Stille Momente vor der Nacht

27 3 0
                                    


Im Aufenthaltsraum der Wache herrschte bereits ein reges Treiben, obwohl die Nacht noch jung war. Florentina trat ein und bemerkte sofort, dass ihr Apfelkuchen bereits angeschnitten und fleißig gegessen wurde. Das breite Lächeln auf den Gesichtern ihrer Kollegen verriet ihr, dass der Kuchen gut ankam. Das bereitete ihr eine stille Freude. Ein kleines Zeichen der Normalität in einer Welt, die oft hektisch und unberechenbar war. Da Paul und Oliver noch immer im Einsatz waren, setzte sich Florentina auf die Couch im Pausenraum. Die Müdigkeit des Tages lag ihr schwer auf den Schultern, aber schlafen konnte sie nicht. Es war einer dieser Nachtdienste, in denen sie die Ruhe vor dem Sturm spüren konnte, diese unsichtbare Spannung, die sich langsam aufbaute. Die Kollegen, die für den Nachtdienst eingeteilt waren, waren ebenfalls schon vor Ort. Paula und Thomas waren draußen und bereiteten den RTW für eventuelle Einsätze vor. Es war eine Routine, die jeder Rettungssanitäter aus dem Effeff kannte: den Wagen überprüfen, sicherstellen, dass alle medizinischen Geräte und Medikamente vorhanden und funktionstüchtig waren. In solchen Momenten war es beruhigend, sich auf die Verlässlichkeit seiner Ausrüstung und seiner Kollegen verlassen zu können. 

Phil stand in der Ecke des Raumes, wo die Kaffeemaschine stand. Er kochte sich gerade eine frische Tasse Kaffee, das leise Gurgeln der Maschine erfüllte den Raum mit einem angenehmen Geräusch, das beinahe tröstlich wirkte. Während Florentina auf dem Sofa saß und in Gedanken versunken war, machte sie sich gerade einen neuen Termin mit ihrer Therapeutin aus. Die Sitzungen halfen, aber die ständigen Gedankenschleifen und die Schlaflosigkeit plagten sie immer noch. Doch sie wusste, dass es kein schneller Prozess war – Heilung brauchte Zeit.„Darf ich?", hörte sie plötzlich Phils Stimme und sah auf. Er deutete mit seiner Hand auf den Platz neben ihr. Florentina nickte leicht und rutschte ein Stück zur Seite, um ihm Platz zu machen. Phil setzte sich und lehnte sich entspannt zurück, nahm einen großen Schluck von seinem frisch gebrühten Kaffee. „Oli und Paul sind wohl noch länger beschäftigt...", bemerkte er beiläufig.„Ja, dachte ich mir schon", antwortete Florentina. Es war keine Überraschung – Unfälle konnten oft länger dauern, und wenn noch ein Notarzt gebraucht wurde, bedeutete das meistens nichts Gutes. Sie hatte solche Situationen oft genug erlebt, um zu wissen, dass Zeit manchmal gegen sie arbeitete.Phil stellte seine Tasse ab und lächelte sie an. „Der Kuchen ist übrigens ausgezeichnet. Du solltest öfter für uns backen." Florentina konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. „Freut mich, dass er dir schmeckt." Ihr Herz machte einen kleinen Sprung bei diesem Lob. Es war eine Kleinigkeit, aber in diesem Moment fühlte es sich an, als hätte sie ihm damit eine Freude gemacht.Die beiden fingen an, ein wenig zu tratschen – über den Tag, die Einsätze, über Kollegen und manchmal auch über belanglose Dinge, die in solchen Momenten wichtig schienen. Es tat gut, einfach nur zu reden, ohne dabei über die Schwere der Arbeit oder die persönlichen Lasten, die sie mit sich trugen, nachzudenken. Die Zeit verging wie im Flug. Kaum merklich war es bereits später Abend geworden, und der Pausenraum füllte sich langsam mit den Kollegen des Nachtdienstes. Florentina und Phil blieben noch eine Weile sitzen, bis schließlich Paul und Oliver von ihrem Einsatz zurückkamen. Es war ein Verkehrsunfall gewesen, bei dem sie den Notarzt noch nachfordern mussten. Ein hektischer Einsatz, aber alles war glimpflich ausgegangen. 

Nachdem Paul und Oliver ihnen den NEF (Notarzteinsatzfahrzeug) und die Schlüssel übergeben hatten, begaben sich Phil und Florentina zur Garage, um den Wagen zu checken. Auch dies war eine Routine, die ihnen in Fleisch und Blut übergegangen war. Jede Schublade wurde geöffnet, jedes Gerät überprüft, um sicherzustellen, dass im Notfall alles reibungslos funktionieren würde. Sie sprachen nicht viel, jeder wusste, was zu tun war. Ihre Bewegungen waren fast synchron, eingespielt durch die jahrelange Erfahrung.„Alles da", sagte Florentina schließlich und schloss die letzte Schublade des Notfallkoffers.Phil nickte und lehnte sich gegen die Motorhaube des Wagens. „Dann sind wir bereit." Es war eine nüchterne Feststellung, aber sie trug eine Bedeutung, die sie beide gut verstanden. Bereit sein bedeutete nicht nur, physisch bereit zu sein, sondern auch mental und emotional. Und an manchen Tagen war das schwieriger, als es klang.Während die anderen sich in ihre Betten zurückzogen, um die wenigen ruhigen Stunden der Nacht zu nutzen, blieb Florentina wach. Sie wusste, dass sie sowieso nicht schlafen konnte. Der Schlaf war in letzter Zeit eine flüchtige, schwer fassbare Sache geworden. Immer, wenn sie die Augen schloss, kamen die Erinnerungen, die sie so lange versucht hatte zu verdrängen. Die Narben auf ihrer Haut erzählten nur einen Teil ihrer Geschichte. Der Rest, die emotionalen Narben, waren tief in ihr vergraben und warteten darauf, geheilt zu werden.Phil bemerkte, dass Florentina sich nicht die Mühe machte, sich ein Bett zu richten. „Du wirst also nicht schlafen, hm?" fragte er leicht besorgt, aber mit einem verstehenden Lächeln.„Nein", antwortete sie schlicht. „Ich versuche es gar nicht erst. Schlaf und ich... wir haben uns in letzter Zeit etwas entfremdet." Sie sagte es mit einem Anflug von Ironie, aber Phil konnte das tiefe, unausgesprochene Leid in ihren Worten hören.„Das kenne ich", murmelte er leise, fast mehr zu sich selbst als zu ihr. Er wusste, wie es war, nachts wach zu liegen und von Gedanken heimgesucht zu werden, die einen nicht zur Ruhe kommen ließen. Doch er ließ das Thema fallen, wollte sie nicht weiter bedrängen.Sie verbrachten die nächsten Stunden damit, im Pausenraum zu sitzen, ab und zu ein paar Worte zu wechseln, während der Rest der Mannschaft schlief oder zumindest versuchte zu schlafen. In der Stille der Nacht fühlte sich alles anders an. Die Zeit schien langsamer zu vergehen, und es war, als würde die Welt draußen für einen Moment stillstehen. Diese Nachtdienste hatten etwas Magisches an sich – eine Mischung aus Erwartung, Ruhe und der ständigen Möglichkeit, dass in der nächsten Sekunde der Alarm losgehen könnte.Phil und Florentina schienen diese Ruhe zu genießen. Sie brauchten keine großen Worte, um sich zu verstehen. Es war diese unausgesprochene Verbundenheit, die sich langsam, aber sicher zwischen ihnen entwickelte. Eine Verbindung, die in den stillen Momenten der Nacht stärker wurde, wo die Welt um sie herum schlief und sie beide wach blieben – bereit für das, was kommen mochte.Florentina lehnte sich zurück und sah Phil an. „Danke", sagte sie leise.Er sah sie verwundert an. „Wofür?"„Für den Kaffee. Für das Zuhören. Für alles." Sie lächelte, und er erwiderte das Lächeln.„Jederzeit", antwortete er sanft. „Wir sind doch ein Team, oder?"Florentina nickte. Ja, das waren sie. Ein Team. Und vielleicht, nur vielleicht, war da noch etwas mehr, das sich in der Dunkelheit der Nacht langsam entwickelte.

Herzschlag der Stille // ASDS Fanfiction //Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt