27.04.2024
Gestern hab ich nur positive Dinge geschrieben und es viel mir dann doch deutlich leichter als vorher gedacht. Irgendwie war das auch gar nicht schlecht, immerhin hab ich den ganzen Abend nicht mehr an negative Dinge gedacht. Deshalb sollte man vielleicht überlegen, das regelmäßiger zu tun. Vielleicht sogar täglich. Vielleicht könnte ich dann besser schlafen. Aber keine Sorge, erstens muss ich da jetzt erstmal ein bisschen drüber nachdenken, ob das für mich sinnvoll wäre, und zweitens würde das auch nicht in diesem Buch passieren. Dafür ist dieses Buch nicht da. Hier soll es generell darum gehen, meine Gedanken zu sortieren. Wäre ja beschissen, wenn ich mir verbieten würde, über negative Dinge zu schreiben. Das Buch würde seinen Sinn verlieren.
Heute will ich über etwas schreiben, das mich regelmäßig dermaßen ärgert, das kann man sich gar nicht vorstellen. Schubladendenken. Ich hasse Schubladendenken. Nun ist das etwas sehr natürliches, wovon auch ich mich nicht frei machen kann, schätze ich. Menschen tendieren wohl dazu, sich das Leben einfach machen zu wollen. Dabei helfen Schubladen. Aber ich hasse das so sehr. Ich hasse es so sehr, wenn ich merke, ich bin bei irgendjemandem in einer Schublade drin. Es ist ja auch vollkommen egal, was man tut, man kommt aus dieser Schublade dann erstmal nicht mehr raus.
Ich bilde mir ein, ganz gut darin zu sein, Menschen nicht auf den ersten Blick in Schubladen zu stecken. Aber das liegt wahrscheinlich auch einfach daran, dass meine Kommode gar keine Schubladen hat. Ich weiß auch nicht, wo die sind, vielleicht waren in meinem Aufbauset gar keine dabei. Eigentlich habe ich nur noch so zwei halb kaputte Schubladen, auf denen steht "langweilig" und "nicht langweilig".
Vor allem in der letzten Zeit wurde ich vermehrt gefragt, wie es denn sein könne, dass ich mit Problem xy trotzdem Sache a machen kann oder Sache b mag. Ein Beispiel. Man fragt mich, wie ich als Autist tanzen kann. Da weiß ich gar nicht, was ich darauf antworten soll. Das ist eine dermaßen dumme Frage. Indem ich meine Arme und Beine passend zur Musik bewege, so wie jeder andere Mensch auch? Auf welche Art und Weise schließt das eine das andere aus? Vor allem, weil es überhaupt keine weiterführenden Infos darüber gab, welche Art von Tanzen ich überhaupt mache. Das wusste zumindest in dem Moment mein Gegenüber nicht. Ich könnte jetzt HipHop tanzen. Oder Ballett. Vielleicht auch Standardtänze. Ich könnte in einer Gruppe tanzen, mit einem Tanzpartner oder völlig allein. Aber egal welche Konstellation es jetzt auch wäre, wieso sollte ich das nicht können? Seit wann führt Autismus zur Ganzkörperlähmung?
Aber so sehr ich es auch hasse, manchmal ist es ganz interessant, zu sehen, in welche Schubladen ich so gesteckt werde. In der Schule war ich in den Schubladen "spricht nicht", "hört Metal" und "Finnland". Mehr hab ich auch nicht hergegeben, dafür hätte ich sprechen müssen. Letzteres kam daher, dass ich eine Hyperfixierung auf eine finnische Metal-Band hatte und man mich deshalb nur mit T-Shirts dieser Band kannte. An der Uni hat sich das verlaufen, weil ich tatsächlich gesprochen habe und alle anderen in meinem Studiengang die gleiche Band gut fanden. Das war also kein Alleinstellungsmerkmal mehr. Stattdessen war ich auf einmal "superintelligent", was auch nur darauf basierte, dass ich den Unterrichtsstoff schneller verstanden habe als alle anderen. Im Master hat das aufgehört, denn da war ich dann alleine mit allen anderen die vorher auch schon als "superintelligent" gezählt wurden. Ich war dann tatsächlich für einige "dumm". So beliebig lässt sich das austauschen. Verstanden hab ich das nie, für mich waren alle anderen immer nur "anwesend".
Eine meiner Dozentinnen, die auch Erstgutachterin in meiner Masterarbeit war, hat seit Beginn meines Studiums versucht, mich ständig für irgendwelche Praktikums-Stellen nach Finnland zu schicken. Ich hab sie nie darum gebeten. Da sie aber auch Studienberaterin ist und daher von Unternehmen Stellenanzeigen zugeschickt bekommt, hat sie das dann direkt an mich weiter geleitet, bzw. teilweise einfach direkt geantwortet, dass ich das machen könnte und mich dann in den CC gesetzt. Das macht sie jetzt zum Glück nicht nur bei mir so, sondern bei fast allen, aber dann eben andere Jobs. Meine beste Freundin soll ständig nach Estland geschickt werden. Faszinierenderweise hat diese Dozentin mich seit Anfang an in die Schublade "modisch" oder ähnliches gesteckt (was wahrscheinlich außer ihr noch nie jemand getan hat), deshalb versuchte sie mich beispielsweise schon als Model für ein in Deutschland nicht besonders bekanntes finnisches Modelabel abzuwerben. Das Unternehmen schrieb dann noch, dass sie so froh wären, die Nadel im Heuhaufen entdeckt zu haben (denn sie brauchten aus irgendeinem Grund ein Model, das Deutsch spricht), dabei hatte ich selbst noch gar nicht zugesagt.
Diese Situation war absurd. Weder habe ich ein Model-Gesicht noch einen Model-Körper. Außerdem will ich gar kein Model sein, warum wurde ich nicht vorher gefragt? Da sich das zeitlich mit meiner Masterarbeit überschnitten hätte, konnte ich zum Glück noch absagen. Dennoch bleibt mir seitdem in Gedanken, wie meine Dozentin in ihrer Antwort an dieses Unternehmen schrieb, dass sie bei Mode direkt an mich denken würde und ich entsprechend perfekt geeignet wäre. Vielleicht war das auch gelogen, aber ich erinnere mich auch an Situationen, in denen sie meine Outfits lobte (als einzige Person auf dem ganzen Planeten jemals).
Heute hatte ich ein Erlebnis, das vielleicht auch damit zutun hat. Nicht mit dem Model-Job der mir irgendwie fast aufgezwungen wurde, sondern mit meinen Outfits. Ich empfinde sie nicht als bemerkenswert oder modisch. Ich weiß gar nicht, was modisch ist. Tatsächlich trage ich zu 90% der Zeit immer noch diese T-Shirts von der finnischen Band, die ich als Teenager so gerne mochte, einfach weil ich davon über 50 Stück habe, entsprechend gibt es keinen Platz im Schrank für etwas anderes und ich will sie auch nicht wegschmeißen. Man schmeißt ja nicht einfach etwas weg, das noch gut ist und passt.
Wie dem auch sei, darum ging es heute nicht. Es ging wohl eher um meine Jacke. Ich liebe meine Jacken. Die sind immer etwas besonderes. Zwei davon sind von einer dänischen Schneiderin, die ich sehr gerne mag. Das sind entsprechend Einzelstücke. Ich fühle mich darin wie ein Zauberer oder ein Pirat. Ich kann mich nicht entscheiden. Ich hab aber auch noch eine Jacke von einem italienischen Designer, die von Hand bemalt ist.
Immer wenn ich eine dieser Jacken anziehe, dann passiert das gleiche. Jedes mal. Kinder scheinen begeistert zu sein. Vollkommen verständlich, hätte ich als Kind auch geliebt. Ältere Menschen, also ab 50 aufwärts meine ich damit, die finden es grauenhaft. Allen anderen scheint es egal zu sein. Es passiert mir oft, dass diese älteren Menschen mich dann einfach ansprechen, so auch heute. Ich verstehe nicht warum. Warum interessiert es die so sehr, welche Jacke ich trage? Heute war es ein Mann, den ich auf Ende 50 schätze. Von ihm kam ein Kommentar, der war herablassend und eigenartig sexuell. Ich bin so dumme Kommentare gewohnt, aber normalerweise kommen die eher von alten Omis und haben keinen sexuellen Unterton. War jetzt auch nicht so schlimm, weil ich immer noch der Meinung bin, dass ich mit meiner Jacke, eigentlich ist es von der Länge her wohl eher ein Mantel, aussehe wie ein Zauberer. Oder ein Pirat. Wie gesagt, ich kann mich nicht entscheiden.
Jetzt habe ich wieder vom eigentlichen Thema abgelenkt. Es geht ja jetzt um Schubladendenken. Eigentlich. Ich würde gerne wissen, auf welche Art und Weise es anderen Menschen hilft, mich in eine Schublade zu stecken. Überhaupt, warum muss immer alles in eine Schublade? Es gibt so eine seltsame Bubble, in der ich mich oft auch selbst befinde, die aber vor allem in den Medien populär zu sein scheint. In dieser Bubble wurden Schubladen schon lange abgeschafft. In dieser Bubble ist unsere Gesellschaft frei von Vorurteilen. Jeder ist gleich und wird gleich behandelt. Aber man merkt das leider so oft, dass diese Bubble nicht die Realität ist. So viele Menschen sind in der gesellschaftlichen Entwicklung zurückbleibend. Manche gehen sogar aktiv und bewusst rückwärts, wenn man mal an so eine seltsame blaue Gruppe denkt. Unsere Gesellschaft ist nicht so offen und fortschrittlich, wie man in den Medien manchmal vermittelt bekommt. Die Gesellschaft unterscheidet sich auch ganz extrem von dem, was an der Uni passiert. Gesellschaftliche "Entschubladisierung" und alles, was oft als "Wokeness" bezeichnet wird, scheint ein Eliten-Ding zu sein. Also Bildungselite, meine ich damit. Wahrscheinlich, weil viele andere Menschen gar nicht die Zeit oder Energie dazu haben, sich damit zu beschäftigen. Aber langsam wird das zu politisch und ich will hier nicht über Politik sprechen.
Mir hat beim Eisessen mal ein älterer Mann vollkommen ohne Grund erzählt, ich würde meinen eigenen "Untergang" wählen. Dabei weiß der doch gar nicht, welche Partei ich wähle. Auf jeden Fall fing er dann noch an, über Ausländer zu sprechen und ich hab mich dann ganz schnell verabschiedet. Wie kam er dazu? Ich hatte vorher ganz in Ruhe mein Spaghettieis gegessen. Ich hab diesen Mann vorher und hinterher noch nie gesehen. Er hat auch nicht Hallo gesagt oder sonst was, er fing direkt mit dieser Untergangs-Thematik an. Ich habe kein einziges Wort dazu gesagt, was ihn ja nicht davon abhielt, einfach weiter zu reden.
Ergebnis des heutigen Tages: Ältere Männer sind manchmal echt komisch.
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Abendgedanken
RandomManchmal ist mein Kopf voll von irgendwas und ich weiß aber gar nicht, was dieses irgendwas ist. Ich weiß nur, dass es irgendwie raus muss. Begleite mich dabei, wie ich versuche, dieses irgendwas los zu werden.