Kapitel 33

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Ich schrecke hoch. Keuchend atme ich ein und aus. Mit einem Gefühl der Enge in meiner Brust schaue ich mich in meinem dunklen Schlafzimmer um. Es dauert einen Moment, bis meine Atmung sich einigermaßen stabilisiert hat. Ich lege eine Hand an meine Stirn und erschrecke mich augenblicklich. Sie glüht, als wäre sie in Brand gesetzt worden.
Langsam drehe ich mich zur Seite und werfe einen Blick über meine Schulter, zu dem Radiowecker auf meinem Nachtschränkchen. 03:12 Uhr.
Ich stöhne auf. Scheiße. Anscheinend bin ich schon wieder mitten in der Nacht aufgewacht, nur, weil er noch immer in meinem Kopf herumspukt. Und das schon zum dritten Mal in dieser Woche.
Dabei sollte ich überhaupt nicht mehr an ihn denken. Langsam sollte ich wirklich verstehen, dass es vorbei ist. Wenn da überhaupt jemals etwas war.

Ich fahre mir mit einer Hand durchs Gesicht und zucke zusammen. Meine Wangen sind komplett nass und erst jetzt merke ich, dass mir noch immer Tränen über das Gesicht laufen.
Verärgert ziehe ich die Nase hoch. Na toll, jetzt weine ich ihm also auch noch hinterher. Tiefer kann man wirklich nicht mehr sinken.
Eine halbe Ewigkeit sitze ich so da, reibe mir im Gesicht herum und weine, mit einer Mischung von Wut und Selbstmitleid im Bauch.
Schließlich verschwindet die Wut und lässt mich mit meinem Selbstmitleid zurück.
Erschöpft atme ich aus.

Eigentlich gibt es gar keinen Grund dafür, dass ich mich jetzt auch noch selbst fertigmache. Schließlich ist er derjenige, der mich - der UNS - weggeworfen hat wie ein benutztes Taschentuch. Mir entfährt ein Seufzen und ich presse meine Handinnenflächen auf meine Augen, um die Tränen zu stoppen - ohne Erfolg. Sie laufen unaufhörlich über meine Wangen, während ich atemlos nach Luft schnappe. Ich fächere mir Luft zu, um mich zu beruhigen - ebenfalls ohne Erfolg. Also lasse ich es einfach zu und ohne, dass ich es verhindern kann, fangen meine Gedanken an, sich im Kreis zu drehen.

In erster Linie frage ich mich, wie es ihm wohl gerade geht. Ob er auch mitten in der Nacht wach wird, weil er nicht aufhören kann, an mich zu denken?
Ich schnaube. Wohl kaum. Und garantiert fragt er sich nicht, wie es mir geht, also warum sollte ich es andersherum tun? Mir entfährt ein Seufzen.
Weil er mir nicht egal ist, deswegen.
Aber ganz offensichtlich bin ich ihm egal. Zumindest will ich das glauben, denn dann wäre alles viel einfacher. Wenn ich mir selbst nur glaubhaft genug versichern könnte, dass er sich nicht mehr für mich interessiert, könnte ich wahrscheinlich viel schneller und einfacher mit der ganzen Sache abschließen.
Da gibt es nur einen Haken. Und das ist der minikleine Funke Hoffnung, der - aus welchen Gründen auch immer - nicht glauben kann, dass ich Felix egal bin. Und an den klammere ich mich wie eine Ertrinkende ans Ufer.
Auch, wenn es mir wahrscheinlich das Herz rausreißen wird.

Am nächsten Morgen melde ich mich auf der Arbeit krank. Die letzten Tage habe ich es irgendwie ausgehalten - einfach funktioniert, ein falsches Lächeln aufgesetzt und so getan, als wäre alles wie immer - aber heute geht es nicht.
Um 6 Uhr saß ich hellwach im Bett, bin zur Toilette gerannt und habe mich übergeben. Es ist nicht das erste Mal, dass ich eine solche Trauer in mir spüre, dass es körperliche Reaktionen hervorruft, aber das letzte Mal ist sehr lange her.
Nachdem ich mich einigermaßen beruhigt habe, setze ich mich wieder in mein Bett. Ich ziehe die Beine an und lege die Arme um meine Knie. So habe ich wenigstens halbwegs das Gefühl, meine Emotionen kontrollieren zu können, auch, wenn es eigentlich nicht wirklich so ist.
Ich lege mein Gesicht in die Lücke zwischen meinen Knien und hole tief Luft. Nach dem dritten Atemzug klingelt mein Handy. Entnervt unterbreche ich mein kleines Ritual und schaue aufs Display.
Kim ruft an. Ich komme nicht umhin, die Augen zu verdrehen. Ich will nicht mit ihr sprechen. Nicht jetzt und nicht später. Warum ruft sie mich überhaupt um 7 Uhr morgens an? Normalerweise wäre ich um die Zeit auf dem Weg zur Arbeit.
Zwei Tage, nachdem Felix gefahren ist, hat sie mir geschrieben und gefragt, wie unser Wochenende war. Ich habe ihr nur eine knappe Antwort gegeben.

Es ist vorbei. Ich hab's versaut.

Zu mehr war ich nicht in der Lage gewesen. Seitdem versucht sie nahezu pausenlos, mich zu erreichen und schreibt mir besorgte Nachrichten. Mehr als einmal hat sie angeboten, vorbeizukommen. Mir entfährt ein Seufzen.
Es ist wirklich nett, dass sie sich Sorgen um mich macht, aber ich will sie nicht sehen. Eigentlich will ich überhaupt niemanden sehen.
Ich habe es tatsächlich geschafft, Felix zu vertreiben und das nur, weil ich anscheinend nicht weiß, wie man Menschen vertraut.
In der Nacht von Samstag auf Sonntag hat er mir eine kurze Nachricht geschrieben. Bin wieder in Berlin jetzt. Alles Gute dir.
Da ich sowieso schlaflos im Bett lag, habe ich direkt geantwortet. Okay. Dir auch.
So, als wären wir Fremde. Als hätte er mich nicht in seine Wohnung eingeladen und um Sinn und Verstand geküsst. Als hätten wir nicht etliche Male zusammen im Bett gelegen. Er hat mich sogar auf die verdammte Stirn geküsst! Jeder weiß, das ein Stirnkuss praktisch eine Verlobung ist.
Dabei waren wir noch nicht mal ein Paar. Und jetzt sind wir getrennt, noch bevor aus uns überhaupt irgendwas werden konnte.
Und es ist meine verdammte Schuld.

I wish you would've cheated and smashed my heart to pieces
I wish I had a reason I could hate your guts for leaving
I wish you were the villain, a psycho with no feelings
So how do I move on when you did nothing wrong?

Auch am nächsten Tag gehe ich nicht zur Arbeit. Die Sehnsucht scheint mich beinahe aufzufressen. Inzwischen habe ich wahrscheinlich hunderte Anrufe von Kim weggedrückt. Ihre Nachrichten überfliege ich nur noch. Ich will mit niemanden reden. Ich bin ihr sehr dankbar dafür, dass sie bisher noch nicht vor meiner Wohnungstür aufgetaucht ist. Sie kennt mich immerhin gut genug, um zu wissen, wo meine Grenzen sind.
Irgendwann werden die Anrufe und Nachrichten weniger. Als ich drei Tage lang gar nichts mehr von ihr höre, fange ich beinahe an, mir Sorgen um sie zu machen und sie mit Anrufen und Nachrichten zu bombardieren, doch dann bekomme ich auf einmal doch wieder eine Nachricht von ihr.
Ich bin gerade auf einem Spaziergang durch den Volksgarten - das erste Mal seit einer Woche, dass ich mich dazu aufraffen kann, an die frische Luft zu gehen - als ihre Nachricht auf meinem Display aufleuchtet. Und diesmal lese ich sie ganz genau.

Kim: Hör zu, ich weiß zwar nicht, was zwischen euch vorgefallen ist und wahrscheinlich willst du meine Meinung gar nicht hören, aber ich muss das jetzt machen. Und falls das hier übergriffig ist, dann tut es mir leid, aber... fahr nach Berlin. Sprich mit ihm. Egal, was zwischen euch vorgefallen ist, klärt das bitte. Und... du musst es ihm sagen, hörst du? Vertrau mir, Maddie.
Wenn was ist, kannst du mich jederzeit anrufen. Ich hab dich lieb.

Heavenly (Felix Lobrecht)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt