Mut

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,,Was ist deine Lieblingsfarbe?", fragte Nymeris, während er gespannt dabei zusah, wie Ash geschickt eine Mango so schnitt, dass kleine Würfel entstanden und die Schale eine kleine Schüssel bildete. Die Seeschlange wippte mit dem Kopf vor und zurück. Es ging nun schon eine ganze Weile so vor und zurück mit den Fragen. Sie waren einfach und nicht allzu persönlich.

,,Ich würde sagen blau. Was ist deine Lieblingsfrucht?", Ash nahm ein kleines Stück Mango zwischen die Finger und hielt es ihm hin. Abwartend sah er ihn an. Nymeris spürte, wie er errötete. Warum reagierte sein Körper jedes Mal so eigenartig auf die Schlange?

,,Aber beiß' mir nicht in den Finger.", ein Schmunzeln umspielte die Lippen seines Verlobten, ehrlich belustigt, doch in den leuchtenden Augen erkannte der Wyvern noch etwas anderes aufblitzen, bloß vermochte er nicht zu deuten was es war. Er versuchte den anderen nicht anzusehen, als er die Lippen um die Frucht legte und unbeabsichtigt dabei auch den Finger miteinschloss.

Die Mango war weich und herrlich süß, jedoch nicht zu intensiv im Geschmack. Er hatte noch nie etwas vergleichbares gegessen.

,,Ich weiß es nicht, ich hab doch noch gar nicht alles probiert. Du hast mal erwähnt, deine Reisen waren verbunden mit der Suche nach etwas. Wonach hast du gesucht?", er stellte sich diese Frage schon länger. Hatte er es denn gefunden? Oder würde er weiter danach suchen, auch wenn sie verlobt waren?

Ash schwieg einen Moment, nicht so als würde er nachdenken, sondern als würde er zögern.

,,Ich habe nach einem Stern gesucht von dem ich Geschichten gehört habe.", war schließlich die einfache Antwort, deren Ton klar machte, dass keine weiteren Fragen mehr erwünscht waren. Nymeris respektierte das und schnappte sich stattdessen noch eine Mango aus Ashs Händen.

,,Warum wolltest du mich küssen?", der Blick der Seeschlange ruhte nun direkt auf ihm. Er spürte die glühenden Augen auf ihm und irgendwie auch in ihm. Als würden sie in die Tiefen seiner Selbst sehen. Als wären sie dazu in der Lage seine Seele und alles was ihn ausmachte zu erblicken. Als würden sie erkennen, dass er mehr war, als diese Hülle.

Ash sah ihn an, wie das kostbarste Juwel, das es in dieser Welt zu finden gab. Als hätte er all diese Jahre nach ihm gesucht und nicht nach diesem Stern. War sein Verlangen nach Akzeptanz und Würde so groß, dass er nun schon in Träumereien versank? Aber dieser fremde König hatte ihn erwählt, ohne überhaupt zu wissen, was hinter seiner Fassade steckte. Vielleicht, nur vielleicht, dachte die Seeschlange von ihm, dass er dieser Position würdig war.

Er zuckte zusammen, die Berührung so plötzlich und unerwartet, als Ashs Fingerspitzen sein Schlüsselbein streiften und ihren Weg seinen Hals hinauf fanden. Überall dort, wo sie ihn berührten kribbelte seine Haut, knisterte regelrecht. Hitze stieg in ihm auf, breitete sich in ihm aus und erfüllte ihn. Sie war anders, als die Wärme die sich in seinen Lungen ausbreitete, wenn er kurz davor war Feuer zu spucken. Sie war....warm. Angenehm, nicht aggressiv. Nys hatte bereits vergessen, welche Frage man ihm überhaupt gestellt hatte. Sein Kopf war leer gefegt von den zarten Berührungen, nach denen er sich sein ganzes Leben gesehnt zu haben  schien. Sein Körper vibrierte und Nymeris spürte seinen eigenen Herzschlag bis in den Hals hinauf. Er fühlte sich, als würde er gleich explodieren.

Nymeris krallte sich in den Stoff der Couch. So fest, dass seine Finger weiß hervortraten, als die Seeschlange sich zu ihm hinunter beugte, ihre Nasenspitzen sich berührten und ein Paar Hände sein Gesicht festhielten, sanft und vorsichtig. Er konnte sich jederzeit losreißen, oder zurückschrecken. Niemand zwang ihn, an Ort und Stelle zu bleiben. Er wollte es so sehr. Es war, als würde er in ein Meer aus Flammen starren. Als stünde er direkt darin, die Hitze kroch seine Wirbelsäule hoch, über seine Schultern und in seine Fingerspitzen, sodass er befürchtete, das Sofa könnte in Flammen aufgehen, wenn er den Stoff nicht losließ.

