Drachenherz

Die Seeschlange

Auf dem Bild ist der Seeschlangenkönig (Ash)

Nymeris hörte, wie seine Brüder nach Luft schnappten. Die Seeschlangen?! Er hatte schon viel über diese Art von Drachen gelesen. Sehr viel, aber welche mit eigenen Augen zu sehen! Er spürte, wie sein Herz schneller schlug, als eine Schar von flügellosen Männern und Frauen den Saal betraten, in ihrer Mitte eine große, dunkle Gestalt. Der beißende Geruch von Salz und Fisch kam ihm entgegen und er rümpfte die Nase.

,,Seid willkommen.", die Stimme seines Vaters hallte von den Wänden wieder. Ein kurzer Blick zu seinen Großeltern, verriet ihm, dass tatsächlich alle angespannt waren. Es war Jahrhunderte her, dass die Seeschlangen ihre Küsten verlassen hatten. So stand es zumindest in den Büchern. Seitdem der Große Anführer in der Schlacht gegen die alten Wesen gefallen war, hatten sie ihre Heimat nicht mehr verlassen. Es war zu gefährlich für Kreaturen mit Flössen sich an Land aufzuhalten.

Die Gestalt nahm die Kapuze ab und ein das Gesicht eines Mannes mit rabenschwarzen Haar, auf dem eine Krone aus Silber in Form eines seltsamen Tieres saß, kam zum Vorschein. Er sah sich in dem Saal um, drehte sich um die eigene Achse und ließ den Blick dann über die Drachen und Wyvern vor ihm schweifen.

Dann lachte er: ,,Ich hätte nicht erwartet, jemals einen Wyvern an der Seite eines Drachen zu sehen...Aber es erfreut mich, dass Arten zusammen finden."

,,Willkommen, Ash. Fühlt euch wie Zuhause.", sprach seine Mutter förmlich und unbeeindruckt davon, tatsächlich einer Seeschlange gegenüber zu stehen. Seine Brüder waren genauso erstaunt wie er selbst.

,,Es ist lange her, dass ich Geflügelte gesehen habe.", ein weiteres Mal wanderten die Augen des Mannes über die versammelte Mannschaft. Nymeris zuckte kaum merklich zusammen, als sein Blick den der Seeschlange traf, als die orange leuchtenden Augen etwas länger an ihm hängen blieben. Offenbar bemerkten Daemon und Rune seine Reaktion und spreizten leicht ihre Flügel. Gut, dass Ash nicht wusste, was diese Geste bedeutete.

Dann nickte der König der Seeschlangen leicht und seine Aufmerksamkeit galt wieder dem Königspaar vor ihm, ehe er sagte: ,,Ich bin an dem Bündnis interessiert."

Bündnis? 

Daemon und Rune schienen genauso ahnungslos zu sein wie er selbst. Selbst Nyx suchte den Blick der Brüder und runzelte kaum merklich die Stirn. Nymeris war sich sicher, dass dieser Moment in die Geschichte der Drachen eingehen würde. Die Seeschlangen verbündeten sich mit den Drachen und Wyvern. Ein solches Ereignis hatte es noch nie gegeben! 

,,Das war...eine sehr schnelle Entscheidung, die uns sehr erfreut. Man kann nie genügend Verbündete haben.", der König erhob sich von dem Thron und zog die Aufmerksamkeit sämtlicher Anwesenden auf sich. Nymeris nutzte die Gelegenheit um Ash unbemerkt genauer betrachten zu können. Die Seeschlange war groß, etwas größer als Daemon, der selbst schon fast den Vater der drei überragte, mit den spitzesten Ohren, die er je gesehen hatte. Seltsame Ringe schmückten seine Ohren über denen, Nymeris musste zwei Mal hinsehen um zu verstehen, dass es sich dabei nicht um eine Krone handelte, schwarze Hörner aus dem Kopf des Königs austraten. Er hatte noch nie einen Drachen mit Hörnern gesehen. 

,,Natürlich habe ich ein paar Bedingungen, die erfüllt werden müssen, damit dieses Bündnis überhaupt zustand kommt. Ich handle nicht aus purer Freundschaft. Auch mein Volk hat unter den Geflügelten gelitten, wenn Ihr Euch daran erinnert.", sprach Ash mit einem schrecklich ernsten Ausdruck im Gesicht. 

Die Seeschlange sprach von jenem Krieg, in dem der große Anführer umgekommen war. Die alten Wesen, Urdrachen wie man sie auch nannte, waren schreckliche Biester gewesen. Mehr Tier als etwas anderes. Nymeris hatte einige Zeichnungen gefunden, von denen er erst gedacht hatte, es wären Albträume eines Irren gewesen, bis er dieselben Zeichnungen in alten Büchern gefunden hatte. Die Seeschlangen hatten am meisten unter den Urdrachen gelitten. Sie waren vertrieben worden und gejagt, bis sie in die Meere geflüchtet waren. Deshalb fand man keine mehr von ihnen an Flüssen oder in Seen. Sie hielten sich ausschließlich an Küsten auf, obwohl dieser Krieg bereits mehrere Jahrhunderte in der Vergangenheit lag. Kurz nach diesem Krieg, brach der Krieg zwischen Drachen und Wyvern aus. 

,,Ich verstehe. Nennt Eure Bedingungen heute Abend bei einem gemeinsamen Abendessen und findet erst einmal Ruhe auf Euren Gemächern. Solltet Ihr die Zeit dazu finden, könnt Ihr die Stadt erkunden oder die Festung. Fühlt Euch wie Zuhause. Brie wird Euch auf Eure Gemächer bringen.", die Stimme seiner Mutter hatte immer etwas sanftes an sich. Egal wie ernst die Situation war, er sprach nie energisch oder wütend. Immer mit Bedacht und Ruhe. 

,,Das werde ich.", die Seeschlange verließ den Thronsaal, gefolgt von seinen Wachen. Erst, ls die Tore sich wieder schlossen, atmete der Saal aus. 

,,Was glaubt ihr, wird die Schlange wollen?", Rune und Daemon hatten ziemlich schnell deutlich gemacht, dass sie König Ash nicht mochten. Er strahlte eine seltsame, unberechenbare Macht aus. Etwas, das auch Nymeris aufgefallen war. Wenn die Seeschlangen wirklich über See und Gezeiten herrschten, war das aber nicht überraschend. 

,,Ist mir egal, solange er es nicht bekommt.", murrte Rune und wich Daemons Schlag etwas ungeschickt aus. Er landete im Dreck und keuchte fluchend. 

,,Ich mag es nicht, wie er dich angesehen hat und die Entscheidung sich uns anzuschließen getroffen hat.", meinte Nyx an ihn gerichtet und setzte sich neben Nymeris auf das Holzhindernis. 

Daemon und Rune hielten abrupt inne und ihre Köpfe schnellten in Richtung des Drachen neben ihm. 

,,Was meinst du damit?", sein ältester Bruder streckte Rune eine Hand hin und half ihm auf. Nyx runzelte nachdenklich die Stirn und zuckte mit den Schultern. 

,,Das Bündnis zwischen Wyvern und Drachen wurde durch die Hochzeit zwischen meinem Bruder und Nemesis besiegelt.", erklärte der Drache sein Bedenken und augenblicklich richteten sich alle Blicke auf ihn. 

Nymeris runzelte die Stirn. 

,,Warum sollte er ausgerechnet mich heiraten wollen? Vielleicht hat er ja zu Rune gesehen.", hatte er nicht. Daemon grunzte amüsiert und Nyx schmunzelte. 

,,Wie auch immer, ich bezweifle, dass Mutter und Vater dieses Bündnis eingehen werden, wenn die Schlange tatsächlich einen von uns heiraten möchte.", mit diesen Worten sprang er von dem Hindernis und klopfte sich den Staub von der Hose. Der Trainingsplatz war immer so schrecklich dreckig...

Wenig später fand Nymeris sich in der Bibliothek wieder. Er hatte sich nicht umgezogen, seit dem besuch im Thronsaal, aus dem einfachen Grund, dass er jederzeit einem König über den Weg laufen konnte und da wollte er nicht aussehen, wie seine Brüder. Er blätterte in einem Buch, das sich mit den Seeschlangen befasste. Tatsächlich war es etwas ungewöhnliches, wenn sie Hörner besaßen. Nur den hochrangigsten von ihnen wuchsen welche. Sie hatten die Bedeutung ähnlich der weißen Farbe bei Drachen. 

Er versuchte gar nicht erst auf Nyx Gedanken einzugehen, denn selbst wenn der Drache recht behielt, wusste Nymeris, dass seine Eltern ihn niemals verkaufen würden. Nicht, wenn er nicht auch zustimmte. 

Aber was wenn es dazu kommen würde? Das Bündnis würde bloß seinetwegen nicht zustande kommen. Das Ereignis des Jahrtausends vergeudet, durch seine Entscheidung. Der Wyvern schüttelte den Kopf. Er machte sich zu viele Gedanken. Viel zu viele. 

Bisher hatte er in keinem Buch etwas über die Vermehrung der Seeschlangen gefunden. Weder wie lange sie ihre Jungen austrugen, noch über Mischungen mit anderen Arten. Nymeris war schrecklich neugierig geworden. Er kannte beinahe jedes Buch auswendig, hatte sie durchgelesen, studiert und auswendig gelernt. Resigniert stellte er das Buch wieder zurück ins Regal. Vielleicht fand er ja bei den Schriftrollen noch etwas Interessantes. 

Der alte Bibliothekar brachte hin und wieder ein paar neue mit von seinen Reisen quer durch das Königreich. Letztens hatte er einige Kopien aus dem Wyvernreich mitgebracht. Die Skizzen waren schön gewesen, aber nichts, was Nymeris nicht schon gesehen hatte. Der alte Drache sollte heute wieder zurück kommen mit neuem Lesematerial. 

Er räumte gerade die restlichen Bücher weg, als er die Türe hörte. Außer ihm, dem Bibliothekar und seiner Mutter kam niemand hier her. Seine Brüder schlugen sich lieber die Schädel ein, als etwas Sinnvolles zu lernen. Seit ihr Unterricht beendet war, kamen sie nicht mehr hier her. Für die beiden gab es nun wichtigeres: Ein Krieger zu werden. Warum auch immer das so toll war...

,,Ich hoffe Ihr habt mir etwas mitgebracht.", er trat hinter den Regalen hervor und ließ beinahe die Bücher in seinen Händen fallen, als nicht der Bibliothekar, sondern der König der Seeschlangen vor ihm stand.