Kapitel 14: Ich entscheide mich für bequem

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Henry blieb tatsächlich zwei Stunden lang. Er hat sich fast heiser gelesen. Aber es war unglaublich angenehm seiner Stimme zu lauschen und es hat sehr viel Spaß gemacht. Mir hatte schon so lange niemand mehr vorgelesen, dass ich ganz vergessen hatte, wie schön das ist. Durch diese zwei Stunden habe ich wahrscheinlich mehr Zeit mit Henry verbracht als jedes andere Mädchen im Casting. Hoffentlich wird das nicht herauskommen. Am Ende bricht sich sonst noch jemand mit Absicht ein Bein, um von Henry versorgt zu werden. Ich habe wirklich so ein Glück. Es war fast unnormal, was für Sorgen er sich gemacht hat. Er kann es anscheinend wirklich überhaupt nicht leiden, wenn es jemandem schlecht geht. Henry ist so fürsorglich und freundlich. Diese zwei Stunden haben mir erneut ins Gedächtnis gerufen, was mir schon seit dem ersten Gespräch mit Henry völlig klar war: wir sind komplett auf einer Wellenlänge. Wir haben den gleichen Humor und sind uns bei wirklich vielen Themen einig. Ich bin immer noch nicht verliebt in ihn, aber trotzdem muss ich unweigerlich denken, dass wir in einer Ehe sicherlich sehr harmonisch wären. Ich verspüre nicht den tiefen Wunsch, mit ihm zusammen zu sein, aber ich könnte es mir durchaus vorstellen. Bleibt nur noch die Frage, wie es mit uns beiden aussehen würde, wenn es um das Regieren eines Landes geht. Abgesehen davon, dass ich gar keine Ahnung habe, ob ich eine gute Königin wäre oder nicht, habe ich keinen blassen Schimmer, wie das mit uns beiden laufen würde. Aber darüber muss ich mir zum Glück noch keine Gedanken machen, denn immerhin ist die wichtigste Voraussetzung zum Gewinnen des Castings bei uns beiden nicht erfüllt: Ich liebe ihn nicht und bin mir auch sehr sicher, dass er mich nicht liebt. Und ich weiß auch immer noch nicht, ob es jemals so sein könnte. Aber ich bleibe dabei, dass wir auf jeden Fall gute Freunde werden können. Ich würde sogar soweit gehen zu sagen, dass wir uns jetzt schon angefreundet haben. Diese seltsame Migräne ist zum Glück langsam wieder abgeklungen, dennoch entscheide ich mich, noch bis heute Abend im Krankenzimmer zu bleiben. Für alle Fälle. 

Als ich wieder in mein Zimmer gehe, werde ich von meinen besorgten Zofen empfangen. „Oh mein Gott!", kommt Lana auf mich zugestürmt und mustert mich aufgeregt von allen Seiten. „Alles in Ordnung?! geht es dir wieder gut?! Du hast zumindest wieder ein bisschen Farbe im Gesicht." Sie quetsch meine Wangen und starrt mit zusammengekniffenen Augen mein Gesicht an. „Alles gut", versichere ich unter schwersten Bedingungen. „Mir geht es wieder gut. Die Schwester meinte, es wäre eine Eintagsfliege." Neben mir höre ich Garrett lachen. Lana wirft ihm einen peinlich berührten Blick zu. Jetzt lässt sie endlich meinen Kopf los. „Oh Gott sei dank!" „Wir haben uns solche Sorgen gemacht", tritt Christy zu ihr. In diesem Moment kommt Sydney hinter mir durch die Tür gestürmt, quetscht sich an Garrett vorbei und ruft: „Sie ist wieder da?!" Ich drehe mich zu ihr um und sehe sie verblüfft an. Sie hält sich eine Hand aufs Herz. „Georgie! Zum Glück! Ohne dich wäre es hier nur halb so lustig gewesen!" Unglaublich, dass sich alle so große Sorgen um mich gemacht haben, obwohl wir uns erst seit vier Tagen kennen. „War es sehr schlimm?" „Ach was. Diese sehr starken Schmerzen haben recht schnell nachgelassen und außerdem..." Ich denke daran, wie Henry mir die ganze Zeit vorgelesen hat, entscheide mich aber stattdessen zu sagen: „Ich durfte auch schon früh wieder lesen und hab mir dann damit die Zeit vertrieben." Sydney lächelt. „Die anderen haben extra ihren Backtermin nach hinten verschoben, weil du ja unbedingt mitmachen wolltest." Alle hier sind so unglaublich nett. „Henry hat mir schon davon erzählt." Sie legte den Kopf schief. „Henry?" Ich nicke. „Ja. Er war kurz da um nachzusehen, wie es mir geht." „Ach so. Das ist aber nett von ihm." Ich zuckte mit den Schultern. „Ich glaube, das ist ziemlich selbstverständlich, immerhin sind wir ja wegen ihm hier. Da ist er ja für uns verantwortlich." Ich wechsle das Thema: „Du machst nicht beim Backen mit?" Sydney schüttelt den Kopf. „Nein. Ich muss für Cloe ein Lied einüben. Dann können wir in circa einer Woche vorstellen. Das Ganze wird aufgenommen und im Bericht gezeigt. Und die Proben stellen wir auf dem Blog hoch." Sie zwinkert mir zu. „Also wirklich, Georgie. Dieser Blog war eine geniale Idee! Da würden mir, glaub ich, alle Mädchen zustimmen! Wir haben eine Aufgabe, wenn der Prinz keine Zeit für uns hat und er kann uns gleichzeitig besser dadurch kennenlernen. Außerdem macht es einfach jetzt schon unglaublich viel Spaß!" „Das freut mich", meine ich schmunzelnd und reibe mir anschließend ziemlich unbewusst über meine müden Augen. „Oh. 'Tschuldigung. Du solltest dich lieber noch ein bisschen ausruhen, du bist bestimmt noch fertig von der ganzen Aufregung. Leg dich am Besten noch ein bisschen hin." Ich seufze. „Ja. Ich denke, du hast recht. Soll ich dir morgen dann ein Stück von unserem Kuchen mitbringen?" Sie grinst. „Ich wäre beleidigt, wenn du's nicht tätest." Sydney verlässt das Zimmer. „Dann werde ich noch eine Weile vor deiner Tür stehen...", will Garrett beginnen, aber ich unterbreche ihn mit einem tadelnden Fingerzeig. „Sitzen." Er hebt eine Augenbraue. „Was?" „Du wirst noch eine Weile vor meiner Tür sitzen", korrigiere ich ihn. Er verdreht die Augen und grinst. „In Ordnung. Ich werde noch eine Weile vor deiner Tür SITZEN. Damit Atreju keine Überstunden machen muss." Ich nicke zufrieden. „Sehr gut." Nun geht auch er und schließt die Tür hinter sich. „Ach so!", spricht mich Mia an, „Heute Abend hält Henry übrigens einen Sonderbericht ab, in dem er Werbung für den Blog macht. Keine Sorge. Ihr müsst da nicht mitmachen." „Sehr gut", meine ich. 

Selection- Der versteckte PrinzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt