Das Schloss ist gigantisch! Diese Fenster sind unglaublich! Sie gehen vom Boden bis zur Decke. Und obwohl sie Fensterrahmen haben und man sie deutlich sieht, habe ich das Gefühl halb draußen zu sein. Wie das Licht durch sie fällt, hat etwas magisches an sich. Oh nein! Die anderen! Ich sehe gerade noch so die Gruppe der Mädchen und wie sie in einen anderen Gang einbiegt. Vorsichtig laufe ich einen Schritt schneller. Und trotz dieser blöden Schuhe schaffe ich es die anderen noch einzuholen. Es wundert mich wirklich, dass ich bisher noch nicht durch sie hingeflogen bin. Wir sind gerade auf dem Weg in die Zimmer, in denen wir umgestylt werden sollen. Wenn ich das richtig verstanden habe, waren das vorher einfache Aufenthaltsräume, die speziell für das Casting für kurze Zeit umgebaut wurden. Ich schreite durch die riesige Flügeltür. Der Raum ist riesig. Unzählige Schminktische sind in ihm verteilt und an den Seiten sind jede Menge kleine Türen. Ich frage mich, wohin die führen.
„Guten Tag meine Damen", begrüßt uns eine Dame um die 40. Trotz ihres strengen Outfits, einer weißen Bluse und eines grau gestreiften Bleistiftrocks in Verbindung mit einem ordentlichen Dutt und einer typischen Lehrerinnen Brille, wirkt sie durch ihr Lächeln freundlich. „Mein Name ist Olivia", fährt sie fort, „Und ich werde für die Zeit, in der Sie hier sind, ihre Ansprechperson sein. Vor jeder neuen Etappe des Castings, jedem Bericht, jedem Interview, jedem Abendessen, jeder Verabredung mit dem Prinzen werde ich Ihnen erläutern, wie Sie sich zu verhalten haben. Am Anfang werden Ihnen meine Anweisungen vielleicht ein bisschen albern vorkommen, aber mit der Zeit werden Sie sie verstehen und irgendwann hoffentlich so intus haben, dass ich Ihnen gar nichts mehr erklären muss. Sollten sie irgendwelche Fragen oder Probleme haben, können sie sich jederzeit an mich wenden. Und sollte ich gerade nicht in Sichtweite sein, können Ihnen in vielen Fällen auch unsere reizenden Wachen weiterhelfen." Sie dreht sich um und zwinkert dem Hauptmann, der an der Tür an der anderen Seite des Raumes steht, zu und dieser lacht kurz, genau wie die anderen Wachen. Dann wendet sie sich wieder zu uns. „Haben Sie noch irgendwelche Fragen?" Ein etwas kleineres Mädchen, das leicht asiatisch aussieht, meldet sich. „Ja, bitte?", fordert Olivia sie auf zu sprechen. „Wann werden wir den Prinzen treffen?" Olivia lächelt, so als hätte sie diese Frage bereits erwartet. „Nach dem Umstyling werden Sie ihre Gemächer beziehen. Dort können Sie sich bis 15 Uhr ausruhen und dann werden Sie zu Einzelgesprächen mit dem Prinzen abgeholt." Das Mädchen nickt, zufrieden mit dieser Antwort. Olivia legt erneut ihre Hände ineinander vor ihre Brust. Anscheinend ist das ihre Lieblingsposition. Ich muss schmunzeln. Die ‚Olivia-Pose'. Das gefällt mir. „Als erstes werden Sie durch diese kleinen Türen gehen." Sie wies wie eine Flugbegleiterin nach links und rechts. „Hinter diesen befinden sich Badewannen. Darin werden Sie von unseren Dienerinnen aufs gründlichste gereinigt." Irgendwie ist mir bei dem Gedanken nicht ganz wohl, von Wildfremden geschrubbt zu werden. Aber das gehört wohl dazu. Damit muss man leben, wenn man Königin, oder zumindest eine Art Bewerberin für diesen Posten, ist. „Ihre Maßgeschneiderten Kleider für später liegen ebenfalls in diesen Zimmern für Sie bereit. Sie alle wurden von Ihren persönlichen Schneidern speziell für Sie entworfen und angefertigt. Genau wie alle anderen Kleider in ihrem Schrank. Ich bin mir sicher, dass die meisten von Ihnen die Schneider früher oder später auch kennenlernen werden." Oh mein Gott. Ich habe einen persönlichen Schneider! Wie cool ist das denn? „Nach der Grundreinigung setzen wir Sie an diese Schminktische, wo Ihnen Haare, Make-Up und Nägel gemacht werden." Ich werde definitiv aufpassen, dass sie nicht zu viel auf mich schmieren. „Haben Sie jetzt noch Fragen?" Dieses Mal meldet sich niemand. „Sehr gut. In diesem Fall würde ich vorschlagen, mit dem Umstyling zu beginnen."
