Müde

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Ich bin müde und deshalb auch zu müde, um dem Kapitel einen anderen Namen zu geben. Erstmal ein paar Updates seit dem letzten Kapitel: mein Vater ist wieder zuhause, er hatte doch nichts so schlimmes wie erwartet. Eine Neuritis Vestibularis. Oder so. Ich bin nicht sicher, ob man das so schreibt.

Ansonsten weiß ich auch schon gar nicht mehr, was ich beim letzten mal überhaupt erzählt habe. War wahrscheinlich nicht wichtig, sonst würde ich mich erinnern. Bei der Arbeit habe ich mal wieder meine Stunden für den Monat fertig und ich weiß nicht, wie das eigentlich möglich sein soll, dass ich noch 2 Wochen arbeiten gehe, aber da ja immer noch niemand wirklich angestellt ist, außer mir, bleibt nichts anderes übrig. Bzw. es würde übrig bleiben, dass ich nicht hingehe, aber irgendwie bin ich zu nett für sowas. Mal schauen, wie ich diese Überstunden wieder los werde, man kann sich so schlecht Urlaub nehmen, wenn man alleine arbeitet. Irgendwie ist diese Situation, in der ich bin, überhaupt nicht gut, vor allem nicht für den Mindestlohn.

Ganz alleine bin ich dann doch nicht, meine neue Kollegin hat letzte Woche drei Stunden gearbeitet und dabei natürlich mindestens die Hälfte vergessen, sodass ich ihre Buchhaltung diese Woche nachholen durfte. Als ob sie in den drei Stunden wirklich nur das geschafft hat, was sie geschafft hat. Aber gut, die ersten Arbeitstage sind die ersten Arbeitstage, da kann niemand Perfektion erwarten. War im letzten Kapitel schon das Bewerbungsgespräch mit der neuen Bewerberin? Ich weiß es nicht mehr. Ich glaube aber nicht. Meinem Chef war es absolut wichtig, dass ich dieses Gespräch führe. So als ob ich dazu in der Lage wäre, in kürzester Zeit zu entscheiden, ob sie für das Unternehmen geeignet ist oder nicht (Meine Meinung: ist sie nicht. Aber mehr als meine neue Kollegin).

Sie erzählte mir dann, dass sie als Kind schon gespielt hätte, diesen Beruf zu haben. Schlimm, welches Kind spielt denn, im Büro zu arbeiten? Als Kind hab ich gespielt, Koch zu sein. Lehrer. Sowas. Aber: es gab auch eine Zeit, da wollte ich unbedingt Staubsauger werden. Also jemand, der beruflich staubsaugt. Meine Eltern haben mir sogar einen eigenen kleinen Staubsauger gekauft und ich habe bei allen Verwandten den Boden gesaugt. Oma, Opa, Onkel, Tanten, alle hatten schöne Böden. Wie einfältig Kinder sein können, so eine lästige Arbeit aus Spaß zu machen. Also gibt es bestimmt auch Kinder, die gespielt haben, im Büro zu arbeiten.

Ich weiß nicht, was diese Bewerberin erwartet hat, aber offensichtlich deutlich mehr als es am Ende war. Ich glaube, sie hat sich vorher nicht mit dem Unternehmen auseinander gesetzt, sonst hätte sie gewusst, dass sie das alles zu ernst nimmt. Aber das ließ mich dann auch erstmal daran zweifeln, ob ich meinen momentanen Job richtig einschätze. Ob ich das Leben vielleicht generell falsch einschätze. Ich hab nämlich noch nie etwas wirklich ernst genommen. Und das hat trotzdem alles gut geklappt.

Das Vorstellungsgespräch an meiner Universität heute hat meine Zweifel nur noch mehr verstärkt. Vielleicht ist meine Selbsteinschätzung wirklich katastrophal. Ich sehe mich nicht als eine besonders lebenslustige oder fröhliche Person. Die Universität in Kiel hielt mich im April ja schon für zu vielseitig und lebensfroh. Und heute das gleiche Problem. Auch wenn sie es heute nicht explizit so formuliert haben. Ich kam herein und zumindest optisch war eine der vier Frauen jünger als 40. Jede hielt sich für besser und intelligenter als die andere. Aber vor allem hielten sie sich für besser und intelligenter als mich. Sowas kann ich ja nicht leiden. 

Mein Fazit: unter Angestellten des öffentlichen Dienstes bin ich tatsächlich lebensfroh. Und ich bin wahrscheinlich wirklich nicht für den öffentlichen Dienst geeignet, wenn da nur solche Tabletten sitzen. Dabei ist die Stelle vielseitig und spannend, ganz anders als diese vier Frauen dort. Dachte ich. Die Krönung war, als ich auf Englisch Probleme darlegen sollte, die es in der Beratung von Flüchtlingen aus der Ukraine geben könnte. Und ich spreche Ukrainisch, ich kenne mich mit der Kultur dort aus, ich kenne das Land. Warum sollte es ein Problem geben, warum sollte ich sie nicht beraten können? Und warum sollte ich Ukrainer auf Englisch beraten, wenn ich deren Sprache spreche? Aber ich glaube, die haben entweder meinen Lebenslauf nicht gelesen oder sich nicht dafür interessiert.

Die Chefin der Abteilung lobte abschließend, dass ich Schwedisch C1 spreche, was so rein faktisch gar nicht stimmt und auch nie behauptet wurde. Das ganze Gespräch über habe ich kein Wort darüber verloren, dass ich Schwedisch spreche. Auch wenn ich weiß, dass C1 wahrscheinlich stimmt, aber ich habe kein Zertifikat und deshalb steht das auch nicht in meinem Lebenslauf. Vielleicht hat sie mich mit einem anderen Bewerber verwechselt? Als ich dann noch fragte, wohin die in der Stellenausschreibung stehenden Dienstreisen gehen würden, holte eine der Frauen eine gedruckte Version der Ausschreibung hervor und suchte erstmal nach dem Punkt, an dem das stehen sollte. Aber es steht da. Ich bin doch nicht blöd. Anstatt auf meine Frage zu antworten, kam dann die Gegenfrage, ob Dienstreisen ein Problem für mich wären. Dabei wollte ich doch nur wissen, ob die Reisen in Deutschland oder auch im Ausland wären, mehr nicht. Es war einfach nur aus Interesse.

Jetzt weiß ich mal wieder nicht, was ich davon halten soll. War das Gespräch für die genauso seltsam wie für mich? Eigentlich kann es nicht sein, dass ich eine Zusage bekomme. Und wenn doch, was mache ich dann? Naja das Gehalt ist wirklich gut, also würde ich es wohl annehmen. Aber schön ist das ja nicht, wenn man solche Kollegen hat.

Ich hoffe so sehr, dass das Bewerbungsgespräch mit der Bewerberin, das ich geführt habe, für sie nicht genauso beschissen war. Ich hoffe, dass sie zu keinem Moment das Gefühl hatte, ich würde mich als etwas besseres fühlen. Und dass die Fragen, die ich ihr gestellt habe, für sie logisch waren. Dass sie nicht das Gefühl hatte, dass sie sich die Antworten aus dem Arsch ziehen musste. Ich fand, dass es eine ganz lockere und freundliche Atmosphäre war. Aber das denken die von der Uni heute morgen vielleicht auch. Das einzige, das da locker war, war meine Frisur, die sich im Regen aufgelöst hatte. Und da macht man sich morgens mal die Mühe, passiert direkt sowas. 

Ich glaube, dass die Bewerbungsverfahren im öffentlichen Dienst seit mindestens 50 Jahren überholt sind, aber die Leute, die diese ausführen, sind eben schon älter als 50 und merken nichts mehr, außer dass sie regelmäßig viel Geld bekommen, ohne viel dafür zu tun. Wobei man von zwei Erfahrungen wohl nicht auf alle schließen kann. Ich könnte mir zum Beispiel nicht vorstellen, dass das Bewerbungsverfahren bei meinem spezifischen Institut, wo ich meinen Master gemacht habe, genauso schimmelig wäre.

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