Zufall

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Ash hatte das Abendessen extra in das große Gewächshaus bringen lassen. Nymeris lief neben ihm her, mit leuchtenden Augen und geöffneten Lippen, staunend über alles was an ihnen vorbeizog. Bei jeder kleinen Aufregung, zuckten seine Flügel und manchmal, wenn er ganz besonders entzückt, oder schockiert war, wie bei dem Springer, der sich ihnen in den Weg stellte und wie wild auf sie zu sprang, streckte er die Schwingen von sich. Vielleicht sollte er sich doch die Mühe machen, sich über die Flügelgestik der Drachen zu informieren. Immerhin erschien ihm das, als eine sehr kluge Entscheidung, die Gefühle der Geflügelten auch deuten zu können, ohne es von ihren Gesichtern ablesen zu müssen.

,,Darum nennt man sie also Springer.", murmelte Nys leise und nachdenklich und rieb sich dabei jenen Finger, der an den Biss des Geckos hatte glauben müssen.

Der Weg zu ihrem Ziel war stehts geschmückt mit den schönsten Blumen, die dort gezüchtet wurden. Die pinken Blumen hatten jedoch bereits ihre Köpfe eingezogen und schliefen. Eine Enttäuschung, wie er in Nys Augen erkannte.
Der Wyvern sagte zwar nicht viel, doch der Ausdruck auf seinem Gesicht, sprach mehr als dessen Lippen überhaupt sagen könnten. Ash spürte einen gewissen Stolz, dass Nymeris seine Heimat so bestaunte. Er fühlte sich, als würde er jemanden durch das Paradies führen. Mitten zwischen Palmen, Sträuchern und Glühwürmchen stand ein runder Tisch aus zu kreisförmigen Schnörkeln geformten Eisenstäben. Er war bereits gedeckt und die kleinen Laternen, die im ganzen Gewächshaus verteilt waren, spendeten ein angenehmes Licht, sodass sich auch die kleinsten Bewohner dieses Gartens heraus trauten.

Nymeris geisterte durch das Gewächshaus, leise und vorsichtig, als könnte etwas auf ihn lauern. Ash beobachtete ihn wortlos. Es war noch immer schwer zu glauben, dass seine Suche endlich ein Ende gefunden hatte, aber hier vor ihm stand tatsächlich das, wonach er die letzten Jahrhunderte gesucht hatte: Seinen Gefährten. Die Person, mit der er eine Verbindung teilte. Ein fehlender Teil von ihm, den das Schicksal erwählt hatte. Es war höchst selten, dass man diesem Teil tatsächlich jemals begegnete. Gerade deshalb hatte er sich auf die Suche danach gemacht. 

Den Wyvern jetzt hier vor sich zu haben, nur wenige Schritte entfernt, war als hätte er nach einer unendlich lang andauernden Odyssee endlich seine Heimat gefunden. Diese Tatsache machte die kleinen Zuneigungen umso süßer und es fiel ihm leichter die Abweisungen zu verkraften. Ash setzte sich auf einen der beiden Stühle und wartete geduldig darauf, dass Nys seine Erkundungstour abgeschlossen hatte. Es musste einen unglaublichen Anblick anbieten, so viele bunte Pflanzen und exotische Tiere auf einmal zu sehen, nachdem man sein ganzes Leben lang in der kahlen Kontinentmitte verbrachte hatte. 

,,Wenn du willst, zeige ich dir morgen die Obstgärten. Dort werden vor allem Pfirsiche angebaut und Zitronen.", es war ihm keineswegs entgangen, wie gerne Nymeris diese Früchte mochte. Glücklicherweise gediehen diese hier an den Küsten am besten. 

Der Blick des Wyvern schnellte hoch und traf auf seinen. Das silbrige Augenpaar leuchtete auf wie zwei Sterne, als Nys eifrig nickte. 

,,Was werde ich hier die nächsten Tage tun? Immerhin sind wir ja verlobt und du sagtest, wir sollten gemeinsam gesehen werden.", Nymeris musterte ihn fragend, während er sich auf den freien Stuhl setzte und sich schließlich dem gedeckten Tisch zuwandte. 

,,Als erstes solltest du dich an die Hitze gewöhnen. Das wird ein paar Tage dauern, bis dein Körper sich akklimatisiert hat. Solange solltest du die Sonne vielleicht eher meiden. Gerade wenn man an deine Reaktion auf dem Schiff zurück denkt.", Ashs Finger legten sich um das Kristallglas und führte es an seine Lippen. Tatsächlich stimmte Nys ihm zu und nickte leicht, während seine Augen über die Speisen flogen. 

Er hatte seine Heimat tatsächlich bereits vermisst. Es war seltsam nirgends das Blau des Meeres zu sehen und die raue Luft des Festlandes zu spüren. Gerade deshalb hatte er auch eigentlich erwartet, dass die Flügel der Drachen eher robust und stabil waren, ganz anders, als sich die Flügel des Prinzen ihm gegenüber anfühlten. Sie fühlten sich an wie Blütenblätter. Zart und weich, es erschien ihm unmöglich, dass diese dünne Membran dazu in der Lage war, einen Drachen zu tragen. 



Nymeris:


Es fiel ihm schwer diese Nacht Ruhe zu finden. Obwohl es komplett still war und bloß ein paar fahle Mondstrahlen durch den Spalt zwischen den Vorhängen in das Schlafzimmer schienen, war es unmöglich zu schlafen. Zum Einen, weil Nymeris sich vor weiteren Albträumen fürchtete und zum Anderen weil seine Gedanken ständig zu einer gewissen Seeschlange wanderten. Ash hatte ihn nach dem Abendessen noch ein wenig herumgeführt. Der Palast war wunderschön und riesengroß. Größer, als Nys es sich überhaupt vorgestellt hatte und noch viel komplizierter gebaut. Es gab unterirdische Gänge, durch die man direkt zum Meer gelangte, was den Seeschlangen wohl sehr wichtig war. Irgendwie gehörte es ja zu ihrer Art zu leben, ständig im Wasser oder in dessen Nähe zu sein. 

Frustriert atmete der Wyvern aus und drehte sich auf den Bauch um seine Flügel ausstrecken zu können. Obwohl er bloß Ashs Hemd trug, schwitzte er unter der Bettdecke wie seine Brüder in der Sommerhitze wenn sie trainierten. Wenn das so weiterging würde er wohl stündlich ein Bad nehmen müssen...oder schwimmen lernen.

Ash hatte gesagt, dass er morgen nach dem Frühstück wohl sehr beschäftigt sein würde und sie sich erst wieder bei einem gemeinsamen Abendessen sehen würden, was Nymeris dann wohl Zeit verschaffte, in der Bibliothek lesen zu können. Er war bereits auf das Ausmaß gespannt und vor allem wie groß diese Bibliotheken nun wirklich waren. 

Je mehr er über all diese Dinge nachdachte, umso größer wurde seine Aufregung. Besonders, als seine Gedanken wieder zu dem Sommerfest wanderten, von dem die Seeschlange gesprochen hatte. Wenn dieses Fest wirklich über mehrere Tage hinweg stattfand, bestand tatsächlich die Möglichkeit, dass sein Geburtstag genau in diesen Zeitraum hinein fiel und seine Brüder auch mit ihnen dieses Fest feiern konnten. 

Er sollte Ash nach dem genauen Zeitraum fragen...

Als er den Kopf zur Seite drehte, fiel sein Blick auf die goldene Kugel. Augenblicklich sah er die Schlange vor sich, mit einem selbstgefälligen Grinsen im Gesicht, als er ihm diesen einen Gefallen entlockt hatte. Nys schnaubte und vergrub den Kopf in dem weichen Stoff des Kissens. Wie kam es, dass Ash die ganze Zeit über seine Gedanken herrschte? Ständig dachte er an diesen Mann! Noch schlimmer war das, was er mit diesen Gedankengängen bereits angestellt hatte. 

Augenblicklich spürte Nys die Hitze, die seine Wangen hochstieg. Schrecklich. Er mutierte bereits zu seinen Brüdern. Irgendwie hoffte er, dass es der Seeschlange genauso ging. Auch wenn das vermutlich eher nicht der Fall war, beruhigte ihn dieser Gedanke ein wenig. 

Konnte man es ihm denn verübeln, dass ihn die Gegenwart eines attraktiven Mannes ständig in Verlegenheit brachte? Immerhin war er noch nie auf sich allein gestellt gewesen, erst recht nicht unter fremden, und schon gar nicht mit seinem Verlobten. Es war seltsam niemanden zu haben, dem er seine Sorgen und Wünsche mitteilen konnte, nicht dass er mit seinen Brüdern darüber gesprochen hätte. Das wünschte er sich schon lange: Einen Freund der ihm ein offenes Ohr schenkte, mit dem er über Bücher sprechen konnte und über Schwärmereien. An den Gesprächen zwischen Nyx und seinen Brüdern konnte er nicht wirklich teilnehmen, da er sich nicht für Kampftechniken, Waffen oder die Mädchen am Hof interessierte. 

Ein Teil von ihm wünschte sich tatsächlich, dass Ash dieser Jemand sein konnte. 

Zwar kam er sich furchtbar lächerlich bei diesem Gedanken vor, allem voran weil er die Seeschlange erst seit ein paar Tagen kannte, und doch das Gefühl hatte, als kannten sie sich schon länger, als wäre ihre Begegnung kein Zufall gewesen. 



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