Kapitel 32: Gespräche

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Ich schließe sanft die Tür. Wie führt man so ein Gespräch? Ich atme tief ein. „Alles gut bei dir?", fragt Sydney mit gehobener Augenbraue und bietet mir einen Platz an. Absolut nicht. So gar nicht. Ich sage nichts, sondern suche immer noch nach dem richtigen Einstieg, während ich Platz nehme. Dann fällt mir noch schnell etwas ein und ich stehe sofort wieder auf. Ich greife unter die Matratze. „Was tust du da...?", fragt Sydney irritiert und verschränkt die Arme vor der Brust. Ich ziehe die Wanze hervor und zeige sie ihr. Ihre Augen weiten sich. „Seit wann...?" „Noch nicht sehr lange." Ich nehme, wie Garrett es zuvor getan hatte, ein Laken aus ihrem Schrank, worin ich die Wanze wickle, verfrachte sie auf den Balkon und schließe die Tür. „Warum...?", will sie wissen. Ich deute ihr, sich aufs Bett zu setzen. Ich weiß nicht, ob hier noch andere Wanzen versteckt sind, aber beim Bett können wir uns jetzt zumindest sicher sein, dass wir keine direkt neben uns haben. Sehr verwundert setzt Sydney sich und versucht mit der Situation klar zu kommen. „Wir können jetzt frei reden", erkläre ich. „Aber am besten trotzdem leise." Immer noch leicht verblüfft nickt sie. So... Ach egal. Ich komme einfach gleich zur Sache. „Du und Cloe...", beginne ich unsicher. Sie legt den Kopf schief und antwortet mit einem gedehnten: „...Jaaa?" „Ihr seid zusammen?" Ich kann meine eigene Stimme kaum wiedererkennen. Dabei will ich ihr doch ein Gefühl von Sicherheit vermitteln. Sie seufzt, wirkt aber erstaunlich gelassen. „Ja, sind wir." Ich nicke wie eine Wackelkopfstatue. So weit, so gut, aber wie jetzt weitermachen? Ich sauge die Luft erneut tief ein. „Ich freue mich für..." Sydney fällt mir ins Wort: „Ich wollte es dir eigentlich sagen, aber wie du ja weißt, ist es laut den Regeln verboten und..." Sie bricht ab. Wir sehen uns an und lächeln. „Wie lange schon?", frage ich. Sie zuckt mit den Schultern. „Das ist irgendwie ganz natürlich entstanden. Wir haben durch die Proben für den Ball viel Zeit miteinander verbracht und sind uns dabei einfach näher gekommen." Ich nicke und weiß erneut nicht, was ich darauf sagen soll. „Unsere Gefühle haben wir einander aber erst während des zweiten Angriffes gestanden. Wir waren da zusammen eingesperrt." Ein bestätigendes: „Oh", ist alles, was ich darauf erwidern kann. Ich habe noch nie zuvor mit jemandem ein Outing-Gespräch geführt, aber das hier war wesentlich einfacher gewesen, als ich es mir vorgestellt hatte. Also entscheide ich mich einfach dazu, direkt zum wichtigsten Punkt zu kommen. „Weiß Henry davon?", frage ich mit einem plötzlich wesentlich entschlosseneren Ton. Sydney wundert sich leicht darüber, aber nicht zu stark. „Ja. Wir haben eine Abmachung mit ihm getroffen. Er hat gesagt, er würde uns mögen und gerne bei sich haben und wir dürfen bleiben und gehen, wann wir wollen. Wir wohnen so weit von einander entfernt, weißt du, und wollten uns gerne noch etwas besser kennenlernen, bevor wir uns für irgendetwas Festeres entscheiden", erklärt sie, ganz die Logikerin, die sie ist. Ganz wie ich. Ich schmunzle. „Außerdem war uns ja eh allen klar, dass Henrys Wahl eigentlich schon getroffen war, also..." Sie lächelt mich vielsagend an. Mein Lächeln erstirbt. Daniel, du Idiot. „Wann hast du das letzte Mal mit ihm über dich und Cloe gesprochen?" Sie wirkt verwirrt, über meine spontane Dringlichkeit. „Keine Ahnung. Ist schon eine Weile her." „Länger als zwei Wochen?" Sie zuckt mit den Schultern. „Auf jeden Fall noch vorm letzten Angriff." „Sehr gut!", meine ich, ein bisschen zu bestimmt. Sydney zieht die Augenbrauen zusammen. „Wieso, was ist los? Wo kommen die Wanzen her?" „Henry..." Ich überlege wie viel ich ihr sagen sollte. Ich schlucke. Sie sieht mich erwartungsvoll und besorgt an. Ich rutsche auf dem Stuhl und falte die Hände in meinem Schoß. „Du vertraust mir, oder Sydney?", frage ich. Sie legt den Kopf schief. Wenn ich so mysteriös frage, wahrscheinlich nicht mehr so sehr. „Mehr als jedem anderen hier im Schloss, ja", meint sie misstrauisch. Ich nicke. „Etwas geht hier vor sich. Etwas, das ganz und gar nicht..." Wie soll ich das nennen? „...gut ist." Sie zieht die Augenbrauen noch mehr zusammen. „Etwas, das nicht gut ist?", wiederholt sie ungläubig. Ich nicke erneut. „Du hattest Recht. Ich habe etwas herausgefunden. Und es ist..." Ich wende den Blick ab, um ihr nicht in die fragenden Augen sehen zu müssen, in der Hoffnung, das würde es leichter machen. „Es ist unglaublich gefährlich und groß, Sydney. Und ich will dich wirklich nicht mit dem Wissen darüber in Gefahr bringen." Sydney beißt sich auf die Unterlippe. Sie will, dass ich es ihr sage. „Sydney, bitte", flehe ich. Sie seufzt und nickt, um mir zu bestätigen, dass sie mir vertraut und das Thema ruhen lassen wird. „Hast du in deinem Zimmer über dich und Cloe gesprochen, seit die Wanzen da sind?" Sie schüttelt sichtlich erleichtert den Kopf. „Meine Zofen sind absolute Tratschtanten. Ich habe ihnen nichts erzählt. Nur Adam und Charles, aber wir haben nur auf dem Flur darüber geredet." Sie grinst schief. „Wofür ich jetzt auf einmal unglaublich dankbar bin." Ich schmunzle und beuge mich mehr zu ihr vor. „Es ist unglaublich wichtig, dass du mit Henry nicht mehr darüber sprichst. Dass du ihn nicht darauf ansprichst. Dass ihr beide vorsichtiger seid als zuvor. Und dass du dich, bevor du irgendetwas sagst oder tust, nach Kameras und Wanzen in der Nähe erkundigst." Sie nickt verstehend. „Wird Henry von irgendjemandem überwacht? Seine Eltern? Staatsleute?" Ich lächle ermahnend und werfe ihr einen entschuldigenden Blick zu. „Sydney..." Sie hebt die Hände und ergibt sich. „Ich weiß. Ich weiß." Dankbar nehme ich ihre Hand. Sie legt ihre andere darauf und sieht mich ernst an. „Aber bitte", meint sie, „pass wirklich auf dich auf." Wenn sie nur wüsste, was ich im Begriff zu tun bin. Ich atme aus und lasse meinen Blick durch das Zimmer schweifen. Dann stehe ich auf, öffne die Balkontüren, gehe hinaus, nehme die Wanze, wickle sie vorsichtig aus und platziere sie sanft an ihrem alten Platz. „Du solltest das dunkelgrüne Kleid anziehen", meine ich, während ich mich erhebe. „Die Farbe steht dir." Sydney nickt mir lächelnd zu. Ich nicke zurück und dann gehe ich aus dem Raum. „Pünktlich wie die Maurer", meint Garrett zufrieden. „Wir müssen los." Ich lächle. Nun, wo ich zumindest diesen einen Punkt von meiner Agenda streichen konnte, fühle ich mich zumindest ein bisschen besser.

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