Der warme Atem des anderen kitzelte auf seinem Gesicht. Sie waren sich so nahe, wie noch nie zuvor. Nys Brustkorb hob und senkte sich in einem schnellen, unregelmäßigem Tempo, so schnell, dass er bereits befürchtete jeden Moment in Ohnmacht zu fallen. Er wünschte sich nichts mehr, als eine unsichtbare Kraft, die ihm einen Ruck gab, sodass er diesen winzigen Abstand zwischen ihnen überwand und endlich diesem tiefsitzenden Verlangen nachzugeben. Sein Körper sehnte sich nach etwas, das ihm so verboten und dennoch verführerisch vorkam. Warum reagierte er jedes Mal so aus die Seeschlange? Sie kannten sich doch kaum und trotzdem schlug sein Herz jedes Mal ein wenig schneller, wenn ihre Blicke sich trafen und ihre Hände sich für den Hauch einer Sekunde berührten. War dieses Verlangen normal? Sollte er sich dafür schämen? Nicht jetzt, in diesem Moment, wo er sich fühlte, als könnte Ash durch seine Augen hindurch in seine Seele blicken.

Nymeris merkte, wie seine Lippen sich öffneten, doch er brachte keinen Ton hervor. Er atmete zitternd durch, Sekunden verstrichen wie Minuten, während sie beide darauf warteten, dass der andere es nun endlich wagte näher zu kommen. Wollte er das denn überhaupt wirklich, oder verspürte er im Moment einfach nur das Verlangen eines jungen Mannes? Egal was es nun war, es fühlte sich richtig an. Es fühlte sich gut an, etwas oder jemanden zu begehren, so viel hatte er bisher herausgefunden. Es erfüllte ihn mit Motivation, mit Freude. Jedes Mal, wenn er Ash auch nur ansah, erfüllte es sein Herz mit Wärme und...manchmal war da auch noch ein anderes, undefinierbares Gefühl, das ihn zur Seeschlange hinzog.

Seine Mutter hatte ihm immer geraten, eher auf sein Herz zu hören, als auf seinen Verstand. In diesem Moment schlug sein Herz wie wild, wünschte sich nichts mehr, als diesen winzigen Abstand zu überwinden und sich in den Armen dieses Königs zu verlieren. Nymeris atmete tief ein und schloss die Augen. In Gedanken zählte er die Sekunden, die verstrichen während nichts passierte, während er versuchte, seinen Mut zu finden und die Blockade, errichtet von seinem Verstand, zu durchdringen. Er wollte Ash küssen. Er wollte diesen besonderen Moment der Seeschlange widmen. Nymeris war bereit seinen ersten Kuss diesem Mann zu schenken. Er vertraute darauf, dass dieser sich dem Ausmaß dieses Geschenkes bewusst war.

Er spürte, irgendwo tief in seinem Inneren, dass Ash es auch wollte. Dass er dasselbe Verlangen danach verspürte, wie er selbst. 

Jetzt, wo er der Seeschlange so nahe war, noch näher als je zuvor, spürte er ein seltsames Ziehen in seiner Brust. Nicht unangenehm, oder schmerzhaft, sondern als würde ihn eine unsichtbare Kraft in Richtung Ash ziehen. Es war, als käme es aus seinem Herzen, oder aus seiner Seele, etwas, dass ihn anflehte, dem nachzugeben. 

Nys versuchte seinen Kopf leer zu kriegen. Nicht alle möglichen Szenarien durchzugehen, was passieren konnte, wenn er sich jetzt etwas weiter nach vorne beugte. Er wollte sich nicht ausmalen, wie peinlich es ihm sein würde, wie Ash reagieren würde. Wie er selbst reagieren würde und was für Folgen ein Kuss haben könnte. Was für Gefühle es in ihm wecken könnte und in wie viel Schmerz es enden könnte. Nymeris wünschte sich nichts weiter, als endlich, nur für einen kurzen Moment, im Jetzt leben zu können. Ohne an die Folgen denken zu müssen, oder sonst was. Er wollte endlich einfach seinen Bedürfnissen nachgeben und sich das nehmen, was er wollte. Ohne Rücksicht auf Verluste. Er wollte aufhören, seinem eigenen Glück im Weg zu stehen. 

Er nahm einen tiefen Atemzug, atmete dabei den einzigartigen Geruch der Seeschlange ein und ließ ihn auf sich wirken. Kurz genoss er die Ruhe, die das angenehme Rauschen des Meeres ihm bereitete. Er hörte es Flüstern. 

Als Nymeris ausatmete nahm er all seinen Mut zusammen und küsste Ash. 

DrachenherzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt