nicht! Also beruhige dich gefälligst, Puls! Er zieht seine Hand unter meiner weg und verschränkt sie mit seiner anderen auf seinem Schoß. „Ich weiß einfach nicht, was passieren wird! Ich weiß es nicht! Und ich weiß nicht, ob ich es damit besser und einfacher für dich mache, wenn ich dir etwas sage. Oder ob ich dir damit das schlimmste antue, was man sich vorstellen kann." Ich beiße die Zähne zusammen. Tja. Damit kann ich ihm leider nicht helfen. Ich weiß ja nicht, worum es geht! Er wendet sich mir wieder zu. Seine Schultern hängen. „Du hast das alles nicht verdient, Georgie. Du hast es nicht verdient hier zu sein. Und du hast es ganz sicher nicht verdient, ausgerechnet diejenige zu sein..." Er seufzt und lächelt. „...die das Pech haben muss, sich in mich zu verlieben." Er atmet schwer und fährt sich mit den Fingern über seine glänzenden Augen. Ich weiß nicht, was ich sagen oder tun kann. Also umarme ich ihn einfach von der Seite.

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