Entscheidung

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Nymeris hatte sich in seine Gemächer zurückgezogen und saß nun auf dem Bett. Vor ihm die goldene Kugel, aus der er noch immer nicht schlauer geworden war. Allmählich frustrierte ihn das Ganze.

Alleine schon die Tatsache, dass sein Kopf bereits überlegte, welche Kleidungsstücke er einpacken sollte und welche nicht. Innerlich hatte er sich beriets dafür entschieden, die Seeschlange zu begleiten, aber so richtig wahrhaben wollte er es nicht. Ganze sechs Monate lang musste er auf seine Familie verzichten. Auf sein Zuhause...

Natürlich war er sich sicher, dass Rune und Daemon ihn besuchten, wann immer sie konnten, aber es war nicht dasselbe, wie jeden Morgen von ihnen abgeholt zu werden und mit ihnen zu frühstücken. Dasselbe galt für seine Eltern, die er nun ein halbes Jahr nicht wirklich sehen würde.

Die größte Herausforderung würde sicherlich der Anfang werden. Sich einzuleben und nicht ständig an sein Zuhause zu denken.


Das Abendessen kam schneller, als es ihm lieb war. Nymeris war der Erste im Speisesaal. Er hatte es nicht mehr ausgehalten auf seinen Gemächern zu bleiben und war kurzerhand in Speisesaal gegangen, wo die Diener gerade den Tisch deckten und die Speisen vorbereiteten. Nys stand auf der Terrasse und blickte auf die Sonne, die gerade hinter der Stadt versank. Zum letzten Mal für die nächsten sechs Monate durfte er dieses Schauspiel der Farben hier bewundern.

Nymeris spähte in den Saal hinein, als er das Geräusch der Türen hörte und fluchte leise, als es sich bei den Eindringlingen um die drei Seeschlangen hielt. Er huschte zurück nach draußen, in der Hoffnung, dass man ihn nicht entdeckt hatte. Vielleicht hielt Ash es ja auch nicht mehr auf seinen Gemächern aus... Am besten gewöhnte er sich schon mal an die Anwesenheit der Schlange, immerhin würden sie die nächsten sechs Monate miteinander verbringen. Mehr oder weniger zumindest.

,,Ich dachte mir bereits, dass du hier draußen bist.", Ash lehnte im Türrahmen, während die beiden Seeschlangen dabei halfen, alles für das Abendessen vorzubereiten. Nymeris versuchte sich nicht zu versteifen und atmete tief durch. Er musste sich daran gewöhnen.

,,Wieso?"
,,Dein Geruch."

Nys runzelte die Stirn. Hatte die Schlange ihm gerade gesagt, dass er stank?
,,Willst du damit sagen, dass ich stinke?"
Ash Augen weiteten sich beinahe schon erschrocken.
,,Verzeih mir meine Wortwahl. Dein Duft lag in der Luft und hat mich hier raus geführt.", entschuldigte sich der Seeschlangenkönig und trat neben ihn an das Geländer.

Eine angespannte Stille breitete sich zwischen ihnen aus und Nymeris hatte nicht vor sie zu unterbrechen.
,,Hast du dich schon entschieden?"
,,Deine Art scheint nicht gerade von Geduld zu protzen."
,,Nein, tatsächlich nicht.", gestand der Mann schmunzelnd und lehnte sich mit dem Rücken an das Geländer. Seine schwarzen Hörner schimmerten im Licht der Sonne wie ein Obsidian. Sie passten nahezu perfekt zu den schwarzen Haarsträhnen der Seeschlange. Der junge Wyvern kam nicht darum herum sie anzustarren. Zwar besaßen die meisten Drachen und Wyvern sehr wohl Stacheln aus Knochen, doch richtige Hörner mit Mustern besaßen sie nicht, zumindest nicht in dieser Form.

,,Seid ihr hierher gekommen mit der Absicht mich zu heiraten, oder war es bloß ein glücklicher Zufall?", Nymeris machte sich nicht die Mühe seine Verachtung zu verbergen. Ash durfte ruhig wissen, dass er dieser Entscheidung überhaupt nicht zustimmte.

,,Es ist üblich für meine Art, dass wir unsere Bündnisse mit einer Hochzeit besiegeln. Dass ich dafür dich erwähle, ist wohl eher ein Zufall."
Ein wahnsinnig toller Zufall. Es hätte auch einen seiner Brüder treffen können.

,,Deine Flügel haben eine einzigartige Färbung."

Nymeris wich nicht zurück, als Ash seine Hand ausstreckte und mit den Fingerspitzen über seine Flügelmembran strich. Vermutlich wusste die Seeschlange nicht, dass es bei den Wyvern und auch Drachen als sehr frech galt, die Flügel eines anderen ohne Erlaubnis zu berühren.

Ob er seine Flügel noch immer als einzigartig empfand, wenn er herausfand, weshalb sie so waren? Arsen hatte gesagt, die Färbung der Flügel eines Babys, war der letzte Prozess während der Schwangerschaft. Die Farbe wurde in diesem Zeitraum gebildet. Deshalb hatten seine eigentlich dunkelblauen Flügel einige helle Muster. Ja, es machte sie besonders, aber lieber hätte er eine konstante Färbung, die nicht danach aussah, als hätte man einem Kind Farbe gegeben und es drauf los malen lassen. 

,,Man fasst die Flügel eines Fremden nicht ohne Erlaubnis an.", wies Nymeris den anderen darauf hin und zog seine Flügel enger an seinen Körper heran. 

,,Dann entschuldige ich mich auch dafür. Es ist sehr lange her, dass ich mit Bräuchen von anderen Arten konfrontiert wurde. Vielleicht können wir beide von diesem Angebot profitieren: Du lernst etwas über uns, und ich lerne etwas über deine Art.", die orangen Augen der Seeschlange funkelten aufgeregt unter den dunklen Wimpern. 

,,Wie lange ist das her?", er war ein wenig neugierig geworden. Wie lange hatte Ash die Küsten nicht verlassen? Hatte er sie überhaupt jemals verlassen?

,,Das letzte Mal bin ich vor etwa...150 Jahren einem Drachen begegnet. Es war nur eine flüchtige Bekanntschaft in einer Stadt weit hinter dem Meer.", Ash hob den Kopf, als ein Diener sich ihnen näherte. Es war Merly, eine Wyvernfrau mit hellroten Flügeln und noch röteren Haaren. 

,,Das Abendessen wäre nun bereit.", verkündete sie leise und huschte wieder davon. Vor 150 Jahren? Nymeris wagte es nicht sich zu fragen, wie alt die Seeschlange dann sein mochte. 

Wortlos betrat er den Speisesaal, dicht gefolgt von Ash. Seine Familie saß bereits am Tisch. Rune und Daemon schienen etwas überrascht zu sein, als sie bemerkten, dass ihr Bruder und Ash aus derselben Richtung kamen. 

Er setzte sich zwischen die beiden Wyvern und beobachtete den Seeschlangenkönig dabei, wie er sich an das Tischende setzte. 

,,Alles in Ordnung?", Rune so besorgt zu sehen war wirklich eine Seltenheit. 

,,Alles bestens.", meinte Nymeris leise und tatsächlich meinte er es auch so. Er würde das Ganze nicht als Pflicht, sondern als Möglichkeit sehen. Wenn Ashs Bibliotheken tatsächlich so umfangreich waren, konnte er die nächsten sechs Monate auch einfach damit verbringen zu lesen und zu schreiben. Vielleicht ein paar Kopien anfertigen...

,,Wie lange werdet Ihr unterwegs sein?", fragte seine Mutter irgendwann an Ash gerichtet. 

,,Wir werden zu Fuß etwa vier Tage brauchen, bis wir die Meerengen nahe des Blauen Waldes erreichen. In dem Hafen liegt unser Schiff, mit dem wir dann etwa fünf Tage unterwegs sein werden. Wenn die See auf unserer Seite ist, vielleicht nur vier.", antwortete die Seeschlange und sah dabei mehr zu ihm, als zu seiner Mutter. Sie reisten mit einem Schiff?

,,Warum schwimmt Ihr nicht?", Nys hörte seinen ältesten Bruder das erste Mal mit dem fremden König sprechen. 

,,Es ist nicht gerade angenehm, mit völlig durchnässter Kleidung und ohne Proviant das Land zu durchqueren. Dazu ist es sehr anstrengend fünf Tage durch zu schwimmen.", Ashs Antwort ergab durchaus Sinn. Auch wenn Nymeris nicht aus Erfahrung sprechen konnte, hatte er oft genug gesehen, wie erschöpft seine Brüder gewesen waren, wenn sie das Wyvernreich besucht hatten und den Weg nur ein oder zwei kurze Pausen gemacht hatten. 

,,Sollte Nymeris sich dazu entscheiden mit Euch zu kommen, könntet Ihr den Weg an Land fliegen. Die Meerengen würde man ihn zwei Tagen erreichen.", bot sein Vater an griff nach dem Kristallkelch vor ihm. 

,,Es wäre sicher eine einmalige Gelegenheit auf einem Drachen zu fliegen.", Ash grinste verschmitzt und widmete sich wieder dem Teller vor ihm. 

Erst, als das Dessert serviert wurde, brachte Nys endlich den Mut zusammen seine Entscheidung zu verkünden. 

,,Ich nehme dein Angebot an und werde mitkommen. Für ein halbes Jahr. Meine Familie kann mich jederzeit besuchen und ich kann jederzeit zurück.", auch wenn er einwilligte, wollte Nymeris sicher gehen, dass er sich zu rein gar nichts verpflichtete. 


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