Psychopath

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05.09.2024

Wir haben alle wahrscheinlich gedacht, dass ich nun einen guten Freund gefunden habe. Aber ne, inzwischen hab ich einfach nur einen neuen Grund zur Sorge. Dieser Praktikant ist ein Psychopath. Ohne Scheiß.

Sein Praktikum ist ja zum Glück schon vorbei, anfangs fand ich ihn ganz nett, bis gestern fand ich den Typen akzeptabel. Aber Komisch. Richtig komisch. Nach längerem Kennenlernen ganz sicher kein Autist. Das hat ihm auch das Autismuszentrum bestätigt, aber er benutzt die Diagnose beim Arbeitsamt immer noch. Weil er so einen Grund hat, warum er nicht arbeiten kann und weiter Arbeitslosengeld bekommen muss.

Nachdem am Dienstag eine Kundin ohne zu Fragen meine Haare angefasst hat (aus irgendeinem Grund tendieren Menschen schon mein ganzes Leben lang dazu), hatte ich mich bei ihm beschwert, weil ich es nicht mag, wenn mich Menschen anfassen. Nicht mal meine beste Freundin darf mich anfassen. Den Rest der Woche hatte er mir ständig immer wieder auf die Schulter gefasst. Und was soll ich machen, ich kann ihn ja nicht einfach schlagen. Auch wenn es mir irgendwann sehr nahe lag. 

Ich habe auch noch nie erlebt, dass ein Mensch so wenig Antrieb hat. Nichts hat er von sich aus gemacht. Nichts konnte er alleine. Nicht mal den Müll raus bringen. Irgendwie hatte er es aber geschafft, dass er mindestens am ersten Tag sympathisch rüber kam. Den zweiten vielleicht auch noch. Dann wurds irgendwann komisch. Er ist einfach komisch. Er ist hochintelligent. Bemitleidenswert, wenn man sich seine Geschichte anhört. Aber ein Psychopath.

Ich hatte mich diese Woche nach der Arbeit noch mal mit ihm getroffen. Obwohl er mir vorher schon leicht seltsam rüber kam, aber von sowas lasse ich mich nicht so schnell beeindrucken, ich komme schließlich auch oft seltsam rüber. Nicht ganz glücklich, aber freiwillig habe ich mich also mit ihm zum Spazieren getroffen (und er hat mir schon wieder ständig auf die Schulter gefasst, aber dieses mal konnte ich wenigstens ausweichen). 

Weil er während des Praktikums von seiner Freundin erzählt hatte, hatte ich ihm ein paar Fragen über sie gestellt. Es hieß dann aber schnell, er habe bei dem neuen Praktikum am Vormittag bereits so viel über sich erzählt, dass er mir während des Spazierens nichts mehr von sich erzählen wollte. Ist mir egal, es interessiert mich ehrlicherweise eh nicht, ich habe nur aus Höflichkeit gefragt.

Auf jeden Fall schrieb er mir Abends einen Roman. Eine ewig lange Nachricht. 30 Minuten stand bei Whatsapp unter seinem Namen "schreibt". Und was ich dann lesen durfte, das war ja so geisteskrank. Er meinte, ich sei enttäuscht gewesen, weil er nicht von sich selbst erzählt hat (ich habe seine Aussage, dass er nichts erzählen will, nicht mal kommentiert und verstehe seine Schlussfolgerung nicht). Weil ich in seinen Augen so enttäuscht war, erklärte er mir dann, dass er am Wochenende mit seiner Freundin Schluss gemacht hatte. Eigentlich hätte die Nachricht dann aufhören können.

Das wirklich seltsame kam dann erst noch. Und es wurde mit jeder Zeile immer schlimmer. Er hatte mir geschrieben, wie er sie vor 10 Jahren kennengelernt hatte und sich in sie verliebt hatte. Sie sei aber weder an Männern, noch an einer Beziehung interessiert. Diese Tatsache hat ihn dazu gebracht, (Zitat) "sie noch mehr zu umgarnen". Und für ihn sind sie seitdem zusammen gewesen. Ohne in den 10 Jahren jemals zusammen zu wohnen oder bei einander zu übernachten. Logisch, wenn sie auf Frauen steht und die Beziehung seinerseits eingebildet ist.

In den weiteren Jahren hatte sie ihm wohl mehrfach gesagt, dass sie lesbisch ist, worauf er nur meinte, er würde auch ohne Sex in der Beziehung auskommen (wo ist der Zusammenhang????). Seiner Meinung nach waren sie also weiterhin zusammen. Obwohl ihre Aussage, dass sie ihn nicht lieben würde, (Zitat) seine "Depressionen füttert".

Letztes Wochenende hat er sich nun nach 10 Jahren "Beziehung" von ihr getrennt, weil er jetzt 30 ist und meint, dass er sein Leben doch nicht ohne Sex verbringen will. Weil sie nicht darauf eingegangen ist, hat er "Schluss gemacht".

