Gerechtigkeit

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12.05.2024

Heute gibt es kein Gelaber über meinen Alltag, es ist ja auch kaum etwas passiert seit meinem letzten Kapitel. Zumindest waren die letzten Tage alle positiv für mich und das liegt wohl auch daran, dass ich einfach Wochenende hatte. Man könnte vielleicht darüber streiten, dass meine Tage dadurch positiver sind, dass ich jetzt ja an meiner Challenge arbeite, 100 Tage am Stück positiv zu denken. Aber dafür sind noch nicht genug Tage vergangen, um einen Zusammenhang erkennen zu können. Ein Urteil erlaube ich mir erst nach 100 Tagen.

Ein Update gibt es doch: Ich hab meine Schuhe inzwischen erhalten und die App endlich frei geschaltet. Ich hab mir auch direkt die Füße damit kaputt gelaufen. Nach einem Stopp in der Drogerie und einem neuen Medizinschrank für die Fußpflege geht es meinen Füßen aber schon deutlich besser. Hätte man mir das nicht mal vorher sagen können, dass diese ganzen Pflaster und Zeug tatsächlich nützlich sein können? Naja egal, auf zum eigentlichen Thema das Kapitels: Gerechtigkeit.

Ich mache mir sehr sehr regelmäßig Gedanken über das Thema Gerechtigkeit. Sie ist so zu sagen mein "roman empire". Vor ein paar Monaten, vielleicht auch schon Jahren, ich bin mir gar nicht mehr so sicher, habe ich mir eine Übersicht über meine 5 wichtigsten Werte gemacht. Diese kleben auf Fremdsprachen an meiner Wand, weil ich der Meinung war, dass es so ästhetischer wäre (Deutsch ist optisch keine schöne Sprache). An meiner Wand klebt alles mögliche Zeug, weil ich die weiße Farbe nicht ertragen kann, aber auch nicht streichen darf. Neben den Postkarten, Konzertkarten, einem eingerahmten Brief, den mir meine Lieblingssängerin Eivør Pálsdóttir geschrieben hatte, und ein paar Autogrammkarten meiner Lieblingsmusiker, hängen also auch 5 Werte. Diese lauten (in keiner bestimmten Reihenfolge): Ehrlichkeit, Gerechtigkeit, Freundlichkeit, Empathie und Freiheit. Die hängen dort, damit ich mich in jeder Situation daran erinnern kann. Immerhin hatte ich mir vor keine Ahnung wie vielen Monaten das Ziel gesetzt, bei allen meinen Entscheidungen mindestens diese 5 Werte mit ein zu beziehen.

Die Begriffe sind eigentlich alle einfach. Es gibt nur Ehrlichkeit und Unehrlickheit und dazwischen nichts. Genauso auch bei Freundlichkeit und Empathie, wobei es dort wohl auch ein paar Graustufen gibt. Freiheit und Gerechtigkeit sind dagegen viel komplexer. Für mich bedeutet Freiheit heruntergebrochen nur, dass ich zu jedem Zeitpunkt in meinem Leben die Möglichkeit habe, zu machen, was ich will. Natürlich hat das noch mehr ebenen, aber so lässt es sich vereinfacht sagen. Gerechtigkeit habe ich anfangs so ähnlich betrachtet. Aber da kommt mein Problem: Meine Definition von Gerechtigkeit ist extrem subjektiv. Meine Gerechtigkeit kann die Ungerechtigkeit eines anderen sein. Und nun überlege ich, seit dieses Wort an meiner Wand steht, was Gerechtigkeit eigentlich ist. Gibt es so etwas wie Gerechtigkeit überhaupt und wer entscheidet darüber, was gerecht ist und was nicht?

Ich hatte Gerechtigkeit an meine Wand geschrieben und damit meine individuelle Ebene gemeint. Ich möchte gerecht behandelt werden und beziehe Gerechtigkeit deshalb auch in meinen Handlungen gegenüber anderen mit ein. Manchmal geht Gerechtigkeit ja auch gegen das, was ich eigentlich möchte, zum Beispiel wenn ich irgendwo eingeladen bin und einen Kuchen mitbringe. Jeder hatte ein Stück und es bleibt eins übrig. Meiner Meinung nach wäre es dann gerecht, wenn ich als Bäcker das Stück bekomme. Aber jemand anderes hat vielleicht Kekse mitgebracht und davon einen zu wenig. Dann wäre es nur gerecht, dass derjenige, der keinen Keks bekommt, zwei Stücke Kuchen hat, obwohl ich das Stück gerne gehabt hätte. Das ist ein banales Beispiel. In dem Beispiel geht es um individuelle Gerechtigkeit.

Seit ich mir Gedanken darüber mache, wohin ich ziehen möchte und wo ich arbeiten möchte, kommen mir auch immer wieder Erinnerungen daran hoch, wie ich beispielsweise meine Wohnung gefunden hatte oder Stipendien erhalten hatte an der Uni. In den Momenten hatte ich Glück oder man könnte vielleicht darüber urteilen, dass meine Leistungen besser waren oder sowas. Ich nenne das aber eher Glück. Immerhin hatten mit mir zusammen noch andere Leute die Wohnung besichtigt. Natürlich freue ich mich, dass am Ende ich gewählt wurde, aber nun frage ich mich, ob das gerecht den anderen gegenüber war. Ein anderer bei der Wohnungsbesichtigung wurde direkt aussortiert, weil er Arbeitslosengeld empfängt. Ist das gerecht? Er hat genauso ein Recht auf eine Wohnung wie ich, nichts an mir gibt mir eine Berechtigung, vorgezogen zu werden, auf menschlicher Ebene (verdient man als Student ja auch meistens weniger Geld als Arbeitslose erhalten, sodass das Geld nicht der ausschlaggebende Punkt für den Vermieter sein konnte). Es ging also um Vorurteile, die am Ende mir das Glück brachten, die Wohnung zu bekommen.

Natürlich könnte ich mich da hinein steigern, dass es ungerecht ist, dass ich diese Wohnung habe und er nicht, aber das ist sinnbefreit. Ich kann mir selbst nicht die Schuld geben, immerhin brauchte ich ja auch eine Unterkunft. Das Problem ist nicht eine Ungerechtigkeit, die von mir aus geht, sondern eine soziale Ungerechtigkeit. Genauso auch bei den Stipendien. Ich hatte so lange überlegt, ob ich mich überhaupt bewerben sollte, weil ich der Meinung war, eventuell jemandem eine Möglichkeit zu nehmen, der das Geld dringender braucht als ich. Aber darum geht es nicht, wenn man so denkt, erreicht man im Leben nichts. Es war in dem Moment gerecht, dass ich das Stipendium bekommen habe, weil meine Leistung besser war als die meiner Mitbewerber, und das hat nichts mit der sozialen Lage aller Bewerber zu tun. Es fällt mir dennoch schwer, anzuerkennen, dass soziale Gerechtigkeit außerhalb meiner Macht liegt.

Wenn man diese Gedanken noch weiter führt, kommt man irgendwann zur politischen Gerechtigkeit. Wahrscheinlich gibt es auch noch eine Gerechtigkeit, die darüber steht. Das macht mich unfassbar wütend. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass diese Konstrukte der Gerechtigkeit auch nicht immer mit meinem Verständnis der Freiheit einhergehen. Denn man muss dazu sagen, dass ich mich in einer sozialen Lage befinde, in der ich die Möglichkeit habe, relativ frei zu handeln. Andere haben einen schlechteren sozialen Stand und haben dadurch unweigerlich weniger Freiheit und weniger Gerechtigkeit. Wieder andere haben einen besseren sozialen Stand und haben dadurch noch mehr Freiheit und wahrscheinlich auch Gerechtigkeit, wobei (meiner Meinung nach) ab einem gewissen Wohlstand der Bereich der Gerechtigkeit verlassen wird. Meiner Meinung nach sollte jeder Mensch das gleiche Maß an Freiheit und Gerechtigkeit besitzen, aber das ist in unserer materiellen Gesellschaft nicht möglich.

Jetzt habe ich mein Dilemma. Ich muss für mich entscheiden, in welchen Momenten welche Gerechtigkeit wichtiger ist, zumindest in den Bereichen, in denen ich die Möglichkeit habe, auf die Gerechtigkeit einzuwirken. In den meisten Bereichen habe ich diese Möglichkeit ja gar nicht. Ich muss auch akzeptieren lernen, dass ich nicht immer einen Einfluss auf Gerechtigkeit haben kann, wenn es um andere Eben als die individuelle geht. Dabei bereitet mir das schon fast körperliche Schmerzen.

Am besten wäre es wohl gewesen, ich hätte Gerechtigkeit gar nicht erst in meine wichtigsten 5 Werte aufgenommen, dann müsste ich darüber jetzt nicht so viel nachdenken.


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