Selection- Der versteckte Prinz

Kapitel 6: der erste Bericht

„Bist du schon aufgeregt?" Erschrocken drehe ich mich um. „Henry, hast du mich erschreckt." „Oh. Tut mir leid. Und, bist du aufgeregt? Immerhin ist es live." Na Toll. Ich kann mich also LIVE vor dem gesamten Königreich zum Affen machen! „Ach was!", meine ich sarkastisch, „Wieso sollte ich aufgeregt sein? Ich war schon tausend Mal im Fernsehen!" „Na dann ist ja gut!", erwidert er, ebenfalls sarkastisch. „Andernfalls hätte ich dir ja Tipps geben müssen! Und dir verraten müssen, was jetzt kommt!" Ich werfe ihm einen flehenden Blick zu. Er lacht. „Also gut, pass auf: Die Kameras sind da, da und da. Ihr werdet einfach nur dort auf diesen Stühlen sitzen und in die Kamera da vorne Lächeln. Als erstes halten wir ein paar Reden. Dann werden Bilder vom Umstyling..." Da wurden wir auch gefilmt?! „Und vom Abendessen gezeigt und zum Schluss geht Carl kurz zu euch, um euch ein paar Fragen zu stellen. Ganz einfach also." Ich sehe mich noch einmal kurz um. Außer uns ist niemand da, außer die Techniker, die aber zu sehr mit Sachen umräumen beschäftigt sind, um uns zuzuhören. Allerdings weiß ich nicht, wie lange die anderen Mädchen brauchen, bis sie auch kommen, deshalb muss ich mich beeilen. Ich rücke ein Stückchen näher an ihn und rede leiser. „Du klingst ja fast so, als hättest du das schon tausend Mal gemacht." Er sieht überrascht und leicht nervös aus. „Naja... ich bin der Kronprinz, da muss ich mich ja auskennen, oder?" „Henry? Darf ich dir eine Frage stellen, die du mir ehrlich beantwortest?" Er wirft mir einen skeptischen und ahnenden Blick zu. „Na gut." „Warum hast du dich dem Volk von Illeá bisher noch nie gezeigt?" Er scheint zu überlegen. „Prinz Henry!", höre ich eine vertraute Stimme rufen. Es ist das Mädchen mit den tollen Haaren von vorhin. „Ah, Renée!", begrüßt Henry sie erleichtert. Ich werfe ihm von der Seite einen wütenden Blick zu. Das würde noch ein Nachspiel haben. Renée mustert mich skeptisch, so als wäre ich eine Bedrohung. Was ich in gewisser Hinsicht aber auch bin. „Ich habe Lady Georgina gerade über den Ablauf der Sendung aufgeklärt", sagt Henry und weist auf mich, „Wollen Sie auch erfahren, welche Geheimnisse das Fernsehen birgt?" Renée schüttelt den Kopf. „Dank RNC Today kenne ich mich damit aus", meint sie und zwinkert ihm zu. Erst jetzt fällt mir auf, dass ich sie kenne. „Stimmt! Du bist doch die neue Wetterfee von dieser Morgensendung, oder?", frage ich erfreut. Herablassend sieht sie mich an und wendet sich dann ohne zu antworten wieder Henry zu. „Möchtet Ihr vielleicht ein paar Tipps von einem Fernsehprofi erhalten?" Henry schüttelt den Kopf. „Ich denke, ich kriege das schon hin. Ich habe mir viele Gedanken darüber gemacht. Allerdings wäre ich Ihnen sehr verbunden...", er weist auf ein Mädchen mit blonden Locken, dass so aussieht, als würde es fast einen Nervenzusammenbruch bekommen und deren Begleiterin, die verzweifelt versucht sie zu beruhigen, „...wenn Sie diese Tipps mit Lady Alice teilen könnten." Zuerst sieht Renée erschrocken auf Henry, dann stehlen sich ihre Augen für den Bruchteil einer Sekunde wütend zu mir und dann wieder zu Henry, aber diesmal lächelnd. „Selbstverständlich." Dann geht sie, erstaunlicherweise überhaupt nicht eingeschnappt, zu Alice und versucht ebenfalls, sie zu beruhigen. 

Diesmal stellt Henry sich näher an mich. „Auch wenn sie jetzt sehr herablassend dir gegenüber war, ist sie eigentlich total okay. Sie sieht das ganze nur halt tatsächlich als Wettbewerb", flüstert er mir zu. Ich nicke. „Keine Sorge. Ich bin niemand, der Leute von Anfang an abschreibt. Naja. Eigentlich schreibe ich Leute generell sehr selten ab." Dann drehe ich mich ruckartig um und werfe ihm einen erwartenden Blick zu. „Also...?" Er öffnet den Mund, um etwas zu erwidern, wird jedoch von einer Stimme hinter mir davon abgehalten. „Guten Tag." Die Stimme ist sanft und glockenklar und kommt mir bekannt vor. Ich drehe mich um. Es ist Prinzessin Lillian, die mir freundlich in die Augen sieht. „Sie sind Lady Georgina, oder?" Jedes mal, wenn ich dieses ‚Lady Georgina' höre, kräuseln sich meine Zehennägel! Ich werfe Henry einen bittenden Blick zu. Erstaunlicherweise scheint er zu verstehen, was ich meine und nickt zustimmend. Erleichtert atme ich aus und wende mich dann Lillian zu. „Würde es Euch etwas ausmachen, wenn wir uns duzen würden?" Sie zieht eine Augenbraue nach oben. „Nur, wenn niemand anderes da ist, versteht sich!", hänge ich leicht hysterisch noch hinten ran. Ich weiß noch nicht genau, wie ich mich vor Lillian benehmen muss. Henry hat etwas sehr edles an sich, aber Lillian etwas wirklich vornehmes, was mich ein bisschen einschüchtert. Lillian sieht Henry verwirrt an. Dieser macht einfach nur ein beruhigendes Gesicht. Daraufhin wendet sie sich mir wieder lächelnd zu. „In Ordnung. Georgina." Hmmm... Da stört mich immer noch etwas... „Bitte nur Georgie." Sie kichert leicht. „Oh, entschuldigen Sie... ähm ich meine entschuldige." Sie kichert erneut. „Das ist wirklich komisch", gesteht sie. „Ich glaube, ich habe noch niemals jemanden, der nicht zu meiner Familie gehört, geduzt!" Das sie es jetzt tut, scheint sie sichtlich zu erfreuen. Ich lächle. „Na dann wird es ja höchste Zeit!", meine ich. Ein kleiner Mann läuft hektisch zu uns, verbeugt sich, wobei sein weniges Haar, die Glatze über die es gekämmt wurde, freigibt. „Es tut mir wirklich Leid, Miss", sagt er zu mir, „aber Sie müssen auf ihren Platz." „Oh, Selbstverständlich." Ich bin ernsthaft traurig, dass ich die beiden verlassen muss und wünsche ihnen zum Abschied viel Glück.