Hä? Wie kann man mit jemandem Schluss machen, mit dem man nie zusammen war? Wie kann man behaupten, als heterosexuelle Person, mit einer homosexuellen Person eine Beziehung zu führen? 10 Jahre lang? Wtf? Wieso spornt es ihn noch mehr an, eine Person für sich zu gewinnen, die offensichtlich kein Interesse hat?

Andere Frage: Warum hat sie das 10 Jahre mitgemacht und nie den Kontakt abgebrochen?

Ich hab ihn danach ignoriert. Das ist doch geisteskrank. Aber was für mich viel schlimmer ist: Heute war ich wie gewohnt bei der Arbeit. Mein Chef kam mit einer pinken Schleife um den Kopf in mein Büro und meinte, er hätte mir ein Kostüm gebastelt. Für die Kostümwette heute (Spoiler: ich hab natürlich nicht gewonnen, aber ich hab dafür ein Stück Kuchen bekommen). Den Rest des Tages haben wir draußen Rosen beschnitten, natürlich ohne Handschuhe, da mein Chef keine da hatte. Hat kaum weh getan. Und wer lief am Zaun entlang? Der Praktikant. Der Zaun ist aus Steinen und hat zwischendrin kleinere Löcher, wo man durch gucken kann. Und er blieb hinter einem dieser Löcher stehen und beobachtete uns. Das hat mir wirklich Angst gemacht, was ist das für ein seltsames Stalker-Verhalten. Ich hab so getan, als würde ich ihn nicht sehen, weil ich nicht wollte, dass er vorbei kommt. Er sollte ruhig hinterm Zaun bleiben, von mir entfernt.

Mein Gott bin ich froh, dass mein Chef ihm keinen Job angeboten hat. Wenn mir noch einmal jemand auf die Schulter fässt, schlage ich wahrscheinlich wirklich einfach mal zu. Und die Person kann dann gar nichts dafür. Aber es ist mir egal. Gruseliger Scheiß.

Wenn wir schon bei gruseligem Scheiß sind: neben unserem Büro befindet sich ja nichts außer eine Baustelle. Dienstag hab ich von meinem Büro aus dabei zugesehen, wie es erst geknallt hat und dann langsam alles abgefackelt ist. In dem Moment war ich froh, meine Wäsche noch nicht gewaschen zu haben, die wäre auf meinem Balkon wohl komplett eingenebelt gewesen. Die ganze Stadt lag unter einer dunklen schwarzen Wolke. Löschen konnte man auch nichts, weil das wohl giftiges Zeug war. Mein Chef meinte nur: wir machen jetzt eine Pause. Ich dachte, ich darf gehen. Ist ja auch nicht ungefährlich, wenn neben einem eine Fläche von 20 mal 30 Metern brennt. Mein Chef rannte runter und sah sich alles vom nahen an. Und ich sah ihm dabei zu, wie er unten stand. Seltsame Pause. Und wenn mein Chef während des Knalls nicht neben mir gesessen hätte, könnte man fast ihm die Schuld geben, weil er danach immer wieder freudig betonte, dass die Baufirma ihren Mietvertrag nun verlängern werden muss. Eine Millionen Euro Schaden. Mindestens ein halbes Jahr wird es dauern, bis alles wieder so aussieht wie vorher.

Ich versuche erstmal, alles mit diesem Praktikanten zu vergessen. Ich hab jetzt Urlaub und bin für eine Woche in Dänemark. Es ist mir ganz lieb, in einem anderen Land zu sein, wo er mich nicht vom Versteck hinterm Zaun aus beobachten kann. Nach dem Urlaub zurück nach Deutschland zu kommen, ist schon fast überflüssig, weil ich kurz danach für die Arbeit wieder nach Dänemark muss. Warum? Einige erinnern sich bestimmt, dass ich mich beschwert habe, manche Kunden würden verlangen, dass man sie persönlich irgendwo hin bringt oder abholt. Und sowas machen wir ja nicht. Warum sollte man das tun?

Also ich werde es dann doch machen. Ich soll nach Kopenhagen fahren und da einen Kunden abholen, mit ihm mit dem Zug nach Deutschland fahren. Ab Deutschland wird er mit meinem Chef zusammen nach Dresden fahren und dort wird er dann irgendwie abgeholt, um nach Prag zu fahren. Und das gleiche dann ein paar Tage später noch mal auf dem Rückweg. Mein Einwand, dass ich 12 Stunden Zug fahren muss, um nach Kopenhagen zu kommen, was in keinem Verhältnis dazu steht, einfach nur jemanden am Bahnhof in den richtigen Zug zu führen, wurde niedergeschmettert, indem ich auf dem Hinweg einen Zwischenstopp in Hamburg machen darf. Um dort irgendwas heraus zu finden, ich hab das nicht richtig verstanden. 

Ich glaube, ich drehe irgendwann durch?


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