Keine von den kleinen Seeschlangen durfte älter als fünf Sommer alt sein.
,,Ich habe euch Seeteufel doch schon einmal gesagt, so begrüßt man keinen König!", schimpfte sie und stemmte die Hände in die Hüften.
,,Es ist in Ordnung, Anett.", winkte Ash ab und stand nun langsam auf. Die Frau, Anett, zog das Mädchen von seinem Rücken und stellte sie auf dem Boden ab.
,,Wo ist unsere Schwester?", fragte der Junge auf den Armen des Königs und sah sich suchend um. Dabei blieben seine großen Augen kurz an ihm hängen, an seinen Flügeln.
,,Sie ist noch im Hafen. Vielleicht bringt sie euch ja etwas mit."
Nymeris verfolgte die Unterhaltung zwischen den beiden Seeschlangen und den Kindern so aufmerksam, dass er das Zupfen an seiner Hose erst bemerkte, als sie Anett folgen wollten. Er blickte an sich hinab und begegnete dabei einem Paar grüner Augen, die erwartungsvoll zu ihm aufsahen. Das Mädchen, welches zuvor noch versucht hatte auf Ashs Rücken zu klettern, stand vor ihm und sah mit ausgestreckten Armen zu ihm auf. Hilfesuchend hob Nys den Kopf, doch Ash und Anett waren bereits einige Schritte voraus gegangen und mit ihnen die anderen Kinder, welche nun die Ringe vom Boden aufhoben.
In ihren Augen schimmerten bereits Tränen. Durfte er denn einfach ein Seeschlangenkind anfassen, ohne dass er oder das Kind irgendwelche Probleme bekamen? Er konnte die Kleine aber wohl auch nur sehr schlecht einfach stehen lassen.
Vorsichtig nahm er die kleine Schlange auf den Arm und folgte dann den anderen. Sie legte einen ihrer kleinen Arme um seinen Hals und streckte den anderen nach seinen Flügeln aus. Behutsam strichen ihre kleinen Finger über das Gerüst seiner Flügel, als würde sie mit den Schuppen dort spielen.
Immerhin schienen die Kinder keine Angst vor ihm zu haben.
,,Sie haben den ganzen Tag nach Euch und Sheiren gefragt. Es war unmöglich sie ins Bett zu bringen.", sagte Anett leise, als wäre sie beschämt darüber, dass die Kinder noch immer auf den Straßen spielten. Die Frau musterte ihn eindringlich, als Nymeris näher trat, als würde sie abschätzen, ob er eine Gefahr darstellte oder nicht.
Er heilt ihren prüfenden Blick stand. Im Augenwinkel sah er, wie Ashs Mundwinkel zuckten. Die beiden Jungen, die er gerade noch in den Armen gehalten hatte, räumten nun eilig ihr Spielzeug von der Straße.
,,Sheiren wird spätestens morgen zu ihnen kommen. Wir haben noch ein ganzes Stück vor uns. Sicher kommen wir in den nächsten Tagen noch einmal vorbei."
Der Weg in den Palast führte durch die Stadt und mündete in einen langen Weg auf einer Steinmauer. Neben der ein riesiger Wasserfall in die Tiefen fiel. Von dieser Höhe aus, konnte er über die ganze Stadt hinweg sehen. An dem Pier wurde noch immer das Schiff entladen, doch ansonsten hatte sich der Hafen geleert.
,,Waren diese Kinder alle von Anett?"
Ash lachte leise und schüttelte den Kopf: ,,Himmel, nein. Das war eine Art Waisenhaus. Diese Kinder sind bereits ohne Eltern geschlüpft. Sheiren ist unter anderem sehr oft bei ihnen, daher sehen die Kleinen sie als Schwester an."
,,Das...verstehe ich nicht. Wir können sie denn ohne Eltern schlüpfen?"
Das mit dem Schlüpfen verstand er zumindest noch. Drachen schlüpften normalweise auch aus Eiern, aber diese wurden von ihren Eltern ausgebrütet und beschützt.
,,Hast du dich denn bisher noch nicht gefragt, wie mein Vater vor mehr als acht Jahrhunderten gestorben ist, ich aber erst etwas über fünfhundert Jahre alt bin?"
Tatsächlich hatte er sich darüber zwar bereits den ein oder anderen Gedanken gemacht, aber weiter nichts.
,,Seeschlangen legen ihre Eier im Wasser ab, wir haben dafür eine Art Brutstätte. Das Wasser dort ist so heiß, dass man sie nicht ausbrüten muss. Manchmal schlüpfen die Jungen nach ein paar Wochen, manchmal dauert es Jahrzehnte und in ganz seltenen Fällen auch mehrere Jahrhunderte.", eine gewisse Traurigkeit schwang in den Worten er Seeschlange mit. Er war ohne Familie aufgewachsen. Von Fremden großgezogen worden ohne Mutter oder Vater. Vermutlich auch ohne Geschwister.
,,Ich bin ohne richtige Familie aufgewachsen und bloß dazu erzogen worden, König zu sein. Darum besuche ich diese Kinder öfter. Sie freuen sich, wenn man mit ihnen spielt oder Zeit verbringt. Manchmal habe ich dabei das Gefühl, diese Dinge so nachholen zu können, nachdem sie mit in meiner Kindheit verwehrt wurden.", der Muskel unter seiner Handfläche spannte sich an, als Ash die Hände zu Fäusten ballte. Nys war dankbar für seine unbeschwerte Kindheit. Wenn man von der Sache mit seinen Flügeln mal absah, hatte er immer jemanden um sich herum gehabt, der mit ihm gespielt oder sich um ihn gekümmert hatte. Sowohl sein Vater als auch seine Mutter, war immer für ihn da gewesen.
Der Mond stand hoch über dem Horizont und erhellte die dunkle Nacht. Ein Stück unter ihm leuchtete ein Stern ganz besonders hell.
Der Kristallpalast hieß deshalb so, weil jeder Turm, jede Halle und jeder Saal eine Glaskuppel als Dach besaß. Der Palast hatte keine Mauer und das Gelände war für jeden zugänglich. Laternen erleuchteten den Weg zu den Toren, neben denen Wachposten standen und sie aufmerksam musterten.
Der Palast bestand aus drei Gebäuden, die größte und prachtvollste Konstruktion in der Mitte, der Hauptpalast. Links und rechts gab es kleinere Gebäude, in denen die Diener, links, und die Wachen, rechts, schliefen. In der Mitte des Platzes lag ein riesiges Wasserbecken, das laut Ash so tief war, dass Seeschlangen sich darin abkühlen konnten.
Er kam aus dem Staunen gar nicht heraus. Überall erstreckten sich neue, eigenartige Bauten die so anders waren, als alles was er bisher gesehen hatte. Überall wuchsen Pflanzen und Früchte, von denen jeder nehmen konnte was er wollte. Hier musste anscheinend keiner Hungern. Was Nay aber am meisten überraschte, war die Tatsache, dass nicht ein Mensch zu sehen war.
,,Gefällt es dir?"
Nymeris nickte bloß.
,,Leben keine Menschen unter euch?"
,,Oh nein. Das würde nicht gutgehen. Es gibt einige Menschendörfer in der Nähe, aber unter uns leben keine."
,,Und Mischlinge?"
,,Es gibt keine. Nicht zwischen Menschen und Seeschlangen."
Wieder nickte Nymeris leicht. Obwohl so viele Fragen auf seiner Zunge brannten, stellte er keine einzige. Der Tag heute war obwohl seiner Ereignislosigkeit ermüdend gewesen. Die ganze Nervosität war erschöpfend und der Wyvern wollte nur noch ein Bad nehmen und sich dann ins Bett fallen lassen.
Die Wachen an den Toren verneigten sich und ließen sie eintreten. Das Innere des Palastes war noch schöner. Pflanzen in Töpfen zierten den Rand und auf dem Marmorboden lag ein hellblauer Teppich, der über den ganzen Weg bis hinauf zu einer breiten Treppe ausgerollt war. Das Dach bestand aus Kristallglas an dem ein wunderschöner Kronleuchter hing. Ash führte ihn die Treppe hinauf, nach rechts und einen langen Gang entlang, der ähnlich einem gewaltigen Balkon bloß aus einer Wand bestand. So hatte er einen atemberaubenden Blick auf das Meer und die Stadt davor.
Am Ende des Ganges bogen sie nach links ab. Das türkisfarbene Holz der Türen zeichnete sich deutlich von den weißen Wänden ab, an denen Laternen, Gemälde und sogar Wandteppiche hingen.
,,Meine Gemächer sind auf der Südseite des Palastes. Hier ist es meistens Schattig und die Hitze nicht so schlimm. Wenn du mich brauchst, frag einem eine Wache oder einen Diener.", am Ende des Ganges blieb die Seeschlange stehen und öffnete eine schwere Türe, ehe er ihm deutete, hineinzugehen.
Nymeris kam der stummen Aufforderung nur zu gerne nach. Er konnte es kaum erwarten, endlich den getrockneten Schweiß von seiner Haut zu waschen und in angenehme Kleidung zu schlüpfen.
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Drachenherz
Romance21 Jahre nach Drachenblut! Um ein Bündnis mit den Seeschlangen, einer Unterart der Drachen, angesiedelt an Küsten, zu besiegeln, soll Nymeris deren König heiraten, doch als er sich dagegen sträubt, macht Ash, der Seeschlangenkönig, ihm ein verlocken...