Olivia nickt einem Mann zu, offenbar einer der Friseure. Daraufhin verbeugt er sich und klatscht nach dem Hockommen zweimal in die Hände. Kurz darauf setzen sich alle Dienerinnen, die vorher mit hinter dem Rücken verschränken Armen vor den Schminktischen standen, in Bewegung. Drei von ihnen bleiben vor mir in einer Reihe stehen und knicksen. Die Mittlere steht als erste wieder gerade und spricht: „Guten Tag, Lady Georgina. Wir sind ihre Zofen. Mein Name ist Christy und das sind Mia", sie zeigte auf das kleine brünette Mädchen links von ihr, „und Lana." Sie wies auf das große, dunkelhäutige Mädchen rechts von ihr. „Wir stehen Ihnen das gesamte Casting über zur Verfügung. Wenn sie uns bitte in die Zimmer für die Grundreinigung folgen würden." Ich schlucke schwer. Trotz meiner Bedenken folge ich ihnen in das Zimmer.Es war gar nicht so schlimm wie erwartet. Auch, wenn sie Bürsten hatten, von denen ich nicht einmal wusste, dass sie existieren. Sie haben sogar meinen Wunsch berücksichtigt, mich mit Orangenblüten-Duft (Orangenblüten sind die Blumen die St. George, meine Provinz, symbolisieren) einzusprühen und nicht mit Vanille, so wie sie eigentlich wollten. Ich kann Vanille-Duft nicht ausstehen und kann nicht verstehen, warum es Leute gibt, die gerne wie ein Dessert riechen. Jedenfalls bin ich trotzdem froh, die ‚Grundreinigung', die wirklich mehr als gründlich war, hinter mir zu haben und nun in diesem kuschligen Bademantel vor einem definitiv schwulen Friseur zu sitzen. „Also deine Haare sind ja ein Träumchen!", sagt er und wuschelt mein nasses Haar hin und her. Dann greift er meinen Kopf und guckt in den Spiegel. „Hm." Er dreht ihn hin und her, rauf und runter und meint dann. „Also es tut mir wirklich im Herzen weh, aber ich glaube, kurze Haare würden dir besser stehen, meine Liebe. Also wenn ich solche Haare hätte, würde ich niemals zulassen, dass man sie mir abschneidet, aber..." „Ist Okay", unterbreche ich ihn. „Tun Sie, was Sie nicht lassen können." Ich betrachte im Spiegel sein erstauntes Gesicht. „Wirklich?" Ich nicke. „Ja. Wirklich. Sie haben mein vollstes Vertrauen." Er strahlt und schnippst zwei Damen zu sich. „Monique! Veronica! Kommt her! Das wird ein Spaß!" Und ehe ich mich versehe wird von allen Seiten an meinem Kopf gezogen und geschnippelt. Nach einer gefühlten Ewigkeit höre ich ein zufriedenes: „Fertig!" Mein Stuhl wird herumgedreht und ich sitze wieder mit dem Gesicht zum Spiegel. Wahnsinn. Mein Haar reicht mir jetzt gerade einmal knapp bis zu den Schultern und ich habe einen schiefen Pony. Es wirkt viel voller. Irgendwie so wuschelig. „Und?", fragt der Friseur erwartungsvoll. „Ich find's toll", erwidere ich begeistert und schüttle meinen Kopf hin und her. Der Friseur macht ein triumphierendes Gesicht. Kurz darauf werde ich geschminkt und mir wird Klarlack auf die Fingernägel aufgetragen. Danach gehe ich wieder in das Zimmer mit der Badewanne und die Zofen helfen mir, mein dunkelblaues Kleid anzuziehen. „Fertig", sagt Christy. Das Kleid ist wirklich sehr schön und erstaunlich bequem. Ich dachte, ich würde nur Kleider kriegen, in denen ich nicht atmen kann. Solche mit luftabschnürendem Korsett. Aber das hier ist einfach nur ein hübsches Cocktailkleid. Es hat ein schulterfreies Spitzenoberteil mit ellenbogenlangen Ärmeln und einen wehenden Rock, mit dem man sicher wunderbar tanzen kann. Dazu passt bestimmt super mein tolles neues Armband. Ich fahre mir übers Handgelenk. Es ist weg.
Mein Armband ist weg! Okay, keine Panik! Ich habe es bestimmt beim umziehen verloren. Hysterisch krieche ich auf dem Boden. „Ähm... Lady Georgina...? Alles in Ordnung?", fragt mich Mia irritiert. Zuerst reagiere ich gar nicht, weil dieses Lady so komisch und ungewohnt ist und mich sonst selten jemand wirklich Georgina nennt. „Lady Georgina?" Ich fahre hoch. „Ach so! Könnten Sie mir bitte einen gefallen tun? Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn wir uns duzen? Ich möchte bitte einfach Georgie genannt werden. Bei allem anderen fühle ich mich einfach nicht angesprochen." Sie guckt irritiert. „Natürlich. Wenn Sie... Ähm ich meine... Wenn du willst." Ich lächle. „Sehr gut. Ich suche mein Armband. Es besteht aus kleinen, rosa Perlen. Vielleicht habe ich es beim umziehen verloren." Christy zieht überlegend die Augenbrauen zusammen. „Ich glaube, du hattest es schon vor der Grundreinigung nicht mehr an", meint sie. Vor meinem Inneren sehe ich es aus meinem Augenwinkel abfallen, als ich den anderen auf dem Flur hinterher geeilt bin. „Der Flur!", rufe ich Gedankenblitz-artig aus und sprinte, ohne Schuhe, los. Dabei knalle ich gegen mehrere Leute, bei denen ich mich höflich entschuldige. Ich glaube, die Zofen hören zu können, aber ich bin schon zu weit weg und zu schnell. Sobald ich im Gang angekommen bin, werfe ich mich erneut auf die Erde, um nach dem Armband zu suchen. „Entschuldigung", höre ich eine männliche Stimme über mir, „Suchen Sie das hier?"
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Selection- Der versteckte Prinz
FanfictionDies ist eine Fanfiction basierend auf der „Selection" Reihe von Ciara Kass. Es spielt lange nach den Geschehnissen der Buchreihe, weshalb ich ihre Bücher und Charaktere kaum einbauen werde. Die fiktive Welt ist frei nach der ihren gestaltet. Dadurc...