Rune stieß eine halbe Stunde später zu ihnen. Das Frühstück neigte sich schon eher dem Ende zu und Nymeris fragte sich allmählich, wann irgendjemand den Mut dazu aufbrachte, die unausgesprochene Frage in dem Raum endlich auszusprechen.
Vielleicht war aber schon alles geregelt worden und niemand wollte mehr darüber ein Wort verlieren. Damit konnte er auch leben... Mit etwas Glück, reisten die Seeschlangen noch heute ab. Selbst wenn es eine große Enttäuschung und ein Rückschlag für seine Eltern wäre, wünschte Nys sich nichts mehr, als dieses, zugegeben attraktive, Gesicht aus seinem Gedächtnis zu löschen. Es gab noch ein anderes Seeschlangenvolk im Nordwesten an den Steinküsten und sicher noch viele kleinere Stämme. Vielleicht hatten sie dort ja mehr Glück.
Nymeris saß in einem der Sessel vor der großen Fensterfront der Bibliothek und versuchte etwas über die goldene Kugel herauszufinden. Dafür hatte er sich ein paar der Bücher herausgesucht, in denen es hauptsächlich um technische Bauten und Apparate ging. Er kam sogar über die Theorie, dass ihre Welt eine Kugel sei! Wie lächerlich war das denn? Würde dann nicht alles ständig rollen und irgendwann hinunter fallen? Totaler Schwachsinn. Völlig klar, dass es sich um ein paar Drachen handelte, die diese Theorie aufstellten...Nichts gegen Nyx und seinen Vater.
Die Sonne schien angenehm warm auf seine ausgebreiteten Flügel. An manchen Tagen sehnte er sich nach nichts mehr, als auch fliegen zu können. Er beobachtete seine Brüder gerne dabei, wie sie einander jagten und durch die Luft sausten wie Pfeile, während Nymeris an den Boden gekettet worden war.
Als Kind hatte er sich eingeredet, es sei seine Strafe dafür, dass er seine Mutter beinahe umgebracht hatte. Er hatte genauso ein Opfer bringen müssen und das Schicksal hatte ihm die Fähigkeit zu fliegen geraubt. Manchmal glaubte er das noch immer.
Dieses ständige Gedankenkreisen machte ihn noch wahnsinnig. Müde fuhr sich der Wyvern übers Gesicht und verharrte in dieser Position. Warum konnte er nicht auch so unbeschwert durchs Leben treten wie seine Brüder, die sich bloß Gedanken darum machten, ob sie Ente oder Schwein zum Abendessen wollten? Alles wäre so viel einfacher.
Er sah auf, als sich die Türe öffnete und ein Gewirr aus Stimmen die Bibliothek betrat. Nymeris blieb sitzen, unauffällig und hoffte, dass man ihn schnell wieder alleine ließ. Doch spätestens, als sein Vater ihn entdeckte und sich auf die Couch gegenüber seinem Sessel setzte, wusste Nys, dass er nicht alleine gekommen war.
Interessiert griff der Drache nach einem der Bücher: ,,Ich wusste nicht, dass dich die Erfindungen der Drachen interessieren."
,,Ich interessiere mich für alles. Besonders dann, wenn ich etwas neues zum Lesen brauche. Diese Bibliothek wird langsam langweilig. Wann kommt der Bibliothekar zurück?", Nymeris klappte sein Buch zu und legte es auf den Stapel der nutzlosen Bücher.
Sein Vater schnaubte: ,,Du könntest deine Brüder unterrichten. Ein wenig mehr Wissen würde ihnen nicht schaden."
,,Einem Ochsen das Mausen beizubringen ist nutzlos.", er hatte bereits versucht, seine Brüder dazu zu bringen, sich für ein paar Bücher zu interessieren, doch das einzig Interessante waren die Erotikromane gewesen.
Nymeris empfand diese als etwas zu extrem und vor allem unrealistisch.
,,Ich nehme an, du bist nicht hier, um dir ein Buch auszuleihen.", stellte der junge Wyvern trocken fest und überschlug die Beine. Seine Flügel wurden unangenehm in den Sessel gedrückt, als er sich zurücklehnte.
Aufs Wort genau trat seine Mutter ins Licht, gefolgt von Ash.
Natürlich. Was denn auch sonst. Der andere Wyvern nahm neben seinem Vater Platz, Ash in dem übrigen Sessel. Als sein Blick auf die Bücher fiel schmunzelte er: ,,Darin wirst du keine Antworten finden, aber es freut mich, dass mein Geschenk dich zum Nachdenken bringt."
Nymeris schnaubte.
,,Also habt ihr mich verkauft.", stellte er fest und ließ den enttäuschten Unterton nicht zu kurz kommen.
,,Nein, haben wir nicht. Wir möchten lediglich, dass du dir anhörst, was Ash zu sagen hat.", die Ruhe seiner Mutter überraschte ihn nicht mehr. Es war tatsächlich zu einer unmöglichen Aufgabe geworden den Wyvern wirklich auf die Palme zu bringen. Sie drei hatten es oft sogar absichtlich versucht.
,,Ich habe gehört, was ich hören musste. Ich heirate niemanden, den ich nicht kenne."
,,Und wenn du mich kennenlernen könntest?", warf Ash dazwischen, ehe seine Mutter etwas erwidern konnte.
Die Seeschlange beugte sich vor und stützte sich mit den Ellbogen auf den Knien ab. Nymeris verzog das Gesicht. Was sollte das denn heißen?
Seine Verwirrung stand ihm wohl ins Gesicht geschrieben, weshalb der fremde König erklärte: ,,Ich möchte dir das Angebot machen, eine Zeit lang an den Küsten zu leben, als mein Verlobter. Unverbindlich und frei. Du kannst jederzeit zurück, solltest du das wollen. Während dieser Zeit, würde ein Bündnis bestehen, solltest du dich am Ende dazu entscheiden, mich doch heiraten zu wollen, wird dieses Bündnis fortbestehen. Du könntest unsere Bräuche lernen und etwas anderes sehen, als diese Stadt. Eine andere Seite es Lebens kennenlernen. Diene Familie kann dich jederzeit besuchen."
,,Und was bedeutet es, dein Verlobter zu sein?", wenn Ash die Förmlichkeiten wegließ, durfte er das genauso. Ganz sicher würde er nicht das Spielzeug der Seeschlange sein oder für dessen Befriedigung zuständig sein.
,,Es dient nur dazu, dir einen hohen Status zu verschaffen, nicht bloß den, des Höflings. Keine Pflichten, keine Erwartungen."
Nymeris erwischte sich tatsächlich dabei, sich vorzustellen, wie es sein könnte. Eine andere Stadt, andere Bräuche, andere Arten.
,,Wie lange?"
,,Sechs Monate."
Sechs Monate!? Er sah zu seinen Eltern, in der Hoffnung, Anzeichen auf eine ähnliche Reaktion zu seiner eigenen in deren Gesichtern zu sehen, doch er fand nur ausdruckslose Mienen. Noch nie hatte man ihn solange von seiner Familie getrennt.
,,Du kannst dir mein Angebot durch den Kopf gehen lassen, bis heute Abend. Wir reisen morgen vor Sonnenaufgang ab. Ich würde mich darüber freuen, wenn du uns begleiten würdest.", mit diesen Worten erhob sich die Seeschlange, neigte den Kopf vor seinen Eltern und verließ dann mit langsamen Schritten die Bibliothek.
,,Ihr verlangt von mir, dass ich ihn begleite.", keine Frage, sondern eine Feststellung. Dieses Angebot würde ihn bloß sechs lächerliche Monate, seines beinahe unsterblichen Wyvernlebens kosten. Nichts, im Vergleich zur Ewigkeit.
,,Wir verlangen, dass du darüber nachdenkst, Nys. Es kostet dich nichts, es zu versuchen. Überleg doch mal: Du könntest neue Erfahrungen sammeln, neues Wissen und Fähigkeiten erlernen. Die Seeschlangen verfügen über die besten Heiler, die es in diesem Land gibt. Vielleicht kann einer deine Flügel behandeln.", seine Mutter beugte sich über den kleinen Tisch und griff nach seiner Hand.
,,Es ist an der Zeit, dass du dein Nest verlässt. Ich sehe es dir doch an, wie sehr du dich hier am Hof langweilst. Du kannst nicht mit deinen Brüdern trainieren oder Fliegen oder sonst etwas. Du sitzt den ganzen Tag hier drinnen und kennst jedes Buch sicher schon auswendig. Ich will dir nicht dabei zusehen, wie du dein Leben vergeudest."
,,Und wenn ich nach diesen sechs Monaten trotzdem nachhause möchte? Dann hat sich jeder schon Hoffnungen gemacht, dass dieses Bündnis geschlossen wird und ich zertrete sie mit den Füßen.", Nymeris kannte den Grund für seine Angst und Verzweiflung nur zu gut. Er fürchtete sich davor, die Erwartungen die seine Eltern in ihn setzten, nicht erfüllen zu können. Jeden seiner Familie zu enttäuschen, obwohl man doch nur eine Sache von ihm verlangte.
,,Dieses Bündnis ist keinem von uns wichtiger, als du. Niemand wird dich dazu zwingen den König zu heiraten, wenn du das nicht möchtest. Denk in Ruhe über alles nach. Niemand ist dir böse, wenn du dich dazu entscheidest hier zu bleiben."
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Drachenherz
Romance21 Jahre nach Drachenblut! Um ein Bündnis mit den Seeschlangen, einer Unterart der Drachen, angesiedelt an Küsten, zu besiegeln, soll Nymeris deren König heiraten, doch als er sich dagegen sträubt, macht Ash, der Seeschlangenkönig, ihm ein verlocken...