Die stille Verbindung

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Die Nacht war für Florentina unerträglich gewesen. Wie so oft in letzter Zeit hatten die Albträume sie wach gehalten. Sie wälzte sich stundenlang hin und her, die Erinnerungen an den Krieg kamen mit jeder Sekunde der Dunkelheit näher, und egal, wie oft sie die Augen schloss, der Schlaf wollte nicht kommen. Die Szenen, die sie in ihren Träumen heimsuchten, waren so real, dass sie manchmal das Gefühl hatte, noch mitten im Geschehen zu sein. Als sie um 6 Uhr schließlich aufgab, entschloss sie sich, anstatt weiter gegen die Schlaflosigkeit zu kämpfen, ihre Laufschuhe anzuziehen und joggen zu gehen. Bewegung half ihr oft, den Kopf freizubekommen. Es war noch früh, und der Morgenhimmel war in ein tiefes, dunkles Blau getaucht. Der Park lag ruhig und friedlich vor ihr, fast wie ein Zufluchtsort, unberührt vom hektischen Alltag. Die wenigen Laternen, die den Weg erleuchteten, warfen ein schummriges Licht auf die Umgebung, das kaum den Boden erreichte. Es war genau die Art von Atmosphäre, die sie brauchte. Sie mochte es, wenn die Welt schlief und sie allein mit ihren Gedanken war.Sie nahm die gewohnte Strecke, die sie schon so oft gelaufen war, vorbei an Bäumen, deren Blätter im sanften Wind raschelten. Der Park war leer, und Florentina lief in einem gleichmäßigen Tempo. Ihre Atmung ging ruhig, der Rhythmus des Laufens war beruhigend. Sie genoss das Gefühl, ihren Körper zu spüren, während der Schmerz und die Erschöpfung aus ihren Muskeln wichen. Es war auch für die Schmerzen im Bein gut. Es half ihr manchmal mit den Schmerzen umzugehen. Als sie an einem kleinen See ankam, der von Schilf umgeben war, stoppte sie. Florentina trat näher ans Wasser und ließ ihren Blick über die glatte Oberfläche gleiten. Es war eine friedliche Szene. Die Natur erwachte langsam zum Leben. Sie hörte das Quaken von Fröschen und das Zirpen der Grillen, und wenn sie genau hinsah, konnte sie noch die letzten Sterne am Himmel ausmachen, die schwach in der Dämmerung funkelten. Für einen Moment schloss sie die Augen und atmete tief ein. Diese kleinen Augenblicke der Stille waren es, die sie durch den Tag brachten. Die Ruhe der Natur gab ihr das Gefühl, dass die Welt, trotz allem, was sie durchgemacht hatte, noch schön sein konnte.


„Wunderschön, oder?" Eine Stimme hinter ihr durchbrach die Stille. Florentina musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, wer es war. Sie erkannte die sanfte, beruhigende Stimme sofort. Phil. „Ja, wunderschön," antwortete sie leise, ohne sich zu bewegen. Ein Teil von ihr war überrascht, dass er hier war, aber ein anderer Teil fand es ganz natürlich. Phil war in letzter Zeit immer öfter in ihrer Nähe, und auch wenn sie es sich nicht eingestehen wollte, sie genoss seine Gesellschaft. Doch was machte er hier? Vor allem so früh, am Morgen vor einem Nachtdienst? Sollte er nicht schlafen und sich ausruhen? Sie drehte sich langsam um und sah ihn an.Phil stand in einigen Metern Entfernung, in seinen Laufsachen, genau wie sie. Ein Lächeln spielte auf seinen Lippen, während er sie ansah. Die Morgendämmerung ließ sein Gesicht weicher erscheinen, als sie es während ihrer gemeinsamen Schichten gewohnt war. „Ich laufe manchmal morgens hier, um den Kopf frei zu bekommen," erklärte er, als hätte er ihre unausgesprochene Frage gehört. „Und du? Auch ein Frühaufsteher?"Florentina zuckte mit den Schultern und sah wieder auf den See hinaus. „Ich konnte nicht schlafen. Da dachte ich, ein Lauf hilft." Es war nicht die ganze Wahrheit, aber genug, um das Gespräch am Laufen zu halten. Die Gründe für ihre Schlaflosigkeit gingen niemanden etwas an. Nicht einmal Phil.„Ich kenne das," sagte er ruhig. „Manchmal ist es schwer, den Kopf auszuschalten." Sie nickte nur. Ja, das war es. Der Kopf, der nie zur Ruhe kam. Die Erinnerungen, die ständig wie ein Film abliefen, ohne dass man sie stoppen konnte. Die Fragen, die einen nachts wachhielten, weil man keine Antworten darauf fand. Und dann war da die Dunkelheit, die jeden Gedanken noch lauter machte. Eine Weile standen sie schweigend da, nur das Geräusch ihrer gleichmäßigen Atmung und die Klänge der Natur um sie herum waren zu hören. Florentina war sich Phil's Nähe bewusst, und doch fühlte es sich nicht unangenehm an. Im Gegenteil, sie war froh, dass er da war, ohne viele Worte zu verlieren, ohne sie zu drängen. Das tat gut.„Weißt du," begann Phil nach einer Weile, „ich komme oft hierher, weil es mich an meinen Bruder erinnert. Wir sind früher zusammen gelaufen. Es war so eine Art Ritual." Florentina warf ihm einen neugierigen Blick zu. „Dein Bruder?"„Markus," sagte er leise. „Er ist vor ein paar Jahren gestorben. Motorradunfall." Er atmete tief durch. „Er war auch im Rettungsdienst, genau wie ich. Wir haben immer davon geträumt, die Welt zu retten, und jetzt... jetzt bin ich der Einzige, der noch übrig ist."Florentina spürte, wie sich ihre Brust zusammenzog. Sie wusste, wie es war, jemanden zu verlieren, jemanden, der einem so viel bedeutete. Sie wollte etwas sagen, etwas Tröstendes, aber die Worte blieben ihr im Hals stecken. Stattdessen sah sie ihn einfach an, teilte seinen Schmerz in diesem stillen Moment.„Es tut mir leid," sagte sie schließlich, ihre Stimme leise und sanft.Phil schüttelte den Kopf und lächelte schwach. „Es ist schon okay. Manchmal tut es gut, darüber zu reden. Aber du... du hast bestimmt auch deine eigenen Dämonen, oder?"Florentina zögerte. Sollte sie es ihm erzählen? Die Albträume, die Narben, die sie trug, waren tief. Sie hatte es bisher immer vermieden, darüber zu sprechen. Sie wusste, dass es helfen konnte, aber es fühlte sich an, als würde sie damit die Dunkelheit noch realer machen.„Ja," antwortete sie schließlich. „Aber ich... ich komme schon klar." Es war eine Lüge, und sie wusste, dass Phil das merkte, aber er ließ es unkommentiert.„Ich weiß, dass du stark bist, Florentina," sagte er nach einer Weile. „Aber du musst nicht alles allein tragen."Sie sah ihn an und konnte in seinen Augen die Ehrlichkeit sehen. Es war nicht nur eine Floskel. Er meinte es ernst. Doch Florentina war sich nicht sicher, ob sie bereit war, diese Last mit jemandem zu teilen. Noch nicht.„Danke," murmelte sie schließlich, bevor sie sich wieder zum Wasser drehte. Die Sonne begann langsam über den Horizont zu klettern, und die Sterne verschwanden allmählich. Ein neuer Tag begann, und mit ihm die Herausforderungen des Lebens. Aber für diesen einen Moment fühlte sich alles ruhig und friedlich an, als wäre die Welt nicht so dunkel, wie sie oft schien.„Komm, lass uns weiterlaufen," sagte Phil schließlich und lächelte sie an. „Es tut gut, den Kopf freizubekommen."Florentina nickte und setzte sich in Bewegung. Seite an Seite joggten sie durch den erwachenden Park, das Geräusch ihrer Schritte war das Einzige, das die Stille durchbrach.

Herzschlag der Stille // ASDS Fanfiction //Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt