Ash versuchte sein rasendes Herz irgendwie zu beruhigen.
Nymeris hatte ihn beinahe geküsst. Nymeris hatte ihn beinah geküsst. Nymeris hatte ihn beinahe geküsst. Nymeris hatte ihn beinahe geküsst.
Nymeris hatte ihn beinahe geküsst.
Wenn das so weiterging, wurde er bis zur Ratshalle noch wahnsinnig. Am liebsten hätte er seinen Kopf einige Male gegen die Wand geschlagen, bis endlich Ruhe herrschte. Was ihm im Moment als unmöglich erschien, da besagter Wyvern neben ihm herlief. Mit roten Wangen und schüchternem Blick, der seinem ständig auswich.
Neben seinen wirren Gedanken, die er versuchte zu ignorieren, musste er sich auch noch bemühen, nicht wie ein Idiot vor sich hin zu grinsen, denn Nymeris hatte ihn beinahe geküsst!
Wenn dieses beinahe doch nicht wäre. Wenn Cormac ein paar Sekunden später gekommen wäre. Wieder einmal hatte dieser alte Sack alles ruiniert...
Eigentlich hätte er einfach nur erleichtert sein sollen, dass Nymeris wohl auf war, doch stattdessen galten seine Gedanken bloß einer einzigen Frage: Wie fühlten sich die Lippen des Wyvern an? Genauso weich und zart wie sie aussahen? Diese herzförmige Versuchung trieb ihn noch in den Wahnsinn, wenn sie das nicht schon getan hatte, wenn er sich an so manche Nächte auf dem Schiff erinnerte...
Die Wachen verbäugten sich vor ihm, beäugten Nys kritisch, sagten jedoch nichts und öffneten anschließend die schweren Tore. Die Halle bäumte sich imposant vor ihnen auf. Er hörte Nymeris nach Luft schnappen.
Die goldenen, thronartigen Sessel am Rand, der größte, seiner, in er Mitte, glänzten in er untergehenden Sonne. Über ihnen ragten die Statuen von Anführern, Königen, Eroberern auf und sahen auf sie herab. Seine Statue seines Vaters, gebaut direkt über seinem Thron.
In der Mitte standen die beiden Seeschlangenjungen, verängstigt und unsicher. Die Nase des einen hatte aufgehört zu bluten und war nun umgeben von grünen und blauen Flecken. Nys hatte wohl ordentlich zugeschlagen... Neben ihnen standen ihre Eltern. Die Wachen am Rand behielten jeden genaustens im Auge.
Die Augen derer, die Nymeris zum ersten Mal sahen wurden groß, als dieser ihm folgend an ihnen vorbeischritt.
Jetzt, wo er die Gesichter der Eltern sah, erkannte er auch die beiden Seeschlangenjungen: Wylan, der mit der gebrochenen Nase, Sohn von einem Fischer und einer Magd im Palast. Sie waren beide anwesend und schimpften bereits mit ihm. Der andere war Orion, der dem Namen ihres Sonnengottes nicht annähernd Ehre machte. Er war der Sprössling zweier Wachen. Auch sie beide waren anwesend, schwiegen aber.
Ash deutete auf den großen Sessel auf dem Podium und sah dann zu Nymeris, ehe er sagte: ,,Mein Thron ist dein Thron."
Der Wyvern sah ihn unsicher an: Als wollte er fragen, ob dies wirklich eine gute Idee sei. Ja, war es. Er wollte demonstrieren, wie wichtig Nys für sie und vor allem für ihn war. Er nickte knapp und kaum merklich, sodass nur Nymeris, der vor ihm stand, es sehen konnte. Ash wartete, bis der junge Prinz saß, die Hände fein im Schoß gefaltet und den Rücken kerzengerade durchgestreckt. Seine dunklen Flügel bildeten einen starken Kontrast zu dem Gold hinter ihnen und stachen so noch mehr hervor, imposant und wunderschön. Wie sehr er sich auf den Tag freute, an dem er sie wirklich berühren durfte, nicht bloß ein paar zarte und flüchtige Berührungen.
Er hatte erst vor kurzen erfahren, durch einen Bibliothekaren einer kleineren Bibliothek im Ostflügel des Palastes, dass die Flügel der empfindlichste Teil eines Geflügelten waren. Voller Nerven, Äderchen und Muskeln.
,,Heute werde nicht ich richten, sondern Nymers. Mein Verlobter und Kronprinz der Küsten.", die Seeschlange bemerkte sofort, wie die Augen der beiden Angeklagten groß wurden, als realisierten sie erst jetzt, wen sie beinahe umgebracht hatten.
,,Wylan und Orion, tretet vor und sagt, was ihr zu sagen habt.", Ash verschränkte die Arme hinter dem Rücken und drehte sich kurz um. Er spürte Nys' Blick auf sich, wie eine unsichtbare Hand, die über seinen Rücken strich und überall ein heißes Kribbeln hinterließ.
Die beiden Jungen traten vor, die Köpfe gesenkt.
,,Wir wussten nicht, wer er ist. Eigentlich hätte es nur ein kleiner Spaß sein sollen. Hätten wir gewusst, dass er..."
,,Ich habe es euch gesagt. Meinen Namen, wer ich bin und was ich hier mache, aber ihr habt nicht zugehört.", unterbracht Nymeris Wylans leise Stimme. Anders als erwartet, klang der Wyvern nicht wütend oder bedrohlich. Stattdessen wirkte er ruhig und gefasst. Zwar hatte er die üblichen Sprösslinge der Geflügelten Königsfamilie nicht näher kennengelernt, doch auf ihn hatten die drei jungen Männer einen wenig gefassten Eindruck gemacht. Nymeris unterschied sich bereits hier von seinen Brüdern.
,,Warum ist keiner in das Spiegelbecken gesprungen, als ihr bemerkt habt, dass Nys...Nymeris nicht mehr aufgetaucht ist? Warum habt ihr ihn überhaupt hineingestoßen? Ist euch klar, was passiert wäre, wenn...Nymeris ertrunken wäre?", er wagte es nicht, auch nur ansatzweise daran zu denken, was mit ihm passiert wäre.
Die beiden Jungen schluckten. Ash gewährte ihnen einen Moment, ehe er weiter sprach: ,,Krieg. Ihr beide hättet uns durch diesen kleinen Spaß in den Untergang gestürzt. Die Seeschlangen waren noch nie gut darin, Kriege zu führen. Wir herrschen über das Wasser, nicht über Feuer und Luft. Ihr hättet uns alle dem Untergang geweiht. Dieses Bündnis, ist der Beginn von Frieden und Einheit. Ein Beginn, den ihr beinahe beendet hättet."
Der Seeschlangenkönig hielt einen Moment Inne, um sich selbst zu beruhigen. Die Wut und Fassungslosigkeit, die in ihm aufkam, wenn er auch nur daran dachte, dass Nys nicht einmal zwei Tage hier war und bereits einmal fast gestorben wäre, erfüllte ihn mit Wut und vor allem Enttäuschung. Sein Volk war friedlich und liebevoll.
,,Ihr zwei seid eine Schande, für das, wofür unser Volk steht. Jahrhunderte langer Frieden, beinahe zerstört wegen eines kleinen Spaßes. Ihr wisst, wie die Strafe für euer Vergehen lautet.", natürlich wussten sie das. Jeder wusste, was passierte wenn man versuchte, einen Thronfolger zu ermorden, ob nun absichtlich oder nicht. Es war eine Sache, jemanden in ein Loch zu stoßen, aber eine völlig andere, diesem Jemand schließlich beim Ertrinken zuzusehen und nichts zu unternehmen. Besonders, wenn dieser Jemand auch noch der Kronprinz war.
,,Mein König, ich bin mir sicher, dass keiner der beiden jemals wieder auch nur daran denken wird, etwas derartiges zu tun. Ich bitte Euch, im Namen aller anwesenden Eltern hier, um Gnade für unsere Kinder. Nur dieses eine Mal. Sie sind jung und dumm, wie es Jünglinge nun einmal sind.", der Fischer, Malec, trat vor neben seinen Sohn, die Hände vor seiner Brust, als würde er beten.
,,Heute liegt es nicht in meiner Hand, über das Schicksal eurer Söhne zu entscheiden.", Ash wusste, dass Nymeris nicht grausam war, genauso wenig wie er selbst. Er verließ sich darauf, dass der Wyvern sich richtig entschied. Das Volk musste sehen, dass die Geflügelten, ebenso ein Herz besaßen wie sie.
Malec sah ihn eindringlich an, flehend und traurig zugleich. In den Blicken der restlichen Seeschlangen fand er Besorgnis und Angst. Sie fürchteten sich vor Nys' Urteil. Vielleicht auch einfach vor den Wyvern selbst.
,,Wie lautet dein Urteil, Nymeris?", Ash machte eine halbe Drehung, sodass er den Wyvern und die anderen Seeschlangen sehen konnte und legte den Kopf schief, als ihre Blicke sich kurz trafen. Unsicher und zögernd.
Nymeris hatte ihn küssen wollen.
,,Lass die beiden gehen. Sie sind Kinder, die sich dem Ernst der Situation nicht bewusst waren. Ihre Eltern sollen sich um eine gerechte Strafe kümmern und dafür sorgen, dass etwas derartiges nicht ein zweites Mal passiert. Ich will nicht nocheinmal ertrinken müssen.", der Wyvern erhob sich, langsam und elegant wie es sich für einen Prinzen gehörte und holte zu ihm auf.
,,Als Entschuldigung, bringt ihr beide mir meine Kugel. Dann ist alles vergessen."
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Drachenherz
Romance21 Jahre nach Drachenblut! Um ein Bündnis mit den Seeschlangen, einer Unterart der Drachen, angesiedelt an Küsten, zu besiegeln, soll Nymeris deren König heiraten, doch als er sich dagegen sträubt, macht Ash, der Seeschlangenkönig, ihm ein verlocken...