Kapitel 27: Wiedervereinigung

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Das erste Mal seit dem Angriff und nachdem ich fast 4 Tage lang auf der Krankenstation lag, sitze ich wieder am Esstisch. Ich habe immer noch manchmal leichte Probleme mit dem Kurzzeitgedächtnis, aber das legt sich langsam. Ich hatte wirklich Glück. Im Gegensatz zu der armen Suzanna. Ich seufze leise. Die Stimmung ist verständlicherweise so gedrückt, dass die Luft im Saal sich bleiern schwer anfühlt. Es sind keine Kameraleute anwesend. Der König und die Königin hatten vor ein paar Tagen hochprofessionell verkündet, dass sie Henry ein wenig Privatsphäre mit den Mädchen gönnen wollen und er und wir deshalb diese Woche weder gefilmt werden, noch am Bericht teilnehmen dürfen. Meine Familie hatte mir eine E-Mail deswegen geschrieben, weil sie es seltsam fanden. Ich habe ihnen versichert, dass alles hier okay ist. Eine glatte Lüge. „Es freut sie sicher zu hören, dass wir die Wachkräfte noch einmal um ein Drittel verstärken konnten", verkündet die Königin mit einem seelenruhigen Lächeln. „So können wir gewährleisten, dass für ihre Sicherheit gesorgt ist. Vor allem an den Mauern des Palastes. Keine Rebellen oder nervtötenden Paparazzi haben mehr eine Chance herein zu kommen." Und keiner hat mehr eine Chance heraus zu kommen. Völlig traumatisiert hatten Kate und Clary vor zwei Tagen versucht, nachts aus dem Palast zu fliehen. Sie hatten sich geweigert, die Verschwiegenheitserklärung zu unterschreiben. Entgegen meiner Erwartungen wurde ihnen nichts weiter getan. Glaube ich zumindest. Uns wurde gesagt, sie würden mit psychologischer Beratung auf eine Kur am Meer geschickt werden. Ihren Eltern wurde nur mitgeteilt, dass der Druck für sie zu groß wurde. Ich bete einfach dafür, dass es ihnen gut geht, wo auch immer sie jetzt sind. 10. Wir sind nur noch 10. „Es gibt noch eine erfreuliche Neuigkeit", fährt der König fort. „Ich weiß, sie haben meinen Sohn lange nicht mehr gesehen und vermissen ihn alle sicher schrecklich." Es wird eng in meiner Brust. Er ist der einzige Grund, warum ich noch hier bin. Ich bin müde. Ich bin genauso traumatisiert wie die anderen. Ich habe mir jede einzelne Sekunde im Krankenflügel gewünscht, er würde im Türrahmen auftauchen und mir wieder vorlesen. Ich setze mich gerader auf. War er vielleicht doch der echte Prinz? Hatte er wieder einen Anfall gehabt, von dem er sich erholen musste? Oder wird jetzt ein neues Gesicht durch diese Tür schreiten? Wie geht es ihm? „Nun, es freut mich sehr euch mitzuteilen, dass er ab heute wieder..." „Hallo Vater, Mutter!" Ich drehe mich um. Henry betritt den Raum. Sein Grinsen ist breit und selbstbewusst. Er läuft so aufrecht, wie ich es selten bei ihm gesehen habe, während er seine Manschettenknöpfe richtet. Er wirkt quietschfidel. Himmel! Es geht ihm gut! Ich unterdrücke den Drang aufzuspringen und ihm um den Hals zu fallen. Linda, die links neben mir sitzt, sieht meine Unruhe und greift nach meiner auf dem Tisch liegenden Hand. Ich sehe sie an. Sie lächelt, als würde sie sagen wollen: „Siehst du? Alles in Ordnung." und drückt meine Hand einmal liebevoll. Ich atme tief ein und schenke ihr ein dankbares Lächeln zurück. Dann wende ich meine Aufmerksamkeit wieder Henry zu. Als er an mir und Linda vorbei geht, zwinkert er mir zu. Es geht ihm gut! Ich kann es immer noch nicht glauben. Ich weiß nicht warum, aber irgendwie habe ich das Gefühl, es mir immer wieder selbst sagen zu müssen. Henry drückt seinen Eltern und zum Schluss seiner Schwester einen Kuss auf die Wange. Letztere verhält sich irgendwie seltsam. Ihr Lächeln wirkt so unecht, als sie ihn ansieht. Ich ziehe die Augenbrauen zusammen. „Meine lieben Mädchen", setzt Henry anschließend an und klatscht einmal in die Hände. Ich weiß nicht, warum diese Geste an ihm irgendwie falsch aussieht. „Ich bin gerührt, dass ihr euch solche Sorgen um mich gemacht habt. Wie ihr seht, geht es mir gut. Und ich habe die letzten paar Tage genutzt, um mich etwas zurückzuziehen und über den weiteren Verlauf des Castings nachzudenken." Ich drücke Lindas Hand fester. Irgendetwas stimmt hier nicht. Ganz und gar nicht. Aber ich kann einfach nicht sagen was. „Ich habe mich nun also entschieden, welche reizenden Damen von euch bleiben dürfen- und wer die Elite bilden wird." Die Elite. Mein Herz beginnt wie wild zu schlagen. Nur noch fünf Mädchen und eine davon wird Daniels- oder Henrys- Frau werden. Oder von dem Prinzen, der nicht Daniel ist? Wie wollen sie es schaffen, ihn mit dem echten Prinzen auszutauschen, wenn er es nicht ist? Ich habe das Gefühl, gar nichts mehr zu verstehen oder zu wissen. Henry lächelt mich an und blinzelt mir ein paar Mal zu. Ich werde ein wenig ruhiger. Es herrscht eine Totenstille. Normalerweise wäre dies der Punkt gewesen, an dem alle Mädchen aufgeregt zu tuscheln beginnen. Aber das ist vorbei. „Ich möchte Sie daran erinnern, dass Sie alle wundervolle Damen sind und es mir ein großes Vergnügen war, Sie alle kennenlernen zu dürfen. Ich wünsche Ihnen alles Glück der Welt und bin mir sicher, dass Ihnen allen eine strahlende Zukunft bevorsteht. Egal ob an meiner Seite oder der eines anderen glücklichen Mannes." Die Namen. Sag endlich die Namen. Mein Magen dreht sich um. Ich hatte lange schon große Angst vor diesem Moment. Ich will bei Daniel bleiben. Ich will mit ihm zusammen sein. Aber eigentlich will ich das alles nicht. Ich weiß immer noch nicht, ob ich Königin sein will oder nicht. Ich will Daniel. Wenn ich gewinnen würde, würde ich dann mit ihm zusammen sein? Er hatte mehrmals gesagt, dass es egoistisch von ihm sei, mich dazubehalten. Wieso? Weil das Amt der Königin so eine schwere Bürde ist? Oder weil am Ende vielleicht gar nicht er derjenige ist, den ich heiraten würde? Alles dreht sich vor mir, und das nicht nur wegen der Gehirnerschütterung. Ich will einfach nur, dass das hier vorbei ist. „Lady Judy. Vielen Dank für Ihre Teilnahme. Sie werden uns als erste verlassen." Judy steht auf. Sie sieht so geschafft aus, wie wir alle, aber weder froh noch traurig. Mit einem Nicken und einem herzlichen Lächeln verabschiedet sie sich stumm von jedem einzelnen. Ich werfe ihr einen kleinen Luftkuss zu. Ich werde sie vermissen. „Lady Linda, sie sind die nächste. Vielen Dank für Ihre Teilnahme." Linda dreht sich zu mir. Ich fasse es nicht, dass sie geht. Ich schlucke einen Kloß im Hals herunter, während sie mich umarmt. „Du wirst mir fehlen", flüstere ich. „Wir schreiben. Und telefonieren", flüstert sie zurück. Ich nicke an ihrer Schulter. Dann löst sie sich von mir, verabschiedet sich wie Judy es eben getan hatte von den anderen und folgt ihr durch die Tür. Ich hatte noch nie so große Angst, meinen Namen zu hören. „Allison", verkündet Henry. „Jen." Ein Name. Nur noch ein Name. Ich verschränke meine verschwitzten Hände ineinander. Mir fehlt die von Linda jetzt schon. „Kelli." Ein Stein fällt mir vom Herzen. Ich bin noch drin. Ich bin wirklich noch drin. Ich sollte darüber vielleicht nicht so glücklich sein, wie ich es bin. Und vielleicht auch nicht so verwundert. Immerhin hat er mir gesagt, dass er mich liebt. Mehrmals. Allerdings könnte das, wenn ich ihn richtig einschätze, auch ein Grund dafür sein, dass er mich gehen lassen will. Henry sieht in die radikal verkleinerte Runde. Er schürzt die Lippen und verengt die Augen. „Wissen Sie", meint er. „Wir haben durch diesen kleinen unglücklichen Zwischenfall ganz schön an Zeit verloren. Lassen Sie uns gleich aus den 5 Mädchen 4 machen." Was? Henry verschränkt von den geschockten Gesichtern ungerührt die Hände hinter dem Rücken. „Lady Regina. Sie sind auch raus." Regina beginnt zu weinen und rennt aus dem Saal. Henry hat ein perfektes Lächeln auf den Lippen, als wäre nichts gewesen. „Gut, dann lassen Sie uns mit dem Essen beginnen. Ich habe einen Mordshunger!" Er zieht schwungvoll seinen Stuhl nach hinten, lässt sich darauf fallen und beginnt freudestrahlend über die Delikatessen herzufallen. Wir anderen kriegen indessen kaum einen Bissen herunter.

Selection- Der versteckte PrinzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt