Ein kleiner Hinweis

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Ash stellte den Kelch ab und Nymeris setzte sich kerzengerade hin, als würde er sonst etwas verpassen. 

,,Diese Kugel ist ein Apparat, der mit sehr viel Sorgfalt und Geduld gebaut wird. Im Inneren, findest du ein unglaubliches Zusammenspiel aus winzigsten Zahnrädchen und anderen Formen, die das Herz dieser Kugel bilden. Ohne diese Mechanik, wäre es nur eine Goldene Kugel."

Ein Apparat also, so viel hatte Nys sich aber auch schon gedacht. Die Kugel war zu schwer um hohl zu sein, natürlich steckte ein Mechanismus drinnen, aber wofür?

,,Das ist der Hinweis?"

,,Wenn du mehr wissen willst, wirst du mir noch einen Gefallen schenken müssen.", die Seeschlange grinste verschmitzt und stützte die Ellbogen auf dem Tisch ab. Dieses Arschloch. 

Ein Gefallen war schon mehr, als Nymeris gerne gegeben hätte. Noch einer kam gar nicht infrage. Wenn es sich um einen Apparat handelte, würde er schon noch herausfinden, wozu dieser zu gebrauchen war, auch wenn Ash es ihm nicht verriet. 

,,Danke, aber nein danke.", der junge Wyvern raschelte mit den Flügeln als er aufstand und um den Tisch herum ging, in Richtung Türe. Ash sagte nichts, verfolgte ihn stattdessen mit seinen leuchtenden Augen. 

,,Gute Nacht, Nys. Hoffentlich hast du nicht wieder so aufregende Träume."

Nymeris schnaubte amüsiert und hielt kurz Inne, als er im Türrahmen stand, ehe er den Kopf zur Seite drehte und sagte: ,,Kapitel sechzehn ist wirklich sehr interessant. Du solltest es noch einmal lesen."

Das erste und letzte Kapitel, das er gelesen hatte, in dem es so richtig zur Sache ging. Ja, natürlich hatte auch er sich das ein oder andere vorgestellt, wie ein Jüngling, der zum ersten Mal im Leben Lust verspürte, aber das tat jetzt nichts zur Sache. 

Ash grunzte und streckte die Arme über den Kopf aus, ehe er den Kopf erst nach links und dann nach rechts legte, vermutlich um die Spannung in seinem Nacken ein wenig zu lösen. Die Seeschlange hatte den ganzen Tag am Steuer verbracht. Er musste schrecklich müde sein. 

,,Danach ist sicher nicht nur mehr dein Nacken steif. Gute Nacht, Ash. Ich wünsche dir aufregende Träume.", mit diesen Worten verließ Nymeris die Kabine und trat in die warme Nacht hinaus. Auf dem Deck hingen zahlreiche Laternen und Sheiren stand am Steuerrad. Sie drehte sich kurz zu ihm um und musterte ihn von oben bis unten, als würde sie nach etwas suchen. 

,,Wie lange noch, bis wir die Küsten erreichen?", genüsslich atmete er die feuchte Nachtluft ein. Das leise Rauschen des Meeres, wenn die Wellen auf der Oberfläche zerbrachen und gegen das Schiff schlugen war wie ein Flüstern des Meeres. Der schwarze Abgrund um ihn herum schien endlos zu sein.

,,Wir werden morgen bei Sonnenuntergang ankommen. Vielleicht etwas später.", antwortete sie ohne jegliche Gefühle in ihrer Stimme und starrte stur gerade aus. 

Morgen schon. Plötzlich machte sich ein seltsame Nervosität ihn ihm breit. Umgeben von Seeschlange, als Feind jeder einzelnen davon, würde er dieses Schiff verlassen und in ihrem Palast leben, an der Seite ihres Königs. Wenn Sheiren jetzt schon nicht davor scheute, ihm zu zeigen, dass er nicht willkommen war, wollte Nymeris sich gar nicht erst ausmalen, wie es im Palast sein würde. 

,,Wir vertrauen unserem König, was diese Entscheidung betrifft, kleiner Prinz. Das solltest du auch tun.", obwohl sie es nicht direkt ansprach, wusste Nys genau, dass sie von dieser Verlobung redete. Er schenkte ihr ein knappes Nicken und trat dann an die Reling des Schiffes. Das schwarze Wasser glitzerte dunkel im Mondlicht und die kleinen Wellen ließen Funken über die Oberfläche tanzen. Nymeris atmete die kühle Nachtluft tief ein und streckte die Flügel durch. Manchmal fragte er sich tatsächlich, ob er in seinem früheren Leben, sollte es so etwas geben, irgendetwas verbrochen hatte, um die Strafe, nicht fliegen zu können, tatsächlich verdient zu haben. Immer schon hatte er alles getan, was man ihm aufgetragen hatte, ob er es nun wollte oder nicht. Er hatte versucht ein guter, nein, der beste Sohn zu sein, um die Schmerzen, die er seiner Mutter zugefügt hatte, wieder gut zu machen, um vielleicht doch noch eine zweite Chance für seine Flügel zu bekommen. Doch er war jeden Tag aufs Neue aufgewacht, ohne die Fähigkeit zu fliegen.

Der Wyvern lehnte sich soweit über den Rand, dass er die Umrisse seiner blassen Gestalt auf der Wasseroberfläche sehen konnte. Zumindest wenn er sich darauf konzentrierte. Das Drachenblut in seinen Adern war doch zu der ein oder anderen Sache zu gebrauchen. Zum Beispiel sahen Drachen viel besser, als Wyvern und nachdem er ja kein reinblutiger Wyvern war, hatte er auch ein paar Merkmale seines Vaters bekommen.  

Der Geruch der Seeschlange umgab ihn noch immer, er haftete auf Nys' Kleidung, nachdem er den ganzen Tag in dem Bett des Königs gelegen hatte, gemeinsam mit dem frischen Duft von Zitronen. Als er den Kopf hob und in Richtung des Himmels sah, entdeckte er seine Leibwächter, die weit über dem Schiff flogen. Was würde er geben, um mit ihnen dort oben sein zu können? 

Vielleicht hatte er sich ja doch nicht ganz damit abgefunden, an den Boden gebunden zu sein, während jeder andere seiner Art den Himmel bewohnte...

Noch lange lag Nymeris wach in seinem Bett und fragte sich, was seine Brüder wohl gerade machten. Lag Rune vielleicht auch grade wach und dachte an ihn? Oder vögelte der wieder Serafina? Sei es ihm gegönnt...

Zu seinem Geburtstag würden sie da sein, das hatte Daemon versprochen. 

Er spürte, die Präsenz unter ihm. Wie sie auf ihn lauerte und ihn immer wieder berührte. Vorsichtig, als wüsste die Kreatur nicht, ob er gefährlich war oder nicht. Nymeris trieb ruhig auf der Meeresoberfläche, schluckte die Angst hinunter. Hätte man ihm schaden wollen, wäre das lägst passiert. Einmal zuschnappen und er wäre weg, wie die Pfirsichtörtchen, die er jeden Tag verputzte. 

Aber er war es nicht, stattdessen wartete die Kreatur in der Tiefe auf ihn, stieß ihn vorsichtig an und zeigte ihren Flossenkamm hin und wieder, wenn sie der Oberfläche so nahe war, dass ihr Rücken nicht mehr vom Wasser bedeckt wurde. 

Nys öffnete den Mund und versuchte etwas zu sagen, doch nicht ein einziger Ton verließ seine Kehle. Das kalte Wasser lähmte ihn, hielt ihn fest in seinen eisernen Klauen. Der Mond stand direkt über ihm und warf sein fahles Licht auf die feuchte Haut des Wyvern. Schon wieder bildeten sich kleine Wellen um ihn herum, als die Kreatur der Oberfläche gefährlich nahe kam und ihren Kamm aus dem Wasser streckte. 

,,Verfluchtes Vieh.", dachte Nymeris und zischte, als die harten Schuppen erneut seine Füße berührten. 

Das hier war sein Traum. Wenn er sich bewegen wollte, dann konnte er das. Wenn er sprechen wollte, dann konnte er das. Wenn er aufwachen wollte, dann konnte er das. Sein Traum seine Regeln. 

Nys atmete tief durch und schloss die Augen. Sein Traum, seine Regeln. Er war frei sich zu bewegen, frei zu sprechen, frei zu gehen. 

Mit einem Ruck löste er sich aus der Starre und keuchte erschrocken, als sein Körper untertauchte. Er strampelte mit den Beinen und streckte die Hände nach dem Mond, der einzigen Lichtquelle, aus, doch die runde Scheibe wurde immer kleiner und kleiner, als er wie ein Stein nach unten trieb, hinein in die schwarzen Tiefen. Jegliche Luft wich aus seinen Lungen und das Salzwasser brannte in seinen Augen. Er versuchte zu schreien, zu schwimmen, aufzuwachen, doch nichts davon funktionierte. Immer weiter und weiter zog ihn das Meer hinab in seine Tiefen, wo er nicht einmal mehr die Hand vor seinen Augen erkennen konnte. 

Ein letzter erstickter Laut entwich ihm, als das Wasser seine Lungen füllte und seine Augen sich langsam schlossen. 

Irgendwo in seinen Gedanken, hörte er die Worte klar und deutlich: ,,Du bist noch nicht soweit!"

DrachenherzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt