Kapitel 5

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Mit wackelnden Beinen laufe ich auf die kleine Bühne zu. Ich werfe noch einmal einen schnellen Blick über meine Schulter zu Kim, welche mich ermutigend anlächelt und beide Daumen in die Luft streckt. Ich erwidere ihr Lächeln, dann schaue ich wieder nach vorne und fühle mich wie elektrisiert, als Felix' Blick meinen trifft. Er erhebt sich kurz von seinem Stuhl und hält mir seine rechte Hand entgegen. „Hi." Er lächelt mich an. „Ich bin Felix, freut mich."
„Ich weiß." Ich schüttele seine Hand und drücke sie leicht. Seine Hand fühlt sich warm, aber dennoch stark an. Als ich merke, dass ich das gerade laut gesagt habe, schlage ich mir erschrocken mit der anderen Hand vor den Mund.
„Oh mein Gott, tut mir leid", sage ich. Ein nervöses Lachen bahnt sich den Weg aus meiner Kehle. „Das war unhöflich, sorry. Freut mich auch sehr, ich bin Madeleine." 
Felix lacht über meinen kleinen Ausrutscher und winkt ab. „Schon gut. Ist auch eigentlich albern, dass ich mich vorstelle, aber ich find, es gehört dazu. Sonst bin ICH unhöflich." Er grinst und wir setzen uns. Seine blauen Augen starren direkt in meine. Er lächelt mich freundlich an.
„Geht's dir gut? Möchtest du was trinken?" Ich nicke. „Ein Glas Leitungswasser wäre gut. Ich bekomme schnell einen trockenen Hals, wenn ich viel rede."
„Ich auch." Er grinst, und in Sekundenschnelle steht ein Mitarbeiter neben uns und stellt mir ein Glas Wasser hin. Dann ist er auch schon wieder verschwunden.
„Das ist Service, oder?" Felix lacht kurz auf, dann dreht er sich nach schräg hinten, um nach der Flasche zu greifen, die hinter seinem Stuhl steht und nimmt ebenfalls einen großen Schluck.
„Und, bist du aufgeregt?" Er schaut mich fragend an und ich fühle mich ein kleines bisschen ertappt. Jetzt bloß nicht rot werden!
„Ich glaube schon", stammele ich. „Lampenfieber oder so. Ist das erste Mal, das ich sowas mache."
Er grinst mich weiterhin an, aber der Ausdruck auf seinem Gesicht hat nichts herablassendes. Im Gegenteil, er scheint meinen Gemütszustand sehr gut zu verstehen. „Verständlich, musst du aber nicht sein. Du sagst gleich einfach das, was du auch in die Bewerbung geschrieben hast und dann stelle ich dir ein paar Fragen dazu, okay?" Ich nicke und gebe mir größte Mühe, mich zu entspannen. Er nickt mir aufmunternd zu, dann grinst er wieder.
„Vergiss einfach, dass uns gleich eine Million Leute zuhören." Sein Grinsen wird breiter und mir entfährt ein kurzes Auflachen. „Alles klar."
Na, das kann ja was werden!

Der Song „Paint the town red" von Doja Cat, der unser bisheriges Gespräch vom Rest des Publikums abgeschirmt hat, wird immer leiser, bis er ganz verklungen ist. Wie üblich holt Felix das Publikum und die Radio-Zuhörer mit einer kurzen Anmoderation in die Show zurück.
Dann beginnt er, mich vorzustellen. "Mir gegenüber sitzt jetzt eine junge Frau -" er mustert mich genauer - "okay, sagen wir eine Frau." Ein leises Lachen geht durch die Menge und auch ich muss schmunzeln. Das geht ja gut los.
„Sie heißt Madeleine und ist 29 Jahre alt. Einen Applaus für Madeleine!"
Wie vorher auch klatscht das Publikum, aber nur so lange, bis Felix es mit einer Geste unterbindet. Er hat seine Zuschauer wirklich gut im Griff.
Felix mustert mich einen Moment. „Madeleine ist ein schöner Name, aber recht lang. Hast du nen Spitznamen?" Ich nicke. „Maddie."
„Alles klar, darf ich dich dann ab jetzt Maddie nennen?" Wieder nicke ich. „Außerordentlich gerne."
Felix schmunzelt. „Maddie ist also jemand, der 'außerordentlich gerne' sagt, na gut. Maddie, was kann ich für dich tun?"

Ich hole tief Luft. Scheiße, jetzt wird es wirklich ernst. Ich nehme all meinen Mut zusammen und hebe das Mikrofon, das ich fest umklammert in meiner Hand halte, an meinen Mund.
„Mein Problem ist, dass es mir schwer fällt, neue Leute kennenzulernen und Freundschaften zu schließen." Kurz hält Felix meinem Blick stand, dann nickt er wissend. „Ah, der Klassiker."
Wieder muss ich schmunzeln. Er macht das wirklich gut. Wir haben noch nicht mal mit der Problemanalyse angefangen und trotzdem sorgt er mit seiner lockeren Art dafür, dass ich mich allmählich entspanne. Beinahe vergesse ich sogar tatsächlich, dass uns gerade eine Million Leute zuhören. Aber nur beinahe.
„Was heißt das denn konrekt, kannst du das genauer beschreiben?"
Ich überlege. „Naja, ich war schon immer eher ein Mensch, der am liebsten für sich ist und gerne Sachen alleine macht und ich genieße das auch immer noch, nur manchmal würde ich mir ein bisschen mehr Gesellschaft wünschen. So eine Freundesgruppe wie bei 'Friends' wäre cool, wo man auch Dinge gemeinsam unternimmt. Aber ich hab keine Ahnung, wo man die kennenlernt."
Das Publikum lacht, aber es ist ein freundliches, verständnisvolles Lachen. Auch Felix kann sich ein leicht belustigtes Grinsen nicht verkneifen. „Verstehe." Er überlegt einen Moment. „Wo wohnst du denn? Keine Angst, musst jetzt nicht deine ganze Adresse nennen, die Stadt reicht."
Ich muss lachen. „Da bin ich aber froh. Ich wohne hier in Köln."
„Ahja, und wohnst du alleine?" Ich schüttele den Kopf. „Meine Mitbewohnerin Kim ist mit mir hier, sie sitzt da vorne." Ich deute in ihre Richtung.
Er dreht sich zu ihr um. „Ach, cool. Hi, Kim", sagt er lächelnd, was sie erwidert und kurz die Hand hebt. „Und wie hast du die kennengelernt?"
„Ich wusste, dass die Frage kommt", sage ich und lache kurz auf. „Wir kennen uns noch von früher, sie war in meiner Parallelklasse. Und weil wir beide eine bezahlbare Wohnung in Köln gesucht haben, haben wir uns zusammengetan."
Felix nickt langsam. Wieder scheint er zu überlegen. „Hmmmm.. hast du denn irgendwelche Hobbys oder so? Oder Sachen, die du gerne mal ausprobieren würdest? Ich überlege gerade, was es so für Orte gibt, wo man neue Leute kennenlernen könnte. Oder warst du vielleicht schon mal in einem Verein?"
Ich schüttele den Kopf. „Nein, noch nie. Hab mich nie getraut irgendwie."
„Aber warum denn nicht?" Ich zögere. „Das kann ich dir nicht so genau sagen. Ich bin einfach gerne eine Stubenhockerin."
Seine Mundwinkel verziehen sich zu einem Grinsen. „Eine Stubenhockerin, die gerne die nächste Rachel aus 'Friends' wäre, ich verstehe."
Das Publikum lacht und unweigerlich muss ich mitlachen. „Wenn du's so ausdrückst, klingt es ganz schön albern, oder?"
„Nur ein bisschen." Er zwinkert mir zu und automatisch bekomme ich eine Gänsehaut. Ganz ruhig bleiben, Maddie, hier sind immer noch Kameras um dich herum und außerdem über 50 Leute, die ganz genau auf alles achten, was du gerade machst!
Felix überlegt noch einmal. „Tja, ich glaube ich kann dir nur raten, dich mal nach Vereinen umzuschauen. Ist jetzt kein innovativer Tipp, aber ich glaube, da trifft am am ehesten neue Leute." Nochmal denkt er nach, dann scheint ihm etwas einzufallen.
„Es muss ja auch nicht direkt sowas verbindliches sein, wo man regelmäßig hingeht. Es gibt doch bestimmt auch so... keine Ahnung, so Yogastudios, wo man einmalig hingehen kann. Oder wie wär es mit so einem Kurs, wo man Keramik anmalt? Das soll glaube ich ganz cool sein, oder?"
Er richtet sich fragend ans Publikum, welches seine Frage hier und da mit einem Klatschen beantwortet. Felix grinst selbstzufrieden.
„Na also, da haben wir doch schon was. Wäre das ne Idee, Maddie?" Ich überlege kurz, dann nicke ich.
„Denke schon, ja."
Felix lächelt.
„Cool. Aber geh da am besten ohne Kim hin, damit du auch mit anderen ins Gespräch kommst. Nichts gegen dich, Kim." Meine Mitbewohnerin lacht und zuckt mit den Achseln. „Schon okay", ruft sie.

Felix wendet sich wieder an mich. „Dann musst du aber auch jemanden ansprechen, okay? Nur hingehen reicht nicht. Ich sag's nur ungern, aber ein bisschen proaktive Eigenleistung gehört da schon dazu."
Unweigerlich muss ich lachen. „Aber was soll ich denn da sagen?"
Ein Schmunzeln stiehlt sich auf seine Lippen. „Vielleicht ‚hallo, ich bin Maddie und wäre außerordentlich gerne mit dir befreundet'?"
Ich pruste los und die anderen im Publikum auch. „Danke, aber ich verzichte."
„Schade." Er grinst. „Ja keine Ahnung, irgendein Gesprächsthema wird sich schon ergeben, da würde ich mich gar nicht so verkopfen. Oder hat noch jemand von euch einen Vorschlag?"
Er dreht sich fragend zur Seite und lässt seinen Blick über die Gesichter schweifen. Ein Mädchen aus der letzten Reihe ruft: „Frag, ob sie Gemischtes Hack hören!"
Felix lacht. „Genau, und wenn sie nein sagen, beendest du das Gespräch." Er grinst.
„Aber der Ansatz ist nicht schlecht. Du könntest vielleicht in Merch-Klamotten von deiner Lieblingsband hingehen, das ist immer ein guter Opener für Gespräche."
Ich nicke. „Gute Idee."
Felix lächelt selbstzufrieden. „Prima, dann hamwa's doch, oder?"
Wieder nicke ich. „Schätze schon", antworte ich und lächele ihn an.
„Sehr schön. dann einen Applaus für Maddie!"
Unter einem kurzen, aber prägnanten Applaus verabschiede ich mich mit einem weiteren Handschlag von Felix und verlasse die Bühne, während er den nächsten Song ansagt und Lea den nächsten Kandidaten nach vorne holt.

Heavenly (Felix Lobrecht)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt