Kapitel 7.2. - City Of Bones

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Am nächsten Morgen kamen wir alle im Foyer des Instituts zusammen. Meine Mutter und Maryse waren bereits dort. Ich hatte Adam abgeholt, bevor wir uns alle in der Halle trafen. Erst jetzt erinnerte ich mich an die Worte, die ich Jocelyn gestern an den Kopf geworfen hatte. Abrupt kam ich zum Stehen. Ich konnte ihr nicht in die Augen schauen, nicht jetzt. Aus der Distanz sah ich bereits, wie bekümmert sie schaute. Aber ich konnte mich nicht entschuldigen, denn ein kleiner Teil von mir war immer noch wütend auf sie. Es war schwierig, mich zu überwinden.

Deshalb war ich umso dankbarer, als Maryse das Wort ergriff. „Nun da wir alle anwesend sind, ist es Zeit, zur Stillen Stadt aufzubrechen. Die Stillen Brüder erwarten uns bereits." Maryse schenkte uns ein mattes Lächeln und drehte sich dann zu meiner Mutter um und nickte. Sie klang ein wenig herablassend, als wenn ihr das Sprechen mit ihren Mitmenschen ein Gefühl von Macht verlieh.

Ich drehte mich um, um Adam anzuschauen, der direkt hinter mir stand. „Komm", sagte ich, nur für ihn hörbar. Daraufhin begann er sich zu bewegen. Wir folgten meiner Mutter und Maryse nach draußen. Sobald sich die Flügeltüren hinter uns geschlossen hatten, betraten wir eine völlig andere Welt. Die Welt der Menschen. Autos fuhren geräuschvoll an uns vorbei und aus der Ferne hörte man Hupen.

Auf der Parkfläche vor dem Institut stand ein langes schwarzes Auto. Seine Fenster waren getönt und es sah viel nobler aus, als die anderen Autos um uns herum. Niemand beachtete uns oder das gewaltig hervorstechende Auto. Es war der Zauberglanz. Maryse öffnete eine der Türen und ließ meine Mutter, Adam und mich einsteigen. Dann sprang sie selbst hinein und schloss die Tür wieder. Ich konnte keinen Fahrer sehen, denn unser Bereich war abgegrenzt vom vorderen Teil des Wagens. Doch das Auto setzte sich in Bewegung. „Ihr haltet euch besser gut fest", warnte Maryse uns. Sie saß uns gegenüber. Neben ihr stand ein kleiner Kühlschrank und ich fragte mich sofort, wofür man hier überhaupt einen benötigte.

„Das hier nennt sich Luxuslimousine", flüsterte Adam mir ins Ohr. „Nur reiche oder berühmte Menschen benutzen diese Art von Auto als Transportmittel." Dankbar nickte ich, aber bevor ich etwas antworten konnte, schleuderte mich ein starker Ruck gegen meine Mutter, als das Auto um eine Kurve fuhr. „Tut mir leid", murmelte ich entschuldigend und sie lächelte schmal.

Obwohl die Fahrt eine Weile dauerte, war es nicht langweilig. Die meiste Zeit starrte ich aus dem Fenster und versuchte mir all die Bilder im Gedächtnis zu behalten. Es ging so vieles vor sich außerhalb des Instituts, diese Welt faszinierte mich. Irgendwie war es aufregend, den Menschen zuzuschauen, wie sie ihre Zeit gemeinsam mit Freunden verbrachten oder in Arbeitsklamotten herumrannten, die keineswegs gemütlich aussahen. Manche lachten, andere schienen es eilig zu haben. In meiner Brust spürte ich eine mir unbekannte Sehnsucht, auszusteigen und mich von dieser Welt aufsaugen zu lassen. Es schien viel besser als mein derzeitiges Leben.

Nie zuvor hatte ich daran gedacht, dass das Leben eines gewöhnlichen Menschen besser sein könnte als das eines Schattenjägers. Wir waren schließlich Krieger, die über das Licht wachten und gegen Dämonen kämpften, um diese Welt zu beschützen. Die Lebenserwartung eines Schattenjägers war nicht allzu hoch, viele von uns starben jung. War dies das Leben, das ich führen wollte? Menschen hatten solche Probleme nicht, sie hatten menschliche Probleme und sie hatten keine solche Last auf ihren Schultern zu tragen.

Bald wurden die Gebäude kleiner und seltener. Die Menschen verschwanden ebenfalls. Das Auto kam auf einem riesigen Friedhof zum Stillstand. Es grenzte an einen Fluss, welcher in die Richtung der Brooklyn Bridge floss. Ich konnte sie in der Ferne erkennen, sie schien so klein wie meine Hand.

Man hörte einzelne Vögel zwitschern und das Rascheln von Laub im Wind. Dieser Ort schien friedlich. Doch wie ich bereits in den jungen Jahren meiner Kindheit gelernt hatte, war Frieden nichts anderes als eine Illusion. Jedes Lebewesen fühlte, jede Art auf die eigene Weise. Die erste Emotion eines Neugeborenen, wenn es zur Welt kam, war nicht Liebe oder Furcht. Es war Wut. Dies war der Grund für seine Schreie und der Grund, weshalb Menschen zu Krieg und Zerstörung fähig waren. Mein Vater hatte mir dies einmal erzählt, als ich ihn gefragt hatte, weshalb wir überhaupt Schattenjäger sein mussten.

Ich schloss die Augen und rief mir meinen Vater ins Gedächtnis. Es ist jedermanns Schicksal zu töten oder getötet zu werden. Das ist der Kreis des Lebens, Clarissa, aber die meisten Menschen verneinen es aus Furcht. Sie würden emotional zerbrechen, wenn sie dies als Wahrheit akzeptierten. Schattenjäger akzeptieren dies und das ist der Grund, weshalb uns die Last, diese Welt zu beschützen, auf unsere Schultern aufgetragen wurde. Es ist unsere Bestimmung zu töten und getötet zu werden.

„Seit Jahren wird hier niemand mehr bestattet", sagte Maryse. „Dieser Friedhof wurde vor langer Zeit aufgegeben. Menschen kommen nicht her, denn sie werden ihre Geliebten hier nicht finden. Für uns verbirgt dieser Ort etwas von sehr hoher Bedeutung. Die Stadt der Gebeine. Es ist ein ungebräuchlicher Name für die Stadt der Stille." Sie dachte wahrscheinlich, dass ich nichts von all dem wusste. Doch natürlich wusste ich davon. Ich wusste ebenfalls, dass die Gebeine aller vergangenen Schattenjägergenerationen hier beerdigt wurden. Ihre Seelen waren für immer vereint.

Ich schritt über den Friedhof, denn mir war bewusst, wo der Eingang sich befand. Er war bei der großen Statue des Erzengels Raziels. Der Engelskelch in seiner Hand war unübersehbar. Maryse folgte mir mit schnellen Schritten. Mit einem Keuchen kam sie neben mir zum Stehen und sie versuchte, ihre Stimme so ruhig wie möglich zu halten. „Woher weißt du über diesen Ort Bescheid?"

Meine Augen suchten ihre und ich bemerkte, dass sie mich in einer Mischung aus Vorsicht und Härte anstarrte. „Das Wissen, das Valentin mit uns teilte, war umfangreicher als Bruchstücke aus alten Quellen. Wir lernten alles durch Informationen aus erster Hand."

Falls dies Maryse beunruhigte, dann war sie sehr gut darin, es perfekt zu verbergen. Sie nickte nur und drehte sich dann um, auf der Suche nach Jocelyn und Adam. Erst jetzt erkannte ich, dass ich ihn völlig vergessen hatte. Ich hatte ich wahrscheinlich verwirrt an der Limousine stehen lassen. Einen Moment später hörte ich seine Schritte auf dem nassen Grund und dann stand er vor mir. „Pass auf, dass du nicht ausrutschst."

Missbilligend betrachtete ich ihn. "Ich weiß, was Moos ist, Adam. Das existiert auch in Idris."

„Tut es das?", fragte er lächelnd. Ich lachte ihn aus.

Währenddessen hatte Maryse das Tor zur Stillen Stadt geöffnet. Ein letztes Mal sah ich mich um. Etwas schien seltsam. Als würde uns jemand beobachten. Ich konnte es in meinen Knochen spüren. Doch es war noch zu dunkel, um irgendetwas zu erkennen. Vor dem grauen Himmel stachen die schwarzen Zweige der Bäume besonders hervor.

„Kommst du?" Adam wartete am Tor, während Maryse die steinerne Treppe hinabstieg. Irgendwie hatte ich mir den Eingang gewaltiger vorgestellt. Langsam folgte ich Adam und spürte den kalten Atem meiner Mutter in meinem Nacken, als sie mich vorließ.

Sobald wir den Fuß der Treppe erreicht hatten, schloss sich das Tor mit einem Beben, welches mir durch Mark und Bein ging. Das wenige Licht von draußen war nun erlischt und für einen kurzen Augenblick standen wir alle im Dunkeln, bis Jocelyn ihr Elbenlicht aktivierte. Wir taten es ihr gleich. Die Wände schienen glattpoliert. Unsere Lichter spiegelten sich in ihnen, so wie sie es in Wasser taten. Erst auf den zweiten Blick erkannte ich die eingravierten Runen.

Wir folgten dem langen engen Korridor. Als Adam stoppte, wäre ich beinahe in ihn hineingerannt. Maryse war ebenfalls stehen geblieben. Ich riskierte einen Blick zurück. Meine Mutter war angespannt, sie presste ihre Zähne aufeinander und schaute mich ausdruckslos an.

Plötzlich leuchtete der Korridor in hellem Licht auf. Ich taumelte zurück und trat auf Jocelyns Fuß. Als meine Augen sich an das Licht gewöhnt hatten, sah ich, dass überall um uns herum Fackeln zu brennen begonnen hatten. Orangene Flammen flackerten in die Höhe und das Feuer warf tanzende Schatten an die Wand. Ich drehte mich wieder um und der ganze Korridor brannte. Weit entfernt konnte ich die Treppe erkennen. Wir waren weitergekommen, als ich erwartet hatte. Plötzlich stand ein Schatten auf dem Fuß der Treppe. Erschrocken versuchte ich, mehr Details auszumachen, doch er war bereits wieder verschwunden. Trotz der warmen Fackeln fröstelte ich. Hatte es sich nur um eine Reflektion des Feuers gehandelt?

Die Stillen Brüder heißen euch willkommen.

The Rise Of The Morningstar (Clace)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt