Kapitel 78 - Deja-Vu

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Kapitel 78 – Deja-Vu

--- 2 Tage vor Beginn des Krieges. ---

Zumindest sah Isabelle aus, als wäre sie tot. Ihre Brust bewegte sich minimal. So leicht, dass ich mit meiner schwächelnden Sehkraft dreimal nachprüfen musste, um sicher zu sein. Der Puls an ihrem Hals war so niedrig, dass sich sofort ein weiteres Schluchzen gegen die Innenseiten meiner Lippen drückte.

„Nein. Das kann nicht sein. Sie war am Leben", murmelte ich vor mich hin, unfähig mich Adam zuzuwenden. „Wir haben das Reich gemeinsam verlassen. Sie müsste schon längst aufgewacht sein. Sie–"

Panik jagte durch meine Adern wie die Glut eines glühenden Eisenstabs. Wieso war ich so vergleichsweise wohlauf? Die Rune hätte sie nicht mehr schwächen dürfen als mich, eigentlich sogar weniger, da ich sie geschaffen hatte. Was, wenn sie nicht wieder aufwachte? Was war los mit ihr?

„Wir müssen sie zu den Stillen Brüdern bringen", flüsterte ich. Adam neben mir bewegte sich nicht. Mein Gesicht fuhr herum und ich fixierte ihn mit jeder Willenskraft, die ich heraufbeschwören konnte. „Sofort!"

Zu meiner Überraschung stellte Adam keinerlei inhaltliche Fragen, wie ich von seiner wissbegierigen Natur erwartet hätte. „Was, soll ich dich einfach hier liegen lassen? Du kannst ja kaum laufen!"

„Hör mir jetzt genau zu, Adam, und mach genau, was ich dir sage." Mein Fauchen war nicht menschlich. „Du stehst jetzt auf, hilfst mir auf die Beine und danach hebst du Isabelle hoch. Und dann werden wir sie zu den Stillen Brüdern bringen. Wenn du mir jetzt nicht hilfst, Adam, dann schwöre ich, werde ich dich umbringen, so wahr mir die Erzengel helfen."

Adam nickte. „Natürlich helfe ich dir, Clary. Kein Grund, direkt gewalttätig zu werden."

Eine Minute später klammerte ich mich an Adams Arm fest und folgte seinen Schritten so gut es ging, während er eine bewusstlose Isabelle in seinen Armen hielt. Wir irrten durch die Gänge der Bibliothek. Die Zeit schien im Schneckentempo fortzulaufen, weil meine Beine zu viel Kraft beanspruchten, als dass meine Augen ihre Sicht noch scharfstellen konnten. Sobald mein unterkühltes Gesicht von einem frischen Wind erfasst wurde, konnte ich den ersten Meilenstein ausmachen.

Die Bibliothek befand sich am Platz der Engel genauso wie die Basilias. In normalem Tempo keine fünf Minuten.

„Schneller, Adam", forderte ich, obwohl ich jetzt bereits kaum mit ihm Schritt halten konnte. Jede Faser meines Körpers flehte nach Erlösung. Nichts lieber wollte ich als mich einfach auf den kalten Steingrund fallen zu lassen. Solange es bedeutete, dass ich meine Füße nicht weiter belasten musste, wäre es das wert gewesen.

Adams Füße beschleunigten sich kaum merklich. Es war genug, um mich fast von meinen eigenen zu reißen. Meine Finger krallten sich stärker in den Mantel seines Oberarms. Ich hatte meinen in der Bibliothek liegen gelassen, dafür war keine Zeit gewesen. Es war kein weiter Weg, versuchte ich mir wieder und wieder einzureden. Ihretwillen.

Falls sie starb, würde es allein meine Schuld sein. Ich durfte Isabelle nicht auf meinem Gewissen haben. Davon würde ich mich nicht erholen können. Es würde mich zerstören wie ein niemals endender Sturm an Messerstichen, die sich nur immer tiefer und tiefer in die Haut bohren, ohne mich jemals ganz zu durchstoßen.

Ein Keuchen riss mich aus meinen verworrenen Gedanken, aber als ich aufschaute, zeigte sich vor meinen Augen nichts als ein tanzendes Meer aus verschmierten, dunklen Farben. Ich würde stillstehen müssen, um irgendetwas zu erkennen.

„Was ist los?" Die Silben kamen kratzig und rau über meine Stimmbänder. Dieser Zustand der Unfähigkeit erinnerte mich ein wenig an das Gefühl von Alkohol in meinen Adern. Nur dass ich meine Muskeln und Gelenke überdeutlich spürte und jede kleinste Bewegung einen weiteren Nagel für meinen Sarg zu hämmern schien. Bereits jetzt fragte ich mich, wie viele Schritte es noch dauern würde, bevor ich zusammenbrach. Ich wusste, dass ich es nicht bis zu den Basilias schaffen würde. Ich hatte mein Können herausgefordert, hatte Isabelle und mich in Gefahr gebracht, als ich den Himmel herausgefordert hatte. Das hier war die Quittung. Ithuriel hatte recht. Wer war nur so arrogant, zu glauben, man könnte sich mit seinen Fähigkeiten in die Liga der Engel katapultieren?

The Rise Of The Morningstar (Clace)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt