Kapitel 51.1. - Brother

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Kapitel 51 – Brother

Für die folgenden Tage versuchte ich, mich so weit wie möglich aus den Leben der anderen zurückzuziehen. Die Wut und die Scham peitschten immer noch heiß durch mich hindurch wie in dem Moment, als Jace sich aus unserem Kuss gelöst und mir diesen niederschmetternden Blick zugeworfen hatte. Jede Sekunde in seiner Nähe war eine Qual. Es fühlte sich an, als hätte dieser Besuch im Feenreich unsere gesamte Beziehung zurück auf null gesetzt. Zumindest aus meiner Sicht. Was er tatsächlich dachte, wusste ich nicht, weil ich nur das Nötigste mit ihm sprach. Unabhängig ob im Haus der Lightwoods oder beim Trainieren.

Das Training im Garten der Lightwoods wurde kurz nach unserer Rückkehr vom Lichten Hof von der Inquisitorin persönlich ausgesetzt, die nach dem Desaster rund um Kadir einen neuen Ausbilder für uns gefunden hatte. Jemand der bereit war, in Kadirs Fußstapfen zu treten. Es handelte sich um niemand geringeres als seinen Bruder Malik.

Zu Beginn war ich nicht begeistert gewesen, doch es hatte sich schnell herausgestellt, dass er – anders als Kadir – keinen Groll gegen mich zu hegen schien. Dem Anschein nach zumindest. Er behandelte mich ganz genauso wie Adam und Jace und war allein in das Training und die Auswertung der Daten über das Engelsblut interessiert. Er interessierte sich für die Fähigkeiten, die das Engelsblut uns verlieh und war schnell darauf gekommen, was ich mit den Runen alles anstellen konnte. Bisher hatte er mich noch nicht dazu aufgefordert, eine neue Rune zu erschaffen, aber ich war mir sicher, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis der Konsul oder die Inquisitorin darauf plädieren würden. Noch war das ganze mehr oder weniger ein offenes Geheimnis. Noch wusste kaum jemand in Alicante, dass ich Runen erschaffen konnte, aber die Brüder der Stille hatten die Inquisitorin in Kenntnis gesetzt.

Fürs Erste fokussierte Malik sich auf die Ausbildung, die gewöhnliche Schattenjäger durchliefen. Er wollte erst alle Basics austesten, bevor er sich an Größeres heranwagte.

Außerhalb des Trainings ging ich Jace so gut es ging aus dem Weg. Nach den Tagen, die er ununterbrochen an meiner Seite gesessen hatte, fühlte es sich seltsam an, wieder völlig allein zu sein. Es gefiel mir nicht, auch wenn mir bewusst war, dass es das einzig Richtige war.

Die wenigen Stunden am Tag, an denen die Inquisitorin mich zwang, im selben Raum wie Jace und Adam zu sein, waren die Hölle. Der Streit mit Adam und die Stille zu Jace befeuerten meinen Zorn, was auch Malik nicht verborgen blieb. Er hatte Schwierigkeiten, mich im Schach zu halten. Ich wünschte, dass ich es ihm leichter machen könnte, aber es gelang mir selbst nicht, meinen Körper im Schach zu halten. Der einzig positive Effekt daraus war, dass ich sowohl Adam als auch Jace im Training überlegen war. Dieser Strudel aus Emotionen, den ich am liebsten in die hinterste Ecke meines Verstandes geschoben hätte, explodierte jedes Mal, wenn ich einem von ihnen im Ring gegenüberstand. Egal ob Schwertkampf, Bogenschießen oder Zweikampf. Ich hatte das Gefühl, auf dem Höhepunkt meiner Stärke zu sein; hatte das Gefühl, dass die Wut die Kraft in meinem Blut antrieb.

Malik war anderer Meinung. Er glaubte nicht, dass mein Zorn der Schlüssel zu meinem Erfolg sein würde. Zorn befeuerte einen zwar für den Moment, aber würde er immer gegen Ausgeglichenheit und Balance verlieren, wenn ich irgendwann Jonathan gegenüberstehen sollte. Denn anders als Jace oder Adam war Jonathan mir ebenbürtig. Malik war überzeugt, dass mein Hass nicht ausreichen würde, um Jonathan zu besiegen, weil er mindestens genauso viel Hass empfand. Darüber hinaus hatte ich das Gefühl, dass Malik glaubte, meine Wut würde in dem Moment verpuffen, in dem ich Jonathan tatsächlich bekämpfen musste. Er wollte, dass meine Wut sich verpuffte. Aus seiner Sicht konnte man seinen Gegner nur wirklich besiegen, wenn man im Einklang mit seinen eigenen Gefühlen war und sich nicht von ihnen beeinflussen ließ.

Gegen Jace und Adam hatten Wut und Scham mir geholfen, aber gegenüber Jonathan empfand ich nichts dergleichen. Alles was ich fühlte war Trauer, Angst und Hoffnungslosigkeit. Das würde mir im Kampf nicht helfen. Meine einzige Alternative würde sein, diese Gefühle von mir zu schieben und ein inneres Gleichgewicht zu finden. Wenn man Malik beim Wort nahm, sollte ich meinen verdammten inneren Frieden finden, bevor ich mich meinem Bruder in den Weg stellte. Malik sprach ziemlich offen mit mir; sagte mir immer ganz genau, was ihm durch den Kopf ging. Ich verabscheute es. Wahrscheinlich gerade weil mir klar war, dass er recht hatte. Aber ich war nicht stark genug, um mich von diesem Schmerz zu lösen. Ich war nicht stark genug, um die Tatsache, dass Jonathan mein Bruder war, von mir abzuwerfen, wie eine Schlange es mit ihrer Haut tat, wenn sie ihr lästig wurde.

The Rise Of The Morningstar (Clace)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt