Aufbruch

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Daemon als Wyvern





Rune hatte als einziger protestiert. Zwar hatte weder Nyx noch Daemon begeistert von seiner Entscheidung gewirkt, doch sie waren so schlau gewesen und hatten nichts gesagt. Die beiden kannten ihn gut genug um zu wissen, dass Proteste es ihm nur schwerer machten. Irgendwann hatte auch Rune sich beruhigt.

Nymeris hatte bis spät in die Nacht hinein seine Zeit damit verbracht, alles nötige in zwei Truhen zu packen: Eine mit Kleidung, die andere mit dem Rest.

Danach hatten sich die drei Brüder und Nyx im Hinterhof getroffen. Als Kinder hatten sie im Sommer sehr gerne unter freiem Himmel geschlafen, eng aneinander gekuschelt. Er hatte sich nirgends so sicher gefühlt wie bei seinen Brüdern. Nymeris lag in der Mitte, Daemon hinter ihn, Rune vor ihm und Nyx irgendwo dazwischen. Im Dunkeln erkannte man bloß ein Paar blaue Augen die leuchteten wie Saphire. Runes Schuppen waren etwas heller, ähnlich denen ihres Vaters. Daemons cobaltblauen Schuppen glänzten selbst in der Dunkelheit, wenn bloß der Mond sein fahles Licht darauf scheinen ließ. Es tat gut eine Kindheitserinnerung wieder aufleben zu lassen.


Leider kam der nächste Morgen viel zu schnell. Er stand vor den Eingangstoren und sah den Drachen und Wyvern dabei zu, wie sie alles für ihre Reise vorbereiteten. Einige hatten sich bereits verwandelt, andere kletterten auf deren Rücken herum und befestigten dort seine Truhen und Proviant, zusammen mit Wechselkleidung.

Eine Truppe aus Drachen und Wyvern würde bei ihm bleiben, um sicher zu gehen, dass die Seeschlangen keine hinterhältigen Pläne geschmiedet hatten. Obwohl Ash dem sofort zugestimmt hatte, ohne überhaupt eine Erklärung zu verlangen, war es doch ein großes Risiko, das sie eingingen. Besonders weil Nymeris nicht einfach selbst weg fliegen konnte. Nyx und seine Brüder begleiteten sie bis zu den Meerengen.

,,Pass gut auf dich auf und schreibe uns Briefe. Je mehr, umso besser.", seine Mutter zog ihn in eine feste Umarmung und drückte einen Kuss auf seine Stirn.

,,Lass dir nichts von diesen Wasserschluckern gefallen.", murmelte sein Vater kaum hörbar, als er Nymeris in seine Arme zog und an sich drückte.

,,Und vergiss nicht: Du kannst jederzeit zurück kommen."


Der Kloß in seinem Hals wurde dicker, als er auf Runes Rücken kletterte und einen letzten Blick auf seine Eltern war. Sechs Monate. Zum ersten Mal in seinem Leben, würde er so lange von seiner Familie getrennt sein.

Er legte die Flügel an und atmete tief durch. Nys sah zu Daemon, auf dessen Rücken nun Ash saß. Ganz geheuer schien es ihm nicht zu sein, als der cobaltfarbene Wyvern sich bewegte und zu seinem Bruder kam.

Schnell blinzelte er die Tränen in seinen Augen weg und umgriff einen Rückenstachel mit beiden Händen. Daemon stieß Rune sanft an. Ein Zeichen, dass es losgehen konnte. Nymeris winkte seinen Eltern zu, als Rune einen sich aufrichtete und sich mit den Hinterbeinen vom Boden abstieß. Ein gewaltiger Ruck ging durch den Körper des Wyvern, als er mit ein paar Flügelschlägen in die Höhe schoss. Rune war kein besonders...vorsichtiger Flieger.

Nyx bezeichnete ihn ganz gerne als eine Gefährdung für den Himmel. Nys mochte den wilden Flugstil seines Bruders.

,,Wieso?", hörte er kurz später Runes Stimme in seinem Kopf.

,,Es ist eine Chance, mal etwas Neues zu erleben. Und Mutter meinte, vielleicht könnte ein Heiler meine Flügel behandeln.", erklärte Nymeris und schmunzelte leicht, als er Daemon knapp unter ihnen erkannte.

,,Fliegst du nicht gerne auf mir?", Rune gab einen schrecklich gequälten Laut von sich, der offenbar auch die Aufmerksamkeit ihres älteren Bruders erregte. Nys wusste, dass es sich dabei bloß um einen Scherz handelte.

Daemon flog so dicht an sie heran, dass Nymeris das Leuchten in den orangefarbenen Augen der Seeschlange erkennen konnte.

Runes Körper vibrierte, als er ein Knurren ausstieß und spielerisch nach dem ältesten Bruder schnappte.

,,Unser Bruder ist ein geschuppter Idiot.", meinte Daemon und schien offenbar auch Ash an ihrer Unterhaltung teilhaben, denn er runzelte die Stirn und warf ihm einen fragenden Blick zu. Nymeris musste schmunzeln.

Nyx' Körper warf einen Schatten auf Rune, als der Drache sich über ihnen zeigte und langsam neben sie glitt. Auf seinem Rücken saßen drei Seeschlangen. Er war der älteste und somit größte von ihnen, mal abgesehen davon, dass die Körper von Drachen von Grund auf muskulöser waren.

Wie sehr würde er die drei vermissen...

Immerhin hatten sie noch die nächsten beiden Tage miteinander.


Am ersten Tag machten sie eine kurze Pause an einem Fluss. Rune stürzte sich regelrecht in das Wasser, soweit, dass Nymeris trocken blieb und trank einige Minuten lang.

Nys rutschte von dem Rücken seines Bruders und vertrat sich die Beine ein wenig. Es fühlte sich jedes Mal wieder seltsam an, Boden unter den Füßen zu spüren, nachdem man den ganzen Tag geflogen war.

,,Warum fliegst du nicht selbst?", als er Ashs Stimme hinter sich vernahm, drehte Nymeris sich zu dem anderen um. Es war nicht von Belang, dass die Seeschlange von seinen kaputten Flügeln wusste.
,,Ich bin nicht besonders begeistert davon, später völlig nackt vor einer Gruppe Fremder zu stehen. Außerdem ist es entspannter so.", auch wenn das nicht der Hauptgrund war, spielten diese Dinge dennoch eine große Rolle. Der junge Wyvern mochte es nicht, sich schnell etwas überwerfen zu müssen oder die Blicke der anderes auf sich zu spüren, wenn er sich wieder in seine Menschengestalt verwandelte. Besonders nicht wenn einige Seeschlangen dabei waren.

,,Ich verstehe...Warst du schon einmal auf einem Schiff?", versuchte Ash etwa ein Gespräch zu führen?
Nys streckte die Flügel aus. Sie schmerzten ein wenig von der ständigen Anspannung, die das Anlegen während des Fliegens verursachte.
,,Nein, ich hatte auch bisher nie das Bedürfnis, auf einem zu sein. Das Meer liegt uns Wyvern nicht. Wir sind lieber in der Luft.", im Normalfall zumindest. Obwohl er selbst nicht dazu in der Lage war zu fliegen, liebte er es auf seinen Brüdern zu sitzen und so den Wind unter seinen Flügeln spüren zu können, als wäre nichts leichter auf dieser Welt, als seine Flügel auszubreiten und zu fliegen.

Ein kleiner Hoffnungsschimmer wurde in ihm erweckt, als er an die Heiler dachte. Wenn die Seeschlangen tatsächlich so intelligent und heilkundig waren, wie seine Mutter es behauptet hatte, dann bestand zumindest eine sehr geringe Chance, dass man seine Flügel behandeln konnte.
,,Ich freue mich sehr darüber, dass du mein Angebot angenommen hast. Es wäre dein gutes Recht gewesen, abzulehnen, aber ich bin froh, dass du es nicht getan hast. Ich bin mir sicher, die Küsten werden dir gefallen.", meinte die Seeschlange leicht schmunzelnd und blickte auf ihn herab.

Jetzt, wo sie das erste Mal richtig nebeneinander standen, bemerkte Nymeris die überdurchschnittliche Größe des anderen. Nys war zwar ein Stück kleiner als seine Brüder, aber nicht ganz so klein wie seine Mutter. Doch die Seeschlange überragte ihn sicher um einen ganzen Kopf. Er erreichte nicht einmal die Schulter neben ihm.

,,Sind alle Seeschlangen solche Riesen?"
Er sah, wie ein Grinsen über Ashs Lippen huschte und ein amüsiertes Funkeln in die orangen Augen trat.
,,Sehr viele, ja. Es ist schwer sich gegen die Ströme zu wehren, wenn man klein ist und nur sehr wenig Kraft hat. Mein Volk ist von Natur aus groß und muskulös gebaut. Ansonsten könnten wir an den Küsten nicht überleben und im Wasser schon gar nicht. Stürme würden uns einfach davon fegen und in die Tiefen reißen, wenn wir nicht die nötige Kraft und Größe dazu hätten, dagegen zu schwimmen.", erklärte die Seeschlange und trat von einem Fuß auf den anderen. Es musste schrecklich unangenehm sein, zum ersten Mal zu fliegen und dann gleich so lange. Seeschlangen besaßen keine Flügel. Manche hatten mehr oder größere Flossen als andere und waren dadurch ausgezeichnete Schwimmer.

Nymeris versuchte den anderen möglichst unauffällig zu mustern. Er drehte den Kopf leicht zur Seite, so als würde er nachdenken und ließ seinen Blick an Ash hinauf und wieder hinab gleiten. Auch wenn er es nicht gerne zugab, war die Seeschlange durchaus attraktiv.

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