Nymeris wusste nicht, ob sein herz wie wild gegen seine Brust hämmerte, weil duzende Augenpaare ihn anstarrten, oder weil Ash direkt neben ihm stand, einen Arm um ihn gelegt und umgeben von seinem seltsamen Geruch, den er zwar schon mal an ihm wahrgenommen hatte, aber nicht so extrem. War die Seeschlange neben ihm etwa auch so nervös wie er selbst? Nys war sich sehr wohl bewusst, dass diese Verlobung mit ihm auch sehr schnell nach hinten losgehen konnte.
Im Augenwinkel sah er, wie Sheiren sich über die Reling schwang und auf dem Holzsteg landete, wo sie dabei half eine Planke bereitzumachen, damit sie das Schiff verlassen konnten. Jeder einzelne der Seemänner hatte eine Aufgabe nachzugehen und es herrschte das reinste Durcheinander, zumindest sah es danach aus.
Er versuchte es sich zwar nicht anmerken zu lassen, doch unter den Schichten seiner Kleidung wurde es allmählich heiß. Die Hitze hier war anders. Stehend und feucht, sodass sie ihm noch mehr unter die haut ging, doch die Stadt war wunderschön. Und der Palast erst! Alles hier war so lebendig! Überall wuchs etwas, Bäume, Blumen sogar Früchte. Es war nicht annähernd so kalt und rau wie die Hauptstadt.
,,Bereit zum Verlassen!", rief Ren ihnen zu und deutete eine Verbeugung an. Vor ihnen beiden, nicht bloß vor ihrem König.
,,Keine Panik. Sie beißen nicht.", Ash zwinkerte ihm zu und zog ihn mit sich, als er an der Frau vorbei trat. Nymeris verspannte sich in dem Moment, als er einen Blick nach unten warf, wo das schwarze Wasser unter ihm glänzte und gegen das Schiff schlug. Er hatte keine Höhenangst, doch bei dem Gedanken, in diese schwarzen Tiefen fallen zu können, zog sich sein Magen zusammen und Übelkeit stieg in ihm hoch. Sich hier und jetzt vor den ganzen Seeschlangen zu übergeben, machte sicherlich keinen guten Eindruck.
Der Seeschlangenkönig neben ihm schien sein Unbehagen zu bemerken und verstärkte den Griff um seine Taille ein wenig, als Zeichen, dass er weitergehen sollte. Nys senkte den Blick, er wollte nicht sehen, wie viele Augen ihn anstarrten und sich wunderten, weshalb er stehen geblieben war.
Das Holz knarrte unter seinen Füßen, als sie endlich die Planke verließen und auf einem festen Untergrund standen. Mehr oder weniger zumindest. Seemänner scharrten sich um sie herum und begannen damit das Schiff abzuladen. Zwischen der Menge trat ein alter Mann in edlem Gewand hervor und kam auf sie zu.
,,Es freut uns, Euch wieder hierzuhaben, mein König. Eure Rückkehr wurde heiß ersehnt.", dann wanderte der Blick des Alten zu ihm, abschätzend und kritisch.
,,Es freut uns auch Euch hier willkommen heißen zu dürfen. Wir wissen dieses Bündnis und das Opfer, das Ihr bringt sehr zu schätzen.", der Mann verbeugte sich leicht vor ihm und sah ihn dann abwartend an.
Nymeris schluckte und versuchte sich zusammenzureißen. Er war ein Prinz und vertrat hier seine gesamte Art. Jetzt etwas falsch zu machen, war keine gute Idee.
,,Danke. Ich weiß Eure Gastfreundschaft sehr zu schätzen."
,,Das hier ist keine Freundschaft, sondern eine politische Angelegenheit. Erwartet also nicht von uns, so zu tun, als wäre nie etwas zwischen unseren Arten vorgefallen.", zischte der Alte leise und ohne eine einzige Gefühlsregung.
Der Wyvern schnaubte. Die Wut die in ihm aufstieg, war kein gutes Zeichen. Hier vor der Menge eine Seeschlange zu grillen, stand nicht auf der Friedensvereinbarung, auch wenn er das gerne tun möchte. Nys presste die Zähne aufeinander und schluckte. Er spürte, wie Hitze aus seiner Brust hochstieg und sich in seiner Kehle sammelte. Auch wenn er in dieser Form kein Feuer spucken konnte, fühlte es sich manchmal genauso an.
,,Meine Art wurde von den Drachen genauso tyrannisiert wie Eure, mit dem Unterschied, dass man bereits vor Jahrhunderten aufhörte die Seeschlangen zu jagen. Bis vor zwanzig Jahren, wurde meine Art noch gejagt. Eure Konflikte mit den Drachen haben nichts mit Wyvern zu tun.", seine Art hatte nichts mit der Jagd und Versklavung der Seeschlangen zu tun. Sie hatte nicht eingegriffen ja, aber auch nicht dabei geholfen. Von allen Arten, herrschten noch immer die Drachen, mit ihren muskulösen und großen Körpern über das Land und die Luft.
Er hatte oft gesehen, wie leicht es Nyx gefallen war, Daemon zu überwältigen. Ohne Mühe.
,,Wyvern, Drachen, Ihr gehört alle zu dem selben Gesindel.", entgegnete die Alte Seeschlange abwertend und Nymeris machte mit gespreizten Flügeln einen Schritt auf den anderen zu. Man testete hier seine Geduld und versuchte ihn bis aufs letzte zu reizen. Offenbar lag es sehr im Interesse der Schlangen, dass er so schnell wie möglich die Beherrschung verlor und wieder verschwand.
Doch bevor er etwas sagen konnte, trat Ash dazwischen: ,,Du vergisst wo dein Platz ist, Cormac. Du stehst deinem König gegenüber und deinem Kronprinzen. Hüte also deine Zunge, wenn du sie behalten willst."
Ehe dieser etwas erwidern konnte, stolzierte der König an dem Mann vorbei. Nys warf einen letzten, Blick auf ihn und folgte dann seinem Verlobten. Ash bot ihm einen Arm zum Einhaken an und führte ihn dann von dem Steg auf das Festland, wo die Menge sie bereits erwartete.
Zu seiner Überraschung kam jedoch keiner näher. Sie alle behielten einen sicheren Abstand zu ihnen, verbeugten sich leicht beim Vorbeigehen und staunten. Viele von ihnen hatten mit Sicherheit noch nie in ihrem Leben jemanden mit Flügeln gesehen. Manche tuschelten und murmelten einander etwas zu. Erst jetzt erkannte Nymeris, dass die Stadt geschmückt worden war. Girlanden hingen zwischen den Straßen, Blumentöpfe standen an den Wegen und einige Blüten lagen auf dem Boden. Eigenartige Laternen erleuchteten die Wege, auf denen noch immer Kinder spielten. Alles war so lebendig. Selbst nach Sonnenuntergang.
Er ließ sich von Ash durch die Straßen führen, gefolgt von Blicken und Raunen, aber niemand wagte es, näher zu kommen.
,,Sie sind normalerweise nicht so. Bei meiner letzten Rückkehr, habe ich eine Stunde gebraucht, bis ich hier an dieser Stelle war, weil sie mich nicht gehen lassen wollten. Sie haben gekocht und Musik gespielt, aber sie kennen die Bräuche deiner Art nicht und wollen nicht respektlos sein."
Oder sie wollten ihn nicht warm willkommen heißen.
,,Nimm es mir nicht übel, wenn ich das nicht glauben kann, nachdem netten Gespräch mit..."
,,Cormac. Er ist uralt und hat mich großgezogen. Er vergisst sehr gerne, dass er nicht der König ist. Vergiss was er gesagt hat.", Ash sah zu ihm hinab und schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln. Im Licht der Laternen schimmerten seine Augen so feurig, wie frische Lava aus einem Vulkan.
Er nickte schweigend und richtete den Blick auf eine Gruppe spielender Kinder vor ihm. Sie hatten in der Mitte eine Eisenstange aufgebaut und standen rundherum, um Ringe darauf zu werfen, doch als die Kleinen sie erblickten, ließen sie alles stehen und liegen und rannten auf Ash zu. Hinter ihnen kam eine runde Frau zum Vorschein und rief ihnen etwas nach, was jedoch keinen zu interessieren schien.
Mit ausgestreckten Händen prallte einer nach dem anderen gegen die Beine der großen Seeschlange. Sie scharrten sich um ihn, wie die Eichhörnchen im Garten der Hauptstadt wenn man ihnen Nüsse brachte. Nymeris kam nicht um ein Lächeln herum, als Ash sich hinkniete und zwei von ihnen hochhob. Ein Mädchen kletterte auf seinen Rücken und schlang ihre kleinen Arme um dessen Hals.
,,Warum seid ihr noch nicht im Bett?"
Die Frau hatte die Kinder eingeholt und verbeugte sich knapp vor Ash. Sie war völlig aus der Puste: ,,Sie...wollten...auf...Euch....warten."
Es schmerzte ihn ein wenig, dass niemand seine Anwesenheit wahrnahm, doch der Anblick, von einem König, der von einer Schar Kindern umgerannt wurde, etwas, das man in der Hauptstadt niemals zu Gesicht bekommen würde, machte das einigermaßen wieder gut.
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Drachenherz
Romance21 Jahre nach Drachenblut! Um ein Bündnis mit den Seeschlangen, einer Unterart der Drachen, angesiedelt an Küsten, zu besiegeln, soll Nymeris deren König heiraten, doch als er sich dagegen sträubt, macht Ash, der Seeschlangenkönig, ihm ein verlocken...