Kapitel 57.2. - Betrayals

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Zu sehen, wie Clarys Gesicht sich ihm näherte, riss den letzten Funken an Selbstdisziplin in Fetzen. Jace starrte in ihre geweiteten Pupillen, umrahmt von grünen Kristallen, die selbst jetzt im schwachen Licht mit voller Intensität funkelten. Sie strahlten ihn an. Wie oft hatte er sich genau diese Situation in den letzten Tagen vorgestellt? Wie oft hatte er die Augen aufreißen müssen, um dieser Fantasie zu entkommen?

Jace' Finger lagen bereits an Clarys Hüfte, weil er fürchtete, dass sie ohne Hilfe stürzen würde. Eigentlich war sie gar nicht in der Verfassung zu küssen oder geküsst zu werden. Aber als sie ihre Hände in seinem Hals vergrub und das Kinn in seine Richtung hob, kribbelten seine Finger in dem Bedürfnis, sie zu sich heranzuziehen. Wie ein ewiges, unerträgliches Jucken, das man stillen wollte. Nur um dann zu merken, dass ein kurzes Kratzen alles nur hundertmal schlimmer machte.

Clary zu küssen war wie in eine unendliche Tiefe zu fallen. Wie wenn man dabei trotzdem endlich Halt unter seinen Füßen gewann. Wie wenn sich das ewig ausbreitende Universum um einen herum endlich zentrierte. Sie war die Person. Diese eine Person. Jace wusste es. Er wusste es einfach. Da gab es keinen Funken des Leugnens. Außer der Tatsache, dass sein eigener Kopf leugnete, was sein Herz bereits für eine ganze Weile gewusst hatte.

„Was- Was ist los?" Atemlose Verwirrung.

Da waren diese Bilder vor seinem inneren Auge. Diese Gefühle, die Jace an die quälenden Schmerzen der letzten Jahre erinnerten. Diese Stimme, die ihm sagte, dass er Verrat beging. Die Jahre, die er damit verbracht hatte, seinen Hass auf Valentin Morgenstern zu kontrollieren. Mörder. Der Mörder seiner Eltern. Wie konnte er die Tochter dieses Mörders küssen? Wie konnte er auch nur so an sie denken?

Der hilflose Ausdruck in ihren hellgrünen Augen reichte, um diese Gedanken auszumerzen. Reichten, um eine andere Wut in Jace zu entfachen. Die Wut auf ihn selbst; dass er es immer noch nicht schaffte, zwischen Valentin und Clary zu unterscheiden. Obwohl. Er konnte. Größtenteils. Da war nur noch dieser letzte Teil in ihm, der überzeugt werden musste. Gewohnheiten legten sich nicht so einfach ab.

„Es tut mir leid." Selbst in seinen Ohren klangen die Worte fade. Jace taumelte zurück. Mehr Abstand. Er konnte Clary nicht einmal anschauen. Eine Leere breitete sich in ihm aus und er wollte nichts lieber tun, als wieder auf sie zuzulaufen und die letzten dreißig Sekunden rückgängig zu machen. „Ich dachte, dass ich es könnte, aber ich weiß es nicht ..."

Clary versuchte, den Schmerz zu verstecken. So wie sie es immer tat. So wie sie es von dem Mann gelernt hatte, der ihr noch so viel mehr psychische Qualen bereitet hatte als ihm. Wenn Jace nur von ihren Erzählungen hörte ... Er konnte sich nicht annähernd vorstellen, was sie alles durchgemacht hatte. Und trotz allem war sie so ... vollkommen. Gebrochen, ja, aber nicht zerbrochen. Clary war stark und klug und gerissen. Und verwundbar.

Jace war ein Idiot, als er ihrem passiven Nicken Folge leistete und ihr den Rücken zudrehte, obwohl er zwischen den Rissen ihrer Maske hindurchschauen konnte. Die flüchtigen Blicke auf den Schmerz, der seine Zurückweisung ihr bereitete. Seine Füße bewegten sich mechanisch, ohne sein Einverständnis. Fort von ihr. Physisch, aber nicht im Geiste. Im Geiste klebten seine Gedanken weiter bei Clary. Und verfluchten ihn für seine Unfähigkeit, endlich von seiner Furcht loszulassen.

Als Jace Minuten später wieder in der feiernden Menge der Abkommenshalle stand – als seine unruhigen Augen ihren Fokus auf Adam trafen – fand er schließlich doch eine Methode, der Furcht Luft zu machen. Die altmodische Art. In dem er sie in etwas Mächtigeres verwandelte: Zorn.

Isabelle, Magnus und Alec umringten Adam bereits, redeten auf ihn ein. Sie standen etwas abseits des Getümmels. Im Schatten einer der massiven Säulen, die auf beiden Seiten der Halle bis vorn zum Podium verliefen. Da war Wut auf den Gesichtern seiner Freunde. Wut, Ärger und Unmut. Nicht zu vergleichen mit dem Groll, der bei Adams Anblick in Jace anschwoll. Gerade noch hatte die Verzweiflung an ihm genagt, aber plötzlich war all das wie weggefegt. Der Strudel an Emotionen in Jace' Brust war zu heftig, zu nachtragend, als dass er zu kontrollieren war.

The Rise Of The Morningstar (Clace)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt