Ein neues Jahr, ein neues Titelblatt, neue Kapitel! Viel Spaß und allen ein erfolgreiches und schönes Jahr 2020?
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Der Regen prasselt um uns umher. Seine Hände sind kalt und feucht von ihm, aber seine Lippen sind warm. Letztes Mal hatte er mir nicht die Möglichkeit gegeben seinen Kuss zu erwidern. Diesmal schon. Er schreckt nicht zurück. Er lässt es zu. Was auch immer ihn vorher dazu gebracht hatte, über sich selbst erschrocken zu sein, in diesem Moment ist es ihm egal. In diesem Moment erlaubt er sich selbst es zu wollen. „Lieber habe ich dich kurz als niemals." Würde ich nicht so gut und gleichzeitig so wenig verstehen, was er damit sagen will, würde ich mich von dieser Objektivierung angegriffen fühlen. Aber so meint er es nicht. Er meinte es nicht auf eine Weise, in der er mich zu irgendetwas zwingen würde. Es war viel mehr eine Bitte. Eine Bitte an das Universum und an mich. Er will mich. Und ich will ihn. Und er will, dass ich ihn will und ich will, dass er mich will. Aber warum sollte er beides nicht zulassen dürfen? War das nicht der Sinn dieses ganzen Castings? Ich liebe ihn und er liebt mich. Das er nicht sofort alle anderen Mädchen nach Hause schickt, kann ich verstehen, das würde ich auch gar nicht wollen. Ich weiß noch nicht, ob es für eine Ewigkeit, eine Ehe, reichen würde, weiß nicht, ob ich das jemals wissen kann. Aber ich weiß, dass es für den Moment reicht. Für diesen Moment will ich bei ihm sein, und dass er bei mir ist. Und für den Moment danach. Und den Moment danach. So lange wie es geht und dadurch vielleicht so lange, dass daraus eine Ewigkeit wird. Ist das nicht, wie Liebe funktioniert? Ist das nicht, wie eine Beziehung funktioniert? Von einem Moment zum anderen? Also warum glaubt er, dass wir nicht das Recht darauf haben? Was nimmt uns dieses Recht? Henry löst sich langsam wieder von mir, aber ich ziehe ihn sofort wieder zu mir heran. Nur noch einen Moment. Gleich werden die Fragen wieder meinen Kopf zermartern. Gleich werden die Ängste mich wieder überfallen, das Gewissen und die Vernunft. Aber in diesem Moment soll es nur ihn geben. Nur ihn und seine Lippen und seine Wärme und seinen Duft, der meine Sorgen betäubt. Der Augenblick wird eh viel zu kurz sein. Aber lieber kurz als niemals. Henry schlingt seine Arme um mich. Er hält mich so fest, als könnte ich mich im nächsten Moment in Luft auflösen. Als würde er wissen, wie wichtig das hier ist. Als würden wir beide hoffen, so Dinge ausdrücken können, die man nicht in Worte fassen kann. Wir beide, die doch immer unsere Zuflucht in Worten gefunden haben. Und Worte sind schön. Worte geben Kraft und Mut. Aber es gibt Momente, da reichen sie nicht mehr aus. Und plötzlich habe ich, ohne irgendetwas zu verstehen, das erste Mal das Gefühl ihn komplett verstehen zu können. So gut wie keinen Menschen sonst. Ich senke meinen Kopf. Ich schließe meine Augen und beiße mir auf die Lippe, als könnte ich so das Gefühl von seinem Kuss auf ihr versiegeln. Dann sehe ich in seine Augen, die alles sind, was ich sehe, und sage lächelnd: „Lass uns zum Riesenrad gehen."
„Wir haben noch eine halbe Stunde", meine ich und starre aus dem Fenster, gegen das die Regentropfen prasseln, auf die Turmuhr. „Dann müssen wir zurück ins Schloss." „Eine halbe Stunde ist eine lange Zeit", meint Henry und spielt mit einer Haarsträhne von meiner Perücke. Ich kuschle mich näher an seine Brust. „Ist es nicht", widerspreche ich mit einem seligen und gleichzeitig traurigen Seufzen in der Stimme. Er kichert. „Doch ist es. Ich weigere mich, etwas anderes zu glauben." Ich lächle und atme tief ein. Wie schafft ein Mensch es so gut zu riechen? Irgendwie schafft es dieser Geruch mich genug zu beruhigen, dass ich nicht Angst habe, das Riesenrad würde gleich von Callas Handlangern sabotiert werden, da sie weiß, dass wir hier drin sind. „Wie geht es Linda?", frage ich. Sie wurde beim Angriff angeschossen und konnte deshalb leider nicht am Ball teilnehmen. Ich vermisse sie, aber ich habe auch verstanden, dass sie uns gesagt haben, dass wir nicht zu ihr dürfen, weil sie sich ausruhen muss. „Besser. Wesentlich. Sie darf bald wieder zu euch." Das freut mich sehr. „Ich finde es richtig, dass ihr sie nicht aus dem Casting geworfen habt. Sie ist ein wundervoller Mensch." „Ist sie." Diese ganze Situation ist so seltsam. Auf der einen Seite sitze ich hier, als würde es nur mich und Henry geben und als wären wir ein Pärchen. Und gleichzeitig fühle ich keinerlei Eifersucht oder dergleichen für meine „Konkurrentinnen" und möchte immer noch, dass sie bis zuletzt die gleichen Chancen wie ich habe. Weil sie mir nicht in erster Linie wie Konkurrentinnen vorkommen. Sondern wie Freundinnen. Ich möchte sie so lange wie möglich bei mir haben. Ich möchte das Märchen des Castings so lange wie möglich aufrecht erhalten. „Wir müssen uns etwas für sie ausdenken", überlege ich. „Etwas, um wieder gut zu machen, dass sie nicht am Ball teilnehmen konnte." „Bald fangen die Gruppendates an." Henrys Stimme klingt, als würde er über seine Arbeit sprechen. Und nach allem, was ich über ihn weiß, bin ich mir auch relativ sicher, dass es sich so für ihn anfühlt. „Du kannst nicht so wie sie in der ersten Gruppe sein, das wäre zu auffällig. Ich darf nicht wirken, als würde ich irgendeine von euch bevorzugen." Er beugt sich näher zu meinem Ohr herunter und flüstert: „Auch, wenn ich es absolut tue." Ich erröte und beiße mir auf meine Unterlippe, um nicht wie ein alberner Teenager zu kichern. Henry lächelt darüber und lehnt sich wieder zurück. „Wir sollten irgendetwas Ruhiges machen. Irgendetwas, dass nicht zu sehr anstrengt." Er verzieht das Gesicht. „Aber nicht schon wieder backen. Das Schloss ist scheinbar mit einem Fluch belegt, was das angeht!" „Wie wäre es mit Blumengestecke arrangieren?", schlage ich vor und schließe die Augen. „Die Blumen im Schlossgarten sind gerade so wunderschön." „Blumengestecke machen? Recht ungewöhnlich. Wie kommst du auf den Gedanken?" Ich zucke mit den Schultern, so gut, wie es in meiner halb liegenden Position geht. Ich weiß nicht. Es kommt mir irgendwie edel vor. Das Riesenrad kommt mit einem heftigeren Ruck als erwartet zum Stehen und wir fallen fast vorn über, wodurch wir schmunzeln müssen. Henry streichelt mir noch einmal sanft übers Haar, während er mich liebevoll aber bittersüß ansieht, gibt mir einen Kuss auf die Stirn, hebt die Büchertüten auf und steigt aus. Die Lichter des Festes lassen nur seine Silhouette in der Tür erkennen. Und in diesem ruhigen, auf eine seltsame Weise fast schon normalen Moment, sage ich etwas, was ich von mir selbst niemals erwartet hätte: „Daniel?" „Hm?" Er dreht sich leicht zu mir um, sodass seine hellblauen Augen im Licht der Laterne glänzen wie zwei funkelnde Sterne in einem Meer aus Dunkelheit. „Ich liebe dich." Er hält inne. Stille, die Sekunden andauert, aber sich wie Stunden anfühlt. Dann ist nur sein Lächeln im Lichterschein zu sehen. „Lass uns zurückgehen. Wenn wir nicht vor Mitternacht nach Hause kommen, wird der Zauber vorbei sein, schon vergessen?"
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Selection- Der versteckte Prinz
FanfictionDies ist eine Fanfiction basierend auf der „Selection" Reihe von Ciara Kass. Es spielt lange nach den Geschehnissen der Buchreihe, weshalb ich ihre Bücher und Charaktere kaum einbauen werde. Die fiktive Welt ist frei nach der ihren gestaltet. Dadurc...