Ein Schritt ins Ungewisse

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Die Luft um den Rettungswagen war dicht, doch nicht nur wegen der Anspannung des Einsatzes. Florentina spürte noch immer das Brennen in ihrer Lunge. Die Nachwirkungen des eingeatmeten Gases setzten ihr zu, als sie den bewusstlosen Jungen mit Franco in den Rettungswagen schob. Der kleine Körper lag reglos auf der Trage, intubiert und stabilisiert, doch der Gedanke, dass sein Leben noch immer in Gefahr war, machte es für Florentina schwer, sich auf etwas anderes zu konzentrieren. Der Junge hatte es bis hierher geschafft, aber würde er es ins Krankenhaus schaffen?

Sie wollte gerade in den Rettungswagen steigen, als sie plötzlich spürte, wie eine Hand sanft, aber bestimmt ihren Arm festhielt. Franco war bereits im Wagen und bereitete die Abfahrt vor, also konnte es nicht er sein. Verwirrt drehte sie sich um und hielt inne, als sie in das Gesicht von Phil blickte. Der Anblick des Notarztes ließ ihr Herz sofort schneller schlagen. Er trug noch immer die orangefarbene Weste mit dem Notarzt-Emblem, sein Blick fest auf sie gerichtet, doch seine Augen strahlten Sorge aus.„Florentina", sagte er sanft, seine Stimme war ruhig, aber durchdringend, „wie geht es dir?"Sein Ton war fest, aber gleichzeitig fürsorglich. Florentina schluckte schwer, versuchte, das Brennen in ihrer Brust zu ignorieren. „Mir geht's gut", sagte sie, doch ihre Stimme klang schwächer, als sie es beabsichtigt hatte.

Phil ließ ihren Arm nicht los. Sein Blick wanderte über ihr Gesicht, und sie wusste sofort, dass er ihr nicht glaubte. „Ich sehe, dass es dir nicht gut geht", entgegnete er mit leichtem Stirnrunzeln. „Du hast Gas eingeatmet, und ich sehe, dass du Schwierigkeiten beim Atmen hast. Komm, lass mich dich kurz untersuchen, bevor du weiterarbeitest."Florentina spürte, wie sich eine Mischung aus Frustration und Dankbarkeit in ihr breitmachte. Sie wusste, dass Phil nur das Beste für sie wollte, aber sie konnte es sich einfach nicht leisten, jetzt „auszufallen". Nicht, solange sie mitten im Einsatz war.„Phil", begann sie und atmete schwer aus, „ich muss weitermachen. Der Junge braucht mich, und Franco kann das nicht alleine schaffen. Ich... ich kann mir keine Pause gönnen. Es wird schon wieder."

Phil zögerte. Sie konnte sehen, dass er mit sich rang. Einerseits verstand er ihre Haltung, wusste, wie wichtig es für sie war, in diesem Moment stark zu bleiben. Aber andererseits sah er die offensichtlichen Symptome – die flachen Atemzüge, das leichte Zittern in ihren Händen, das Brennen in ihrer Stimme.„Florentina", sagte er schließlich und sah ihr fest in die Augen. „Ich weiß, dass du deinen Job liebst. Aber du kannst niemandem helfen, wenn du dich selbst nicht schützt. Du brauchst nur ein paar Minuten, um sicherzugehen, dass alles in Ordnung ist. Bitte."Florentina fühlte sich hin- und hergerissen. Sie wollte sich nicht schwach zeigen, wollte nicht das Gefühl haben, dass sie eine Belastung war. Doch gleichzeitig schätzte sie Phils Fürsorge. Seine sanfte Berührung, seine aufrichtige Sorge – all das ließ ihre Mauern bröckeln.Aber sie war hartnäckig. Sie schüttelte leicht den Kopf und zog ihren Arm vorsichtig aus seinem Griff. „Ich danke dir, Phil, wirklich. Aber ich kann jetzt nicht. Später, okay? Wenn der Junge in Sicherheit ist, dann kannst du mich untersuchen. Versprochen."Phil war nicht glücklich mit ihrer Antwort, das war ihm anzusehen. Doch er wusste auch, dass er sie nicht zwingen konnte. Mit einem letzten prüfenden Blick seufzte er und nickte schließlich widerwillig. „Okay, aber du bleibst unter Beobachtung, außerdem komme ich nach dem Dienst und schau noch mal nach dir. Keine Widerrede."Florentina schmunzelte schwach, fühlte sich erleichtert, dass er sie nicht weiter drängte, aber auch ein bisschen sicherer, weil er in ihrer Nähe sein würde. „Deal", murmelte sie, bevor sie in den Rettungswagen kletterte und neben dem Jungen Platz nahm.Franco war bereits vorne am Steuer und drehte sich kurz zu ihr um. „Alles klar?", fragte er, doch seine Augen verrieten, dass er mehr meinte. Er hatte wohl mitbekommen, dass Phil sie angesprochen hatte, und war besorgt.„Ja, alles gut", antwortete sie knapp. Sie wollte ihm keine weiteren Sorgen bereiten, vor allem nicht jetzt.

Mit einem brummenden Motor setzte sich der Rettungswagen in Bewegung, während die Sirenen die morgendliche Stille erneut durchbrachen. Florentina und Phil saßen im hinteren Teil des Wagens, wo sich alle Blicke auf den jungen Patienten richteten. Der Junge lag reglos da, das leise Zischen des Beatmungsgeräts war das einzige Geräusch, das sie begleiteten. Florentina versuchte, sich voll und ganz auf den Jungen zu konzentrieren, doch das Pochen in ihrer Brust und die Schwere in ihrem Kopf ließen sich nicht ignorieren. Immer wieder musste sie tief durchatmen, doch jedes Mal brannte es in ihrer Lunge wie Feuer.

Phil bemerkte das natürlich, und jedes Mal, wenn sie nach Luft schnappte, warf er ihr einen besorgten Blick zu. Doch er hielt sich an sein Versprechen und sagte nichts. Stattdessen konzentrierte er sich auf den Jungen, überprüfte regelmäßig seine Vitalzeichen und stellte sicher, dass die Beatmung stabil blieb.

Der Weg ins Krankenhaus schien länger als gewöhnlich. Vielleicht lag es an der Anspannung, vielleicht an den Nachwirkungen des Einsatzes. Florentina wusste es nicht genau. Doch sie wusste, dass der Junge in guten Händen war, solange Phil hier war. Sie war dankbar, dass er in diesem Moment an ihrer Seite war, sowohl für den Jungen als auch für sie selbst.Endlich erreichten sie das Krankenhaus. Die Türen des Rettungswagens öffneten sich, und ein Team von Ärzten und Pflegern wartete bereits auf den kleinen Patienten. Alles ging blitzschnell: Der Junge wurde auf die Trage umgelagert und in den Schockraum gebracht, wo das Team sich sofort um ihn kümmerte. Florentina trat einen Schritt zurück, spürte die Erleichterung, dass ihre Aufgabe für diesen Moment getan war.

Phil begann, die medizinische Übergabe zu machen, und Florentina beobachtete ihn aus der Ferne. Er war so ruhig, so professionell. Sein Fokus war unerschütterlich, auch wenn sie wusste, dass er sich gleichzeitig Sorgen um sie machte. Das machte ihn zu einem außergewöhnlichen Arzt und zu einem Menschen, den sie mehr schätzte, als sie es zugeben wollte.Doch bevor sie mit ihm sprechen konnte, spürte sie eine Hand an ihrer Schulter. Es war Franco. Er zog sie sanft in eine ruhige Ecke des Krankenhausflurs, abseits des hektischen Trubels.„Florentina", begann er ernst, „wir müssen reden."Sie schluckte schwer, spürte die vertraute Nervosität aufsteigen. Hatte Franco es sich doch anders überlegt? Würde er sie jetzt bei der Einsatzleitung melden? Doch als sie ihm in die Augen blickte, sah sie keine Wut, nur Sorge.„Es war keine gute Idee, in dieses Haus zu gehen, das weißt du, oder?", sagte er leise.Florentina nickte. „Ich weiß. Es war gefährlich."Franco seufzte und schüttelte den Kopf. „Aber ich werde dich nicht melden." Er hielt inne und sah sie an. „Du bist wie eine Tochter für mich, und ich weiß, dass du nur helfen wolltest. Aber du musst vorsichtiger sein. Versprich mir, dass du so etwas nie wieder tun wirst."Florentina spürte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen. Franco war mehr als nur ein Kollege für sie. Er war eine Art Vaterfigur geworden, jemand, dem sie vertraute und den sie respektierte. Dass er so verständnisvoll war, berührte sie zutiefst.„Ich verspreche es", sagte sie schließlich leise.Franco nickte zufrieden und zog sie in eine herzliche Umarmung. Florentina ließ sich einen Moment lang von der Wärme der Umarmung trösten, spürte die Erleichterung, die mit dem Versprechen kam, vorsichtiger zu sein.Als sie sich schließlich voneinander lösten, bemerkte Florentina, dass Phil bereits verschwunden war. Sie hatte gehofft, noch ein paar Worte mit ihm zu wechseln, aber anscheinend hatte er sich bereits um andere Patienten gekümmert. Ein seltsames Gefühl der Enttäuschung überkam sie, doch sie schüttelte es ab. Es würde sicher bald eine Gelegenheit geben, mit ihm zu sprechen.Der Rest des Tages verlief vergleichsweise ruhig. Florentina und Franco hatten noch drei weitere Einsätze, doch keiner war so dramatisch wie der erste. Sie arbeiteten routiniert, fast mechanisch, während die Stunden vergingen. Florentina spürte die Erschöpfung langsam in ihren Knochen, aber sie hielt durch, bis sie endlich ihre Schicht beenden konnten.Als sie schließlich die Schlüssel für den Rettungswagen an die Kollegen der Nachtschicht übergaben, atmete Florentina tief durch.

Herzschlag der Stille // ASDS Fanfiction //Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt