Kapitel 58.2. - Desperate Angel

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Ich wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als ich später wieder erwachte. In dem Raum ohne Fenster war es unmöglich, sich an irgendetwas zu orientieren. Kein Licht, kein Himmel und eine Uhr schon gar nicht. Da der Nebel immer noch um meine Sicht tanzte, vermutete ich, dass ich nicht allzu lang außer Gefecht gewesen war.

Nachdem Malachi mich kaltgemacht hatte, war ich in einen wirren Traum mit meinem Vater in der Hauptrolle abgedriftet. Er hatte vor einem glänzenden, reflektierenden Spiegel gestanden; groß genug, um seinen ganzen Körper darin sehen zu können. Und nichts anderes als das hatte er getan. Er hatte sich in die eigenen eisblauen Augen gestarrt, ohne jede Regung auf seinen markanten Gesichtszügen. Als wartete er auf etwas. Als dachte er nach.

Es handelte sich dabei nicht um den Spiegel, den er Malachi gegenüber erwähnt hatte. Eine der wenigen Tatsachen, bei der ich mir hundertprozentig sicher war. Mein Vater hatte den Kelch der Engel und das Engelsschwert in seiner Gewalt. Um den Engel Raziel heraufzubeschwören, so wie er gesagt hatte, würde er alle drei Engelsinsignien benötigen. Eine Geschichte, die er uns schon als Kinder hatte lesen lassen. Aus den Legenden war nie hervorgegangen, wie der Spiegel aussah oder wo er zu finden war. Der einzige Anhaltspunkt war das Bild, welches jeder Nephilim kannte: Raziel, der aus dem Lyn See aufstieg, in einer Hand den Kelch, in der anderen das Schwert. Die Übergabe der Engelsinsignien an Jonathan Shadowhunter. Aber wo war der Spiegel?

Mein Vater hatte nur so wenige Worte über den Spiegel verloren. Jonathan wird den Spiegel vor Ort für mich bewachen. Der Spiegel musste also zu groß sein, als dass Valentin ihn mit sich herumtragen konnte. Vor Ort. Eine seltsame Beschreibung. Als besäße er den Spiegel, aber ... als hätte er ihn nicht vollständig in seiner Gewalt. Aber wie konnte das sein? Was bedeutete das?

Bevor ich mir darüber den Kopf zerbrechen konnte, glitt die Tür ein weiteres Mal auf. Diesmal traten mehrere Personen unter dem niedrigen Türrahmen hindurch, um meine Gefängniszelle zu betreten. Das blaue Licht der Malachi-Konfiguration flimmerte zwischen mir und meinen Entführern und als mir seine himmelblauen Augen begegneten, eine solch perfide Freude darin, erkannte ich ihn zuerst gar nicht. Erst als sich seine breiten Mundwinkel zu einem heimtückischen Grinsen hoben, wurde mir klar, wer da vor mir stand.

„Ich musste dem Konsul schwören, dass ich dich in einem Stück bei deinem Vater abgebe", sagte Blake in die Stille des Zimmers. Seine Worte wurden von den Wänden zurückgeworfen, als wollten selbst sie nicht mit etwas von ihm in Kontakt kommen. „Aber wir werden trotzdem unseren Spaß haben, Clary."

Der Alkohol, der bis eben noch meine Muskeln beherrscht hatte, wurde von einer Welle an heißem Zorn zurückgedrängt, die von jetzt auf gleich durch meinen Körper peitschte. Blakes Anblick brachte meine Finger zum Zittern und etwas in mir wusste, dass es Teils der Panik geschuldet war. Die Panik, die mich nach unserer Zusammenkunft in dieser finsteren Nacht am Kanal heimgesucht hatte. Die Panik des Versagens, der Schwäche. Blake Ashdown würde dafür bezahlen. Das hatte ich mir damals geschworen und zu diesem Schwur stand ich weiterhin.

Als könnte Blake mir all diese Emotionen im Gesicht ablesen, senkte er sich meinem Käfig entgegen. „Willst du ein Geheimnis erfahren?", fragte er flüsternd. Ich zwang jede meiner Regungen hinter diese emotionslose Maske, die ich mir seit meiner Ankunft in New York angeeignet hatte. Trotz der gleichgültigen Langeweile, die Blake antwortete, fuhr er fort. „Dein Jace war hier. Vor weniger als zehn Minuten stand er direkt auf der anderen Seite dieser Tür."

Jace' Name fuhr wie ein Blitz durch meinen Körper. Mein Herz begann von selbst schneller zu schlagen. Er war hier gewesen? Wieso hatte er nicht– Meine Augen fuhren zu der Tür. Eine Tür, die vielleicht eineinhalb Meter groß war. Keine Gewöhnliche, sondern das Tor zu einem Geheimversteck; zu einem Ort, der unentdeckt bleiben sollte. Ich würde mein Leben darauf verwetten, dass auf der anderen Seite dieser Mauer ein Regal oder etwas ähnliches stand, um die Tür dahinter zu verstecken.

The Rise Of The Morningstar (Clace)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt