Eine Ergänzung zu gestern

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16.03.2024

Mir ist dann heute morgen im Bett doch noch etwas eingefallen, das ich gerne zu meinem Kapitel von gestern ergänzen würde. Bevor jetzt jemand kommt und sagt, ich solle eine Beziehung wengistens mal ausprobieren. (Das ist nämlich die häufigste Reaktion.)

Wie kommen die Menschen immer darauf, dass ich sowas noch nie versucht hätte? Ich hab vor einigen Jahren eine Frau kennengelernt, die ich auf charakterlicher Ebene sehr interessant fand. Nach zwei Monaten, in denen sich in meinen Augen eine gute Freundschaft entwickelt hatte, gestand sie mir dann, verliebt in mich zu sein. Da ich sie nett fand und geglaubt habe, Gefühle würden sich vielleicht noch entwickeln (so wie mir zuvor immer alle gesagt hatten), bin ich die Beziehung zu ihr eingegangen.

Das war insgesamt ganz bescheiden, weil sie die körperliche Nähe zu mir suchte, was mich wirklich unwohl fühlen lies. Ich mochte sie und ich habe sie auch als Menschen geschätzt, aber ihre Berührungen waren mir immer unangenehm. Das tut mir im Nachhinein vom ganzen Herzen leid, ich hätte es ihr sagen sollen. Damals war ich aber noch davon überzeugt, dass die Gesellschaft insgesamt Recht haben musste, dass ich tatsächlich eine Beziehung wollen musste. Deshalb hab ich nie etwas gesagt, immer in dem Glauben, das würde sich alles noch entwickeln mit der Zeit.

Es hat sich überhaupt gar nichts entwickelt und nach sieben oder acht Monaten war ich dann froh, dass wir uns gottlos gestritten hatten und alles vorbei war. Auch wenn sie versucht hat, aus dem Streit wieder heraus zu kommen, ich war froh, eine Ausrede gefunden zu haben, warum ich nicht mehr mit ihr zusammen sein wollte. Eigentlich hätte ich ehrlich sein müssen. Sie weiß davon bis heute nichts, aber der Kontakt ist sowieso vor vier Jahren abgebrochen.

Dann kam die Pandemie und niemand hat mehr hinterfragt, warum ich single war. Zu der Zeit war es mehr als angemessen, den Großteil seiner Zeit alleine zu verbringen. Ein Jahr nach Beginn der Pandemie wurde ich interviewt für einen Social-Media-Kanal. Ich wurde gefragt, wie ich mit dem Social Distancing klar komme. Meine Interview-Partnerin sah mich ungläubig an, als ich ihr erzählte, dass ich insgesamt die beste Zeit meines Lebens hatte. Ich hatte aber auch das Glück, dass ich gerade an meiner Bachelorarbeit schrieb und daher keine Kurse für die Uni belegen musste. Ich saß einfach nur mehrere Monate in meinem Zimmer und hab an meiner Arbeit geschrieben. Bücher aus der Bibliothek konnte ich mir bestellen, weil ich noch den Zugang zu meinem Mitarbeiter-Konto hatte. Den habe ich bis heute noch und werde mich niemals darüber öffentlich beschweren. Ist ja nicht mein Problem, dass die Uni ihre Daten nicht aktualisiert. Theoretisch könnte ich das schamlos ausnutzen und wahllos durch Türen gehen, die für Studenten gesperrt sind. Davon hätte ich nur nichts, außer verschwendete Zeit.

Wie dem auch sei, ich musste also nicht mal in die Bibliothek. Die Leute hielten Abstand und in den Geschäften war deutlich weniger los. Es ging mir super, besser als jemals zuvor, weil ich kurz vor Beginn der Pandemie umgezogen war und nun nicht mehr im Studentenwohnheim saß, sondern in meiner eigenen Wohnung. Für jemanden mit einer Hochsensibilität, Hyperakusis und sehr auffälligen autistischen Zügen ist das Leben in einem Studentenwohnheim traumatisch. Man fragt sich, wie ich überhaupt da gelandet bin, aber das interessiert jetzt nicht.

Schlimm wurde es dann erst, als ich mein erstes Mastersemester online machen musste. Video-Chats sind fast so schlimm wie Telefonate. Ich muss die Menschen vor mir sehen, um die kleinen zwischenmenschlichen Dinge zu erkennen. Manchmal schaffe ich es ja nicht mal dann. Bei einem Video-Chat geht das zwar deutlich leichter als bei einem Telefonat, dennoch bin ich völlig unfähig, dabei sinnvoll und angemessen teilzunehmen. Umso besser, dass man inzwischen wieder normal leben kann. Die Pandemie kam für mich genau zur richtigen Zeit, um nach der Zeit im Wohnheim zu mir selbst zu finden. Und sie verschwand dann auch quasi wieder zu der Zeit, als ich langsam anfing, durch zu drehen.

Eigentlich ist das faszinierend, denn bis kurz vor der Pandemie war ich ein sehr aktiver Wattpad-Nutzer. Das hat sich dann schlagartig verändert. Erst vor zwei Jahren bin ich wieder damit in Kontakt gekommen, als ich eine Untersuchung über das Kommunikationsverhalten auf Wattpad durchführte. Dafür habe ich eine unerwartet gute Note erhalten. Da ich grundsätzlich mit einer 4,0 rechne, sind alle meine Noten eigentlich unerwartet gut.

Ich habe in der Untersuchung das Schreibverhalten sowohl auf inhaltlicher als auch auf sprachlicher Ebene untersucht, als auch das Verhalten der Nutzer in den Kommentaren. Ausgehend dafür war meine These, dass sich qualitative Unterschiede finden lassen würden zwischen der Kategorie Fan-Fiction und der Kategorie "Skönliteratur", das würde man wohl Belletristik nennen. Ja, ich hab das auf Schwedisch gemacht, deshalb keine Ahnung, welche Kategorie Skönliteratur auf der deutschen Wattpad Seite wäre.

Grundlage für die Untersuchung waren die zu dem Zeitpunkt angesagtesten Bücher der beiden Genres, also immer die Top-10. Ich habe sowohl die Autoren als auch die Kommentatoren kategorisiert und mit einander verglichen. 20 Bücher und 259 Kommentare habe ich untersucht. Bei der Betrachtung der Bücher ging es vor allem um die Nutzung von Medien, die Nutzung von Fremdsprachen, Imitation von Chat und sozialen Medien und der Großschreibung (auf Schwedisch schreibt man eigentlich alles klein).

Im Gedächtnis ist mir vor allem eine Geschichte geblieben, die auf finnische Fremdwörter zurück griff. Das macht die Geschichte für den durchschnittlichen Schweden unlesbar. Es fasziniert mich bis heute, dass jemand aktiv so ein stilistisches Merkmal für sein Werk gewählt hat. Inhaltlich war es eine Romanze über ein schüchternes Mädchen, das mit dem Badboy der Schule zusammen kam. Es hatte also nichts mit Finnland zu tun, außer dass eine der Personen einen finnischen Hintergrund haben sollte und daher in Dialogen ständig finnische Vokabeln schwedizierte. Die Autorin muss ein umfangreiches Wissen über beide Sprachen gehabt haben, was im Kontrast zu der inhaltlich simplen Geschichte stand. Vielleicht hätte ich sie in einem privaten Chat dazu befragen sollen.

Ein anderes Buch enthielt teilweise komplette Dialoge auf Französisch, was sinnvoll war, da die Geschichte in Frankreich spielen sollte. Für einen durschnittlichen Schweden jedoch erneut nicht lesbar. Allerdings wies diese Geschichte auch inhaltlich viel mehr Tiefe auf, so dass das entsprechende Publikum wahrscheinlich etwas intellektueller war.

Egal, ich will jetzt nicht mit meinen Forschungen nerven. Inzwischen sind wieder zwei Jahre vergangen und ich schreibe hier wieder selbst. Vielleicht analysiert ja mal jemand meinen Schwachsinn für irgendeine Forschung? Wahrscheinlich nicht, ich bin ja nicht in den Top-Büchern. Die deutsche Seite von Wattpad hat außerdem deutlich mehr Nutzer, die Top-Bücher erhalten deutlich mehr Reads, Votes und Kommentare. Das muss man erstmal schaffen, alles zu analysieren. Dafür hab ich jetzt gerade keine Zeit.

Meine Switch kommt natürlich erst Montag an, wenn ich arbeiten muss. Ja, ich hab jetzt (hoffentlich) den endgültigen Dienstplan für die nächste Woche und ich arbeite (wie immer) Montag und Dienstag. Dieses mal mache ich nicht aus Gutmütigkeit noch zusätzlich Mittwoch und Donnerstag. Hab ich schonmal erwähnt, dass bei uns immer geschlossen ist, wenn ich nicht da bin?

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