Albträume

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Ash konnte nicht schlafen. 

Er lag wach in seinem Bett und spürte Nymeris' Unruhe, als wäre es seine eigene. Vermutlich hatte der Wyvern einen Albtraum, denn als er vor etwa einer Stunde bei ihm gewesen war, als er eine seltsame Angst verspürt hatte, da hatte Nys geschlafen. Nicht ruhig und friedlich, aber er hatte geschlafen. 

Sein Blick wanderte zu dem Roman. Er wusste natürlich, dass Nymeris ihn bloß hatte ärgern wollen, so wie Ash es getan hatte, doch die Vorstellung davon, diese Sachen mit dem Wyvern anzustellen hatte eine gewisse Reize. Warum musste das Ganze denn nur so kompliziert sein? Er war ein wenig überrascht gewesen, als Nemesis und Serafyn es ihm gestattet hatten, ihren Sohn mit dessen Einwilligung mitzunehmen. Noch mehr überrascht hatte es ihn, als die beiden sogar auf seiner Seite gewesen waren. Sie hatten ihn verstanden und zugestimmt, dass er versuchen durfte, Nymeris davon zu überzeugen, mit ihm zu kommen. 

Er atmete tief durch. Schon morgen Abend erreichten sie die Küsten und so schnell würde er kein Schiff mehr betreten können. Seine Pflichten riefen schon viel zu lange nach ihm, als dass er sich jetzt wieder dagegen sträuben konnte und davon abgesehen, hatte er einen kleinen Prinzen, dessen Gunst er gewinnen musste. Ash wollte gar nicht erst daran denken, wie sehr es ihn verletzen würde, sollte Nymeris wieder zurück in die Hauptstadt wollen. All die Jahre, in denen er den Sternen bis ans Ende der Welt gefolgt war, voller Hoffnung und Enttäuschungen, während das, wonach er gesucht hatte schon immer so nahe gewesen war. Hätte er doch wirklich einfach seine Horizonte erweitert und hätte darauf gehört, was das Orakel ihm erzählt hatte...

All das wäre sowieso hinfällig, wenn Nys wieder nachhause wollte. 

Ashs Brust zog sich bei diesen Gedanken zusammen. Er hatte Nymeris gesehen und gewusst, dass seine Suche vorbei war. Er hatte den Stern gefunden, von dem er so viele Male gedacht hatte, es wäre hoffnungslos überhaupt danach zu suchen. Ein bitteres Lächeln umspielte seine Lippen. Er konnte die alte Seeschlange förmlich hören, wie sie ihn auslachte, weil er sich dreihundert Jahre lang auf die Sterne am Himmel konzentriert hatte, anstatt auf das zu hören, was sie ihm von Anfang an gesagt hatte: ,,Nicht alle Sterne leuchten am Himmel und nicht alle spiegeln sich im Meer. Der Horizont ist mehr, als nur Wasser und Sand."

Ewig war er überzeugt davon gewesen, dass er nach einer Seeschlange suchte...

Aber sie hatte bereits gewusst, dass er lange suchen würde. Zu dem Zeitpunkt, als er das Orakel aufgesucht hatte, waren noch nicht einmal Nymeris' Großeltern auf dieser Welt gewandelt.

Wieder schnürte sich seine Brust zu, doch dieses Mal war es anders. Schmerzhaft, so als würde er nicht richtig atmen können. Verwirrt richtete sich die Seeschlange auf und fasste sich an die Brust. Ash holte einige Male tief Luft, doch das Gefühl verschwand nicht. Ohne weiter darüber nachzudenken, schwang er die Beine über den Bettrand und verließ mit schnellen Schritten seine Kabine. 

Sheiren warf ihm einen fragenden Blick zu, als er nur in der Stoffhose bekleidet über das Deck eilte, sagte jedoch nichts. Sie wusste es besser, als eine blöde Bemerkung im falschen Moment von sich zu geben. Das Gleiche galt für die Crew. Sie alle warfen ihm zwar teils verstohlene, teils amüsierte Blicke zu, doch den Mund machte keiner auf. 

Nymeris' Kabine war direkt unter seiner eigenen. Er brauchte nicht lange, um dort zu sein. Hoffentlich machte er sich hier nicht zum Affen, weil er paranoid geworden war oder etwas ähnliches. Leise spähte er in den dunklen Raum hinein. Die Fensterläden standen weit offen und die Vorhänge wehten im Wind wie zwei Fahnen. 

Der Wyvern schlief zusammengerollt auf dem Bett, die Decke halb auf dem Boden. Misstrauisch trat Ash um das Bett herum. Nur eine einzige Kleinigkeit bewies, dass sein Gefühl richtig gelegen hatte: Nys' Flügel. Sie lagen eng an seinem Körper an und waren bis in die Spitzen angespannt. Vorsichtig strich er mit den Fingerspitzen über die dünne Membran, die sich seltsam zart unter seiner Haut anfühlte. 

Erst beim zweiten mal Hinsehen, erkannte er  Nymeris' Nachthemd, als jenes Hemd, dass die Seeschlange freiwillig geopfert hatte, damit der Wyvern nicht wieder überhitzte. Der Rückenausschnitt des Stoffes war so verrutscht, dass ein Ärmel in Nys' Armbeuge gerutscht war und seine Schulter mitsamt einem großzügigen Teil seines Oberkörpers preisgab. 

Die blasse Haut leuchtete förmlich im fahlen Mondlicht und Ash widerstand dem Drang sie zu berühren nur sehr schwer.

Selbst der Gesichtsausdruck des jungen Prinzen war angespannt.

,,Nymeris..?", entweder er würde ihm sehr dankbar sein, oder richtig sauer, weil die Seeschlange seinen Schlaf gestört hatte. 

Einige Sekunden verstrichen, in denen nichts passierte, weshalb er seine Hand ausstreckte und den Wyvern leicht schüttelte. Erst jetzt, als er seinen Blick genauer über den schlanken Körper schweifen ließ, bemerkte er die unregelmäßig schnellen Atemzüge des Prinzen. 

,,Nymeris!", versuchte er es ein weiteres Mal, lauter und mit mehr Nachdruck. Er griff etwas fester zu und rüttelte den Wyvern solange, bis Nys endlich aufwachte und dessen Oberkörper sich ruckartig aufrichtete.

Das wievielte Mal war er nun schon ertrunken und wieder aufgewacht? Jedes Mal wenn er die Oberfläche beinahe erreichte, wurde er wieder in die Tiefe gezogen und musste sich aufs Neue nach oben kämpfen. Immer und immer wieder schlossen sich eisige Klauen um ihn und er wurde von der Dunkelheit verschlungen. Nymeris' Lungen brannten, als hätte er Feuer geschluckt, dass nicht sein eigenes war, als breitete es sich in jeder Faser seines Körpers aus und versengte ihn von innen heraus. Doch es wärmte nicht. Stattdessen fuhr eine markerschütternde Kälte durch ihn und machte es ihm schwer, sich zu bewegen. Mit den Füßen zu strampeln und mit den Armen zu rudern wie ein panisches Kind. Warum versuchte der Wyvern denn überhaupt noch sich zu retten? 

Ein Teil von ihm hoffte, das Ash unter ihm auftauchen würde und ihn aus diesem Kreislauf befreite.

Jedes Mal wenn er daran dachte, aufzugeben, ging es wieder von vorne los. Er wachte auf dem Grund des Meeres auf, nichts als Dunkelheit um ihn herum und er bewegte sich von selbst. Sein Körper gehorchte nicht ihm, sondern jenem, der ihm diesen Traum geschickt hatte. Der ihn in dieses endlose Gefängnis des Ertrinkens gesperrt hatte. 

Nur noch wenige Meter und er würde die Wasseroberfläche durchbrechen, zumindest dann, wenn er nicht wieder in die Tiefe gezogen wurde. Der verschwommene Umriss des Mondes tauchte glitzernd über ihm auf, schenkte ihm ein wenig Licht um Hoffnung zu wecken. Doch das Licht hatte eine seltsame Farbe, nicht das typische weiß sondern...orange? Der Himmel war dunkel, die Sonne schien ganz bestimmt nicht. Das Licht leuchtete in derselben Farbe wie der Feueropal in seiner Schatulle...

Wie durch einen dichten Nebel vernahm er seltsame Geräusche, die ihn auf dieselbe Art und Weise umgaben, wie das eisige Wasser. Je näher er der Oberfläche kam, umso lauter und deutlicher wurden sie. Sein Name. Jemand rief nach ihm. 

Nur noch ein kleines Stück, seine Finger spürten bereits die kalte Nachtluft, doch gerade, als sein Kopf die Oberfläche durchstieß, schlangen sich die eisigen Klauen wieder um ihn und zogen ihn nach unten. 

Ober hätten es zumindest getan, wenn ihn nicht eine Hand am Kragen gepackt und aus dem Wasser heraus gezogen hätte.

Nymeris schnappte panisch nach Luft. Seine Kehle war wie zugeschnürt und seine Lungen weigerten sich, die Atemluft hinein zu lassen. War das wieder ein Traum? Das nächste Kapitel? 

,,Nymeris du musst atmen!", er spürte Hände auf seinem Gesicht, seiner zugeschnürten Kehle. Vor ihm tauchte wieder diese orangefarbene Scheibe auf, zwei davon, hell leuchtend und Nys erinnerte sich daran, zu wem diese Farbe gehörte. Sein rasender Herzschlag beruhigte sich ein wenig. Er streckte seine Hand nach dem Schimmer aus und erschrak beinahe, als er dabei nicht ins Leere griff, sondern etwas warmes unter seinen Fingerspitzen fühlte. 

,,...danke."



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