Auf dem Bild ist Cormac
Nymeris spürte den Schmerz in seinen Handflächen, als sich seine Nägel in die Haut gruben. Seine Knöchel traten bereits weiß hervor und er merkte, wie seine Hände langsam anfingen zu zittern. Seit einigen Sekunden standen sie so da. Stille lag zwischen ihnen, nachdem Ash so scharfsinnig kombiniert hatte.
Was sollte er darauf antworten? Scham, Wut und Trauer vermischten sich zu einem Gefühlschaos, sodass er nicht wusste, ob er nun weinen, schreien oder einfach weglaufen sollte. Er spürte den eindringlichen Blick auf seinem Rücken, wie ein Messer, dass sich langsam in sein Fleisch bohrte. Am liebsten hätte er seine Flügel einfach abgerissen, sodass niemand überhaupt auf die Idee kam, dass er eigentlich fliegen können sollte.
Manchmal wünschte er sich, man hätte sie einfach abgetrennt, sodass er nie auch nur annähernd die Hoffnung gehabt hätte, vielleicht irgendwann doch noch fliegen lernen zu können. Es war, als wollte das Schicksal ihm ins Gesicht spucken, indem es ihn jeden Tag sehen ließ, wozu er fähig sein sollte, was er sich so sehnlichst wünschte. Und was er niemals bekommen würde.
,,Nys?", Ashs Stimme klang weder wütend, noch abwertend.
Nymeris öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch er brachte nur einen erstickten Laut hervor, der zu einem hässlichen Schluchzen wurde.
Er hatte sich nicht damit abgefunden und das würde er auch nie. Auch nicht, wenn er es sich noch so oft versuchte einzureden. Dass ausgerechnet Ash dabei sein musste, wenn er den den lange unterdrücken Zusammenbruch deshalb erlebte war ein wenig...unangenehm.
Der Wyvern atmete tief durch und verzog das Gesicht, als ein Scharfer Schmerz in seiner Brust ihn zusammenzucken ließ.
,,Nys...", seufzte Ash und machte ein paar Schritte auf ihn zu. Er spürte die Präsenz hinter sich, so nahe, dass er die Körperwärme der Seeschlange bereits bemerkte.
,,Das ist doch nichts...", die Worte brachen ab, als war der König sich selbst auch nicht sicher, was er nun sagen sollte, denn es war etwas Tragisches. Es war etwas Schlimmes. Es war all das und noch so viel mehr.
,,Darf ich..?", Nymeris musste sich umdrehen, um zu verstehen, was Ash meinte. Die Seeschlange stand mit leicht ausgebreiteten Armen da und sah ihn abwartend an. Der Wyvern nickte stumm und fand sich umschlossen von zwei muskulösen Armen wieder. Sein Kopf wurde an eine harte Brust gedrückt, eine Hand in seinem Haar und die andere an seinem unteren Rücken. Er atmete den eigenartigen Geruch tief ein und schloss die Augen. Seine Finger krallten sich in den dünnen Stoff von Ashs Hemd. Nys spürte, wie sein Herz schneller schlug, als würde es sich an den schnellen Herzschlag des anderen anpassen.
Es war sinnlos zu weinen, denn das änderte auch nichts an seinen kaputten Flügeln.
Seine Brust schmerzte bei jedem Atemzug, was sich vermutlich auch nicht so schnell legen würde.
,,Möchtest du mir davon erzählen oder soll ich dich bloß trösten?", hörte er Ash fragen, wie durch eine Decke hindurch. Es war seltsam, wie sehr ihn die Anwesenheit der Schlange beruhigte, wie viel Trost sie spendete und wie sehr er sich danach sehnte. Jedes Mal wenn der König ihn berührte, schlug sein Herz schneller und drohte aus seiner Brust zu springen.
War er dabei, sich in Ash zu verlieben? Denn genauso fühlte es sich an. Er verliebte sich in einen Fremden, der ihm doch so vertraut vorkam.
Nymeris schob all diese Gedanken beiseite und straffte die Schultern. Er musste sich zusammenreißen. Wenn er bei jeder Kleinigkeit so die Beherrschung verlor, würde man ihn noch als verrückt einstufen.
Er löste sich von dem muskelbepackten Körper und sah kurz auf. Ein Fehler wie sich erwies, denn die Seeschlange starrte direkt zu ihm hinunter. Ihre Blicke trafen sich für den Bruchteil einer Sekunde, zumindest hätte es nicht länger dauern sollen, doch er konnte sich nicht mehr von den glühenden Augen abwenden, die im Sonnenlicht loderten wie Flammen. Bereit alles zu verbrennen. Warum sah er Feuer in Augen, in denen er das Meer sehen sollte?
Warum erfüllte ihn dieses Feuer mit Leben, wie es sonst nicht tat? Am nähesten kam das Gefühl heran, wenn er auf dem Rücken eines Wyvern saß und flog. Doch selbst dann, fühlte er sich nicht annähernd so...so.
Er spürte den Atem des anderen auf seinem Gesicht, dessen Blick auf sich und in sich, als könnte Ash ihn sehen. Nicht bloß sein Äußeres. Nymeris erwischte sich dabei, wie er sich fragte, wie es sich wohl anfühlen musste, die Seeschlange zu küssen. Nur kurz und flüchtig, als wollte er bloß kosten. Ein äußerst gefährlicher Gedanke, wenn die Lippen nach denen er sich zu sehen schien, so nahe und verlockend vor ihm waren. Nur wenige Zentimeter entfernt von seinen.
Nur kurz.
Es war, als gehörte sein Körper nicht mehr ihm. Als stünde er vollkommen unter dem Bann der Seeschlange. Nymeris streckte sich, stellte sich auf die Zehenspitzen und noch bevor er es überhaupt realisierte, trennten sie nur noch eine winzige Bewegung voneinander.
Nur kurz. Nur einmal davon kosten. Nur...
Nymeris zuckte so heftig zusammen, als Ash ihn erschrocken von sich stieß, als jemand an der Tür klopfte. Sein herz schlug wie wild und der Wyvern brauchte einen Moment um wieder zur Ruhe zu kommen. Schnell wischte er sich die Tränen aus dem Gesicht und beseitigte die Spuren an seinen Wangen. War er gerade drauf und dran gewesen, Ash zu küssen? Ja. Auf jeden Fall war er das.
Was war denn nur los mit ihm? Noch nie hatte er derartig die Beherrschung verloren.
,,Wie ich sehe geht es dem Kronprinzen besser. Ich habe die beiden Jungen in die Ratshalle gebracht, wo wir bereits auf Euch warten, mein König. Ich lasse Ivy rufen, damit sie auf...", es war Cormac, der harsch von Ashs Stimme unterbrochen wurde.
,,Nymeris kommt mit. Es wird an ihm liegen, das Urteil über die beiden zu verrichten.", der König drehte sich zu ihm um und warf ihm einen flüchtigen Blick zu. Nymeris konnte sehen, dass Ash genauso wie er, um seine Fassung rang.
,,Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist. Ihr zieht den Unmut des Volkes auf Euch, wenn Ihr über das Schicksal zweier Seeschlangen einen Geflügelten richten lässt."
,,Wyvern. Ich bin ein Wyvern, nicht irgendein Geflügelter.", abgesehen davon, stimmte er Cormac irgendwie zu. Er wollte nicht, dass er schon jetzt gehasst wurde. Nicht vor der Sommersonnenwende und dem dazugehörigen Fest.
,,Bisher habe ich nur deinen Unmut auf mich gezogen, alle anderen scheinen meine Entscheidungen zu respektieren. Nymeris kommt mit, er muss lernen, wie die Dinge hier ablaufen.", Ashs Tonfall ließ keinen Platz für Widerspruch. Cormac nickte knapp, unzufrieden und warf ihm einen feindseligen Blick zu, dem der Wyvern tapfer entgegen blickte. So, wie er Ash noch vor wenigen Augenblicken entgegen gestarrt hatte, nur weniger...freundlich.
Dan wandte der Seeschlangenkönig sich ein weiteres Mal an ihn: ,,Wir reden später darüber, wenn du willst."
Nymeris nickte, auch wenn er sich nicht sicher war, ob Ash nun den Beinahe-Kuss meinte, oder die Sache mit seinen Flügeln. Was auch immer davon der Fall war, es würde so oder so auf ein unangenehmes Gespräch hinauslaufen. Warum brachte ein, zugegeben sehr gutaussehender, Mann ihn so um den Verstand? Er hatte doch keine Ahnung von ihm! Wie sollte man sich denn in jemanden verlieben können, den man kaum kannte?
Vielleicht lag es ja an der Hitze, dass er verrückt spielte, oder aber an seiner Einsamkeit, dass er sich nach jemandem sehnte, der ihm Halt und Zuneigung bot. Was auch immer der Fall war, er hatte das Gefühl, nicht in der Macht stehend zu sein, dem was sein herz wollte, zu widerstehen. Ein Teil von ihm, wollte das auch gar nicht.
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Drachenherz
Romance21 Jahre nach Drachenblut! Um ein Bündnis mit den Seeschlangen, einer Unterart der Drachen, angesiedelt an Küsten, zu besiegeln, soll Nymeris deren König heiraten, doch als er sich dagegen sträubt, macht Ash, der Seeschlangenkönig, ihm ein verlocken...