Kapitel 42

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Ich liebe dich. Irgendwie fühlt es sich noch ungewohnt an, die Worte laut auszusprechen, deshalb übe ich es an den darauffolgenden Tagen bei jeder Gelegenheit. Unter der Dusche, beim Kochen, im Auto.
Auch, als ich jetzt von meinem Frauenarzttermin nach Hause fahre, sage ich es immer und immer wieder vor mich hin. Ich liebe dich, Felix.
Dabei kann ich nicht aufhören, zu lächeln.
Ich liebe dich, aber was Überraschungen angeht, bin ich dir immer noch einen Schritt voraus.
Im Zug von Berlin nach Köln habe ich heimlich online einen Beratungstermin für eine Kupferspirale bei meiner Frauenärztin ausgemacht. Danach war spontan ein Termin freigeworden, sodass ich noch in derselben Woche vorbeikommen und sie mir einsetzen lassen konnte.
Immer wieder rutsche ich auf dem Autositz vor und zurück. Fast glaube ich, die Spirale spüren zu können, aber das ist wahrscheinlich Einbildung. Auf meine Frage, ab wann ich wieder Geschlechtsverkehr haben dürfte, hatte die Ärztin gelächelt.
„Geben sie ihrem Körper ein bisschen Zeit, sich an den Fremdkörper zu gewöhnen. Wir empfehlen, 5 bis 7 Tage zu warten, damit der Schutz auch gewährleistet ist, danach haben sie freie Fahrt. Viel Spaß!"
Ihre Worte hatten mich zum Lachen gebracht und auch jetzt muss ich noch grinsen.
Den werden wir bestimmt haben.
Falls Felix am 25. Mai zu meinem Geburtstag kommen sollte, wären die 5-7 Tage gerade so um, wir könnten es probieren. Vernünftiger wäre es natürlich, noch ein bisschen länger zu warten, was bei uns aber bedeuten würde, dass noch eine weitere Woche ins Land zieht.
Mir entfährt ein Seufzen. Vielleicht kommt er auch gar nicht zu meinem Geburtstag. Eigentlich ist es sogar wahrscheinlicher, dass es nicht klappt und deshalb sollte ich mir jetzt lieber keine Hoffnungen machen.
Wenn man es ganz rational betrachtet, wäre es eigentlich auch völlig egal. Felix bedeuten Geburtstage nichts, was ich nachvollziehen kann.
Wir können uns an so vielen anderen Tagen im Jahr sehen, da sollte dieser eine Tag nicht ins Gewicht fallen, aber irgendwie tut er es doch.
Es ist mein 30. Geburtstag und da ich keine Partys mag, hat Felix mir versprochen, dass wir uns einen entspannten Tag nur zu zweit machen mit allem, worauf ich Lust habe. Natürlich könnten wir das auch an irgendeinem anderen beliebigen Samstag nachholen, aber solange wir nicht zusammen wohnen, zählt für mich jede Minute, in der wir uns sehen können, noch viel mehr.
Wenn jetzt ausgerechnet mein Geburtstag einer der Tage wäre, an denen wir uns nicht sehen können, obwohl er sogar aufs Wochenende fällt, wüsste ich nicht, wie ich das finden soll.

Seufzend steige ich aus dem Auto und gehe in meine Wohnung.
Na toll. Jetzt habe ich es also geschafft, mich mit meinen eigenen Gedanken runterzuziehen und das, obwohl heute eigentlich ein guter Tag werden sollte. Mit der Kupferspirale können wir schon ganz bald auf Kondome verzichten, so, wie Felix es wollte.
Der Gedanke macht mich ganz hibbelig. Ich muss mich zwingen, ihn nicht sofort anzurufen und alles zu verraten. Doch als ich auf mein Handy schaue, nimmt auf einmal etwas ganz anderes meine Aufmerksamkeit ein.
Ich habe eine neue Instagram-Nachricht bekommen. Aber sie ist nicht im normalen Nachrichtenordner, sondern in den Anfragen. Normalerweise würde mich das nicht beunruhigen, aber nach der Promiflash-Geschichte schrillen bei mir sofort sämtliche Alarmglocken.
Kurz, bevor ich die Nachricht öffne, halte ich inne. Es kann eigentlich nichts passieren. Es gab keine Fotos von uns. Es ist faktisch unmöglich, dass irgendjemand herausgefunden hat, wer ich bin. Oder?
Ich hole tief Luft, schließe die Augen und zähle innerlich bis zehn, dann öffne ich meine Augen wieder und tippe auf die Nachricht.
Es ist ein Fake-Account ohne Profilbild. Natürlich. Der Username besteht aus einer wilden Kombination an Buchstaben und Zahlen, sodass man bloß nicht zurückverfolgen kann, wer die Nachricht geschrieben hat. Wahrscheinlich ist der Account auch erst vor ein paar Tagen erstellt worden.
Nochmal atme ich tief durch, bevor ich die Nachricht lese.

Hey. Ich weiß, du kennst mich nicht, aber ich dachte, ich schreibe dir trotzdem. Ich gebe dir einen gut gemeinten Tipp: halte dich von ihm fern.
Er bringt nur Ärger. XOXO

Irritiert runzele ich die Stirn und mir entfährt ein Seufzen. Na super.
Bisher kannte ich die berühmt-berüchtigten „hey, girlie"-Nachrichten nur aus Tiktoks, wo Exfreundinnen oder ehemalige One Night Stands von irgendwelchen Typen seine neue Freundin anschreiben und ihr erzählen, was für schlimme Dinge er bei ihr abgezogen hat, aber diese Nachricht liest sich irgendwie anders.
Normalerweise bekommt man in der ersten Nachricht schon konkrete Hinweise darauf, weshalb der besagte Typ nicht gut für einen sein soll, aber mit „er bringt nur Ärger" kann alles oder nichts gemeint sein. Nicht zu vergessen, dass ich immer noch nicht verstehe, woher irgendjemand da draußen wissen soll, dass ausgerechnet ich die „unbekannte Frau" bin.
In dem Artikel standen keinerlei Beschreibungen meiner Person, noch nicht mal eine Haarfarbe.
Wie sollte also jemand darauf kommen, dass Felix mit mir im Urlaub war? Plötzlich durchzuckt mich ein Gedanke.

Na, ganz einfach. Wenn die Verfasserin der Nachricht selbst vor Ort war und euch gesehen hat.

Ich bekomme eine Gänsehaut, dann mache ich schnell einen Screenshot von der Nachricht und lösche sie aus meinem Postfach, um nicht in Versuchung zu kommen, ihr zu antworten. Den Screenshot werde ich erstmal  als Beweisstück aufbewahren.
Ich lasse mich auf die Couch sinken und lehne meinen Kopf nach hinten. Auf einmal habe ich stechende Kopfschmerzen und meine Gedanken fahren Achterbahn.

Warum konnte nicht alles so unkompliziert bleiben, wie es war? - Weil du dich ausgerechnet dafür entschieden hast, den begehrtesten Comedian des Landes zu daten. - Aber ich liebe ihn! Wir verstehen uns blind und er gibt mir Sicherheit! - Bist du sicher? Du hast es ja jetzt gesehen: selbst, wenn ihr quer durchs Land fahrt und Urlaub am abgelegensten Ort Österreichs macht, seid ihr offenbar nicht vor den Augen der Öffentlichkeit sicher. Willst du wirklich eine Beziehung im Schatten führen? - Das ist es mir wert. - Da wäre ich mir nicht so sicher. Wie viel wert ist eine Beziehung, wenn man sich immer vor neugierigen Blicken verstecken und seine Liebe geheimhalten muss? - Das ist doch egal. - Meinst du? Überleg es dir gut, Madeleine.

Ich atme hörbar aus und stehe auf. Ich muss irgendwas tun. Am besten sollte ich sofort Felix anrufen und ihm von der Nachricht erzählen, aber irgendwas hält mich zurück. Vielleicht würde er mich sogar auslachen. Er bekommt täglich tausende Nachrichten, von denen mit Sicherheit nicht alle nett sind.
Für ihn gehören leere Drohungen zum Alltag.
Ich stutze und überlege. Das hier ist nämlich keine Drohung. Es ist eine Warnung.
Nur, dass ich absolut keine Ahnung habe, wovor.
Und wenn ich mein Vorhaben durchziehen sollte, die Nachricht einfach zu ignorieren, werde ich es auch niemals erfahren.

Heavenly (Felix Lobrecht)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt