Nachhause zurückzukehren fühlte sich immer etwas eigenartig an. Die Küstenstadt erhob sich imposant am Horizont vor ihnen. Die Lichter des Hafens leuchteten ihnen den Weg und Ash steuerte direkt auf einen Steg zu. Den längsten, an welchem das Wasser am tiefsten war. Schon von weitem erkannte er, dass man den Hafen für seine Rückkehr geschmückt hatte. Am meisten aber stach der Kristallpalast hervor. Wie ein Berg ragte er aus dem Boden hervor und stellte alles andere in den Schatten.
Die Luft war erdrückend schwül und feucht. Vermutlich würden die ersten Tage hier für Nymeris der Hölle ähneln. Der Schneider musste sich also ordentlich ins zeug legen, dass der Wyvern schnell die richtige Kleidung dafür hatte.
Sheirens Blick lag auf die Hafenstadt gerichtet, sehnsüchtig und zufrieden. Obwohl sie schon seit guten zweihundert Jahren zu seiner Mannschaft gehörte und diese Schiffsfahrten ihre Leidenschaft waren, gab es dennoch eine Sache, die sie mehr liebte als das.
Als sie in den Hafen einliefen und an kleinen Stegen und dem Fischmarkt vorbei schwammen, sammelten sich kleine Mengen an Seeschlangen an um ihnen zuzuwinken. Würden sie Nys auch so empfangen, wie ihn? Ash konnte seinem Volk nicht befehlen, den Wyvern zu akzeptieren, das würde nicht gut enden. Nymeris musste sich das Ansehen und Vertrauens seines Volkes selbst verdienen und erarbeiten.
Sie würden seine Entscheidung respektieren, sollte es zu einer Heirat kommen, aber nicht Nymeris. Nicht einfach so.
Die Leibgarde des jungen Prinzen stand neben ihm, taxierte jede einzelne Seeschlange an den Stegen und im Wasser. Sie nahmen ihre Aufgabe wohl sehr ernst, was auch verständlich war, wenn man bedachte, dass ihr Prinz ein feindliches Gebiet betrat. Ash selbst würde genauso dafür sorgen, dass niemand es auch nur annähernd in Betracht zog, dem Wyvern ein Härchen zu krümmen.
Der Nachmittag war ohne Nys' Präsenz nur schleichend vorüber gezogen. So nah wie letzte Nacht war er dem Prinzen bisher noch nie gewesen. Das viel zu kleine Bett und die Bettdecke, die sie sich teilen mussten hatten dafür gesorgt, dass es nicht anders ging. Doch der Wyvern hatte seine Kabine den ganzen Tag nicht verlassen. Nicht eine einzige Sekunde, weshalb Ash es auch nicht für angebracht hielt, diese Ruhe zu unterbrechen. Sein Angebot war klar und deutlich gewesen.
Auch wenn es nicht gerade bequem gewesen war, natürlich war er geblieben, wenn Nymeris ihn darum bat. Was auch immer den jungen Wyvern derartig in Angst versetzt hatte, scheinbar war es nicht das erste Mal, dass so etwas passierte. Auch wenn diese Sache mit den Träumen bisher zumindest Sinn ergeben hatte, war Ash sich nicht ganz sicher, weshalb sich diese ruhigen Träume plötzlich in einen Albtraum verwandelt hatten.
Die Seeschlange richtete seine Aufmerksamkeit wieder den Docks vor ihm. Jetzt einen Steg umzufahren war keine so gute Idee und auch überaus peinlich.
,,Sagt eurem Prinzen, dass wir in wenigen Minuten ankommen. Es wäre gut, wenn er sich zeigen würde.", die Seeschlangen sollten sehen, dass er sich nicht vor ihnen versteckte oder sie für unwürdig hielt, sich ihnen zu zeigen. Die Gemüter seiner Art waren sehr...fragil.
Eine der Wache nickte und machte sich mit schnellen Schritten davon. Als die Laternen der Anlegestelle in Sicht kamen, mitsamt den dort versammelten Seeschlangen, verspürte er so etwas wie Stolz. Sie wussten, dass er einen Drachen oder Wyvern mitbringen würde, wussten, dass er seine Art eigentlich damit verriet, den Geflügelten sein vertrauen zu schenken, doch sie standen trotzdem alle hinter ihm und respektierten ihn seine Entscheidungen. Sie vertrauten ihm blind. Unter der Menge entdeckte er auch Kinder, die ihre kleinen Köpfe hervor streckten und sich auf die Zehenspitzen stellten, um etwas sehen zu können.
Wenn er sich nicht irrte, entlockte das Verhalten der Kleinen den Wachen neben ihm sogar ein Lächeln.
Es war, als würde ein Stern aufleuchten, als Nymeris auf das Hauptdeck hinaus trat und sich elegant zwischen der Mannschaft hindurch schlängelte, um an die Reling zu gelangen. Auf seinem Haupt schimmerte eine Krone aus Silber, welche dieselbe Eleganz ausstrahlte wie der junge Wyvern. Sein weißes Haar leuchtete förmlich, genauso wie der Rest von ihm. Die porzellanartige Haut, seine silbrigen Augen und ganz besonders das Weiß in seinen zweifarbigen Flügeln. Er trug ähnliche Kleidung wie im Thronsaal. Passend zu dem Stil der Wyvern. Die helle Hose reichte fast bis zu seiner Taille, verziert mit zwei Reihen Knöpfen aus Silber und ging dann in ein dunkelblaues Korsett über, verziert mit blumenartigen Stickereien aus silbernen Garn. Darunter ein weißes Hemd. Es war ihm ein Rätsel, wie die Geflügelten es schafften, ihre extravagante Kleidung auch noch so zu konstruieren, dass ihr Rücken frei blieb.
Die Farben seiner Kleidung waren perfekt auf seine Flügel abgestimmt. Bis auf eine einzige Sache, auf die Ash nur einen kurzen Blick erhaschte. Für den Bruchteil einer Sekunde blitzte etwas orangefarbenes an dem Wyvern auf. Vermutlich dessen Halskette.
Auch ohne es zu hören, wusste er mit Sicherheit, dass die Aufmerksamkeit und das Flüstern der Seeschlangenmenge an den Stegen nicht mehr ihm, sondern Nymeris galt.
Wie auch für ihn, als er den Thronsaal betreten hatte, musste er erste Anblick des Wyvern unheimlich und schön zugleich sein. Wie ein Stern, strahlte Nys Schönheit und Kälte zugleich aus. Jede Bewegung, jede Geste, jeder verdammte Atemzug war so voller Anmut und Eleganz, dass niemand es auch nur versuchen würde zu leugnen, dass Nymeris königliches Blut besaß. Er war durch und durch ein Prinz. Ein König, wenn er wollte. Ein Gott, wenn er es richtig anstellte.
Ein Wort von ihm und Ash würde liebend gerne vor diesem Wyvern knien. Was würde er alles für eine einzige Berührung geben? Er hatte Nys bereits berührt, mehrmals, aber nie so direkt wie letzte Nacht. Er war Nymeris so nahe gewesen...Alleine bei diesem Gedanken regte sich etwas in seinen unteren Regionen.
,,Komm runter, sonst wird es niemand wagen, auch nur einen Blick auf deinen Prinzen zu werfen.", Ren legte eine Hand auf seine Schulter und löste ihn ab, wie es abgemacht worden war. Kurz bevor sie in den Hafen einliefen, sollte er zu dem Wyvern gehen, damit sie zusammen gesehen wurden.
Ash atmete tief durch und versuchte so sein rasendes Herz zu beruhigen. Er hoffte inständig, dass Nys die Gerüche von Erregung und Lust im Gegensatz zu ihm nicht deuten konnte. So ersparte er sich einige peinliche Momente. Es reichte schon, dass alle anderen um ihn herum davon Wind bekamen, wie sehr Nymeris ihn um den Verstand brachte. Er hatte so lange auf diesen Moment gewartet. Ein Stern, der nicht am Himmel geleuchtet hatte. Sein Stern.
,,Du siehst bezaubernd aus.", und wie bezaubernd er aus der Nähe aussah. Erst jetzt sah er die Opalohrringe, perfekt in Stimmung mit der Krone und die Halskette, an der tatsächlich ein Feueropal hing.
Ash erlaubte es sich, den Anhänger in die Hand zu nehmen. Seine Fingerspitzen prickelten an den Stellen, die Nymeris' Schlüsselbein berührten und er spürte den unsicheren Blick des Wyvern auf ihm ruhend. Er war nervös. Schrecklich nervös sogar.
,,Ein teures und überaus seltenes Schmuckstück. Woher hast du es?"
Er wandte sich von dem Juwel ab und hob den Kopf. Für einen kurzen Moment trafen sich ihre Blicke. Wie meistens lag eine ausdruckslose Miene auf dem Gesicht des Wyvern, trotz dessen Nervosität.
Bei den Göttern, wie gerne hätte er dabei zugesehen, wie Nys sich selbst befriedigte, nur um zu sehen, wie diese ausdruckslose Miene langsam in sich zerfiel und echte Gefühle dahinter hervortraten?
Nymeris schluckte, als wäre seine Kehle völlig ausgetrocknet, ehe er leise und zittrig sagte: ,,Sie war ein Geschenk."
Ash nickte und legte den Anhänger vorsichtig zurück auf das Schlüssel des jungen Prinzen. Ein seltsames Gefühl breitete sich in ihm aus, als sie so nahe beieinander dastanden. Beinahe so, als hätte sich etwas zwischen ihnen verändert.
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Drachenherz
Romance21 Jahre nach Drachenblut! Um ein Bündnis mit den Seeschlangen, einer Unterart der Drachen, angesiedelt an Küsten, zu besiegeln, soll Nymeris deren König heiraten, doch als er sich dagegen sträubt, macht Ash, der Seeschlangenkönig, ihm ein verlocken...