Kapitel 66 - Lost and Found

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Kapitel 66 – Lost and Found

--- 5 Tage vor Beginn des Krieges. ---

In dem Moment, nachdem das Hologramm meines Vaters verschwand, erdrückte mich das Schweigen des riesigen Ratssaals. Anstatt, wie ich es von ihnen erwartet hätte, sofort in aufgeregtes Gerede auszubrechen, blieben sie alle mucksmäuschenstill auf den Bänken sitzen. All ihre Blicke waren auf mich gerichtet. Sie hingen an mir wie Gewichte, die meine Muskeln nach unten zogen und jede meiner Bewegungen aus dem Konzept brachten. Sie starrten mich an, weil in meinen Händen das Engelsschwert ruhte, welches sie für verloren geglaubt hatten. Doch mir war es gelungen, meinem Vater genau jenes zu entreißen. Es war mir gelungen, es in meinen Besitz zu bringen.

Und nun warteten sie alle atemlos darauf, was ich damit tun würde. Mit dieser Macht. Denn nichts anderes als Macht hielt ich da gerade in den Händen. In diesem Augenblick war ich mit ziemlicher Sicherheit die mächtigste Person auf diesem Planeten; ein Dämonenheer zur Stelle, falls ich es rufen sollte. Und ich konnte verstehen, warum einigen trotz Valentins Verschwinden die Furcht immer noch aufs Gesicht geschrieben stand.

Ich war seine Tochter. Großgezogen von einem Psychopathen, der dieses Schwert so dringend haben wollte, dass er ihr ohne zu zögern die Finger gebrochen hatte, weil sie im Weg stand. In ihren Augen war ich vielleicht eine begnadete Kämpferin aber dafür umso unberechenbarer. In den letzten Wochen hatte mich Trauma um Trauma gejagt und ich hatte mehr als einmal bewiesen, dazu in der Lage zu sein, irrationale, labile Entscheidungen zu treffen. Falls ich mich nun entschied, diese Macht an mich zu reißen, wüssten sie nicht, ob ich nicht möglicherweise zu denselben Dingen wie mein Vater fähig wäre.

Die Energie des Engelsschwert strömte durch meine Adern, aber ich hatte das Gefühl, mit jeder Sekunde mehr meiner eigenen Kraft zu verlieren. Als entzöge es mir jedes Adrenalin, welches bis eben noch durch meinen Körper gepumpt war. Meine Augen glitten mit ehrfürchtiger Bewunderung über die silberne Klinge des riesigen Schwertes und ich spürte meine Beine unter mir schwanken – versagen.

Jemand legte von hinten einen Arm um mich; hielt mich davon ab, zu stürzen. Ich ging in die Knie, meine intakte Hand krampfhaft um das Heft von Mellartach geschlossen. Einen Wimpernschlag später drängten sich zwei Gesichter in mein Sichtfeld. Ein Augenpaar gold, das andere blau. So anders und doch ähnelten ihre Blicke sich, was mich wunderte, da die Inquisitorin mich nie gemocht hatte. Geschweige denn Sorgen um mich gemacht hatte.

„Clary?" Jace' erschrockene Stimme riss mich endgültig aus der Trance des Blutverlusts.

Für eine Minute schien alles um mich herum übernatürlich deutlich zu rauschen. Mein Geist hatte sich dank des Adrenalins verschanzen können. Doch nun traf ich mit voller Wucht auf der Oberfläche der Realität auf und meine Sinne kehrten schlagartig zurück. Das Pulsieren in meiner verletzten Hand – in der Hand, durch die mein Vater einen Dolch gerammt hatte – ließ mich aufkeuchen.

Ich spürte, wie mir das Atmen von jetzt auf gleich begann, schwerzufallen. Auf einmal hob und senkte sich meine Brust viel zu schnell. Meine Lungen schienen nicht genug Sauerstoff zu bekommen. Meine blinzelnden Augen senkten sich auf das Loch, welches in meinem rechten Handrücken klaffte und mir drehte sich der Magen um.

Ich blinzelte und plötzlich war die Ratshalle verschwunden. Stattdessen saß ich gefesselt in einem Keller. Das Blut war überall. Ich hörte mich schreien und der Schmerz war unerträglich.

Ich blinzelte erneut und dieser ferne Ort war verschwunden. Jace und Imogen tauchten wieder vor mir auf und Jace hatte sich neben mich in das Blut gesetzt, als wäre es gar nicht da. Seine Arme stützten mich, hielten mich aufrecht. Zwar hielt ich Mellartach immer noch umklammert, aber die Klinge ruhte auf seinem Schoß. Sicher. Dort war sie sicher.

The Rise Of The Morningstar (Clace